"Marathon? Verrückte Idee! Das schaffe ich nie!"

Von Nadine Bös Veröffentlicht:

Als Klaus Figge begann, für seinen ersten Marathon zu trainieren, war er 57 Jahre alt und brachte 103 Kilo auf die Waage. Sein Hausarzt Frank Neßler riet ihm abzunehmen - durch Ausdauersport. Die Idee zog zunächst nicht recht. Da schlug der Arzt seinem Patienten kurzerhand vor, gemeinsam mit ihm in der "Fit-ab-50"-Laufgruppe beim nächsten Köln-Marathon mitzumachen. "Verrückte Idee", dachte sich Figge. "Das schaffe ich nie", sagte er seinem Arzt.

Die meisten der 150 Mitglieder der Kölner Laufgruppe hatten anfangs ähnliche Gedanken. "Wir haben Läufer bei uns, die zunächst keine 500 Meter geschafft haben", erzählt Sportphysiologe Professor Klaus Baum, der die Marathon-Anwärter trainiert. Der Wissenschaftler hat sich auf die Trainingsplanung für ältere Menschen spezialisiert und bringt über 90 Prozent seiner Schützlinge ins Ziel.

So auch Hausarzt Neßler mitsamt seinem Patienten. In 5:39 Stunden liefen die beiden im vergangenen Jahr die 42,195 Kilometer. "Mein Arzt war hinterher erschöpfter als ich", erzählt Figge nicht ohne Stolz. "Aber ohne ihn hätte ich es gar nicht bis ins Ziel geschafft." Auch in diesem Jahr starten beide wieder. "Diesmal wollen wir weniger als fünf Stunden brauchen", so das ehrgeizige Ziel beim diesjährigen Köln-Marathon am 12. September.

Individueller Trainingsplan für jeden Teilnehmer

Bei Marathon-Trainer Klaus Baum steht die vernünftige Vorbereitung auf den Lauf im Vordergrund. Für alle Teilnehmer seiner "Fit-ab-50"-Gruppe stellt er einen individuellen Trainingsplan auf, der sie über ein halbes Jahr Vorbereitungszeit begleitet. Dafür testet Baum zu Beginn des Trainingsprogramms die persönliche Fitneß jedes einzelnen Sportlers.

Alle 1000 Kilometer nimmt er den Läufern mit einem Pieks ins Ohr einen Tropfen Blut ab. "Mit der Milchsäurekonzentration im Blut kann ich relativ gut voraussagen, in welcher Zeit eine Person den Marathon bewältigen kann." Zusätzlich tragen die Teilnehmer während jeder Trainingseinheit eine Pulsuhr, um ihre Herzfrequenz selbst zu überwachen. Ziel ist es, den Marathon mit konstantem Puls durchzulaufen.

Klaus Figge hat das geschafft. Mit einer Herzfrequenz von etwa 130 lief er kontinuierlich die gesamte Strecke durch. Trotz Pulsuhr und vernünftiger Vorbereitung war es für ihn vor allem die Anwesenheit seines Arztes, die ihm ein sicheres Gefühl gab: "Beim Training und beim Marathon selbst einen Arzt an seiner Seite zu haben ist sehr beruhigend", sagt er.

Außer der Überwachung des Pulsschlags sind Dehn- und Kräftigungsübungen ein weiteres zentrales Element im Training der Laufgruppe "Fit ab 50". "Nach dem Laufen ist es essentiell, mindestens zehn Minuten lang Dehnübungen zu machen", so Marathon-Trainer Baum. Wer häufig laufe, bekomme sonst Muskelverkürzungen, vor allem im Oberschenkel. "Und Verkürzungen erhöhen das Verletzungsrisiko", weiß der Experte.

Verspannungen in Waden und Oberschenkeln - darunter litt auch Klaus Figge bei seiner Marathon-Premiere. "Eine Quälerei waren die letzten Kilometer schon", das gibt er ehrlich zu. "Nach Kilometer 25 war mir nach Aufhören zumute."

Es war der Hausarzt, der Abhilfe schaffte - mit einem kleinen Trick: Neßler lief voraus und schärfte dem Publikum am Straßenrand ein, seinen erschöpften Freund mit "Klaus-Klaus"-Rufen anzufeuern. Das wirkte prompt. "Die Zuschauer haben mir enormen Auftrieb gegeben", sagt Figge. "Irgendwann habe ich dann das Tief überwunden."

Ein halbes Jahr Training, und der Marathon ist zu schaffen

Neßler versucht fleißig, weitere Patienten von den positiven Wirkungen des Ausdauersports zu überzeugen. "Aus Bewegungsmangel werden die Menschen heutzutage immer häufiger übergewichtig, leiden unter Bluthochdruck oder Diabetes und haben ein erhöhtes Herzinfarktrisiko", erklärt er. Es müsse ja nicht gleich ein Marathon sein - auch Radfahren oder Walken sind aus seiner Sicht sinnvolle Möglichkeiten zur Prävention.

Prinzipiell könne aber jeder Gesunde mit einem halben Jahr Training einen Marathon schaffen, ganz unabhängig vom Alter, sagt Experte Baum. Der älteste Teilnehmer unter seinen diesjährigen Köln-Marathon-Schützlingen ist 68; im Durchschnitt kommen die 150 Läufer der Gruppe auf 53 Jahre.

Dank eines Sponsorings des Arzneimittelherstellers Pfizer kann Baum die Teilnahme an seinem Trainingsprogramm für 310 Euro anbieten. Das Paket umfaßt zwei Leistungsdiagnosen, den Trainingsplan, zwei Testläufe unter marathonähnlichen Bedingungen, Beratungen, Trikot und Startgeld.

Für Klaus Figge jedenfalls war auch eine ordentliche Portion Glücksgefühle inklusive. Obwohl Trainer Baum der landläufigen Meinung widerspricht, daß bei Langstreckenläufen in größerem Umfang Glückshormone ausgeschüttet werden: Figge glaubt trotzdem dran. Für die Mitarbeiterzeitung seiner Firma hat er einen Artikel über seine Marathon-Erfahrung verfaßt. "Über Wogen geglitten und durch die Mauer gelaufen", lautet der Titel. Und besser kann Klaus Figge nicht ausdrücken, was er während der 42,195 Kilometer empfunden hat.

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