Spenderorgan-Mangel: Sind finanzielle Anreize oder mehr Prävention die Lösung?

Organhandel dürfte in Deutschland die große Ausnahme sein. Weltweit werden nach aktuellen Schätzungen aber pro Jahr viele Tausende Nieren ge- und verkauft. Und der Bedarf an Spenderorganen nimmt weiter zu.

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:
Ein Inder präsentiert die Narbe nach einer illegalen Organentnahme.

Ein Inder präsentiert die Narbe nach einer illegalen Organentnahme.

© Foto: pa

Auch deutsche Ärzte haben in der Vergangenheit gelegentlich über Patienten berichtet, die dialysepflichtig gewesen waren und plötzlich mit frischer Operationsnarbe und der Bitte um eine immunsuppressive Therapie von einer Auslandsreise zurückkehrten. Die kommerzielle Vermittlung von Organen ist im Verbund von Eurotransplant (ET), zu dem Deutschland gehört, offenbar nicht völlig ausgeschlossen. Als Dr. Axel Rahmel, medizinischer Direktor von ET, eine aktuelle Bestandsaufnahme machte über Patienten, die bei ET auf der Warteliste standen, dann aber im Ausland ein Transplantat erhalten hatten, kam er auf 200 in den vergangenen zehn Jahren. "Das ist kein Beleg, aber ein indirekter Hinweis, dass es auch bei uns illegale Praktiken geben könnte", sagte Rahmel beim Internationalen Organspendekongress in Berlin zur "Ärzte Zeitung".

Problem wurde lange quantitativ unterschätzt

Internationale Einrichtungen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das europäische Parlament, aber auch Fachgesellschaften wie die Transplantation Society nehmen sich verstärkt des Themas Transplantationstourismus an. Zum einen ist es viele Jahre offenbar ein quantitativ unterschätztes Problem gewesen. "Fünf bis zehn Prozent der weltweit transplantierten Nieren werden vermutlich kommerziell vermittelt", sagte Professor em. Francis Delmonico von der Harvard Medical School in Boston in Massachusetts, Vizepräsident des United Network of Organ Sharing in den USA. Die WHO hat diese Zahlen 2007 veröffentlicht: der erste Versuch einer Schätzung auf Basis systematischer Literaturrecherchen (Bulletin WHO 85, 2007, 955).

Angesichts von etwa 67 000 Nieren, die jährlich in den weltweit 91 Ländern mit Organtransplantationen verpflanzt werden, dürften damit pro Jahr viele Tausende Nieren ge- und verkauft werden. Und dies, obwohl die WHO, die EU, die westlichen Religionsgemeinschaften und Fachgesellschaften wie die World Medical Association Organtourismus seit Jahrzehnten ablehnen. So stammten 2007 insgesamt 1750 der 2500 in Pakistan verpflanzten Organe von extrem armen Spendern. Jährlich reisen dorthin knapp 1000 Menschen aus dem Ausland, um sich eine Niere einpflanzen zu lassen (Current Opinion in Organ Transplantation 14, 2009, 124).

Die Herausforderung dürfte künftig noch größer werden: Der Bedarf an Organen wird weiter steigen, über das Internet lässt sich weltweit kommunizieren, die ökonomischen Ungleichgewichte zwischen den "Spender- und den Empfänger-Nationen", aber auch innerhalb der "Geber-Länder" sind immens. Zugleich gibt es in der Diskussion um die Förderung der Organspende Stimmen unter den Ärzten auch in westlichen Ländern, die einen regulierten Markt als Chance sehen, mehr Organe zu gewinnen (Current Opinion in Organ Transplantation 14, 2009, 134; Lancet 374, 2009, 1315).

"Dabei sind es nicht immer Patienten mit langjähriger Dialyse, die an ihrer Lage verzweifeln und deshalb ein Organ kaufen", berichtete Dr. Anantharaman Vathsala von der Universität Singapur beim Kongress in Berlin. Eine aktuelle Auswertung des nationalen Registers für Nierenerkrankungen habe ergeben, dass etwa ein Drittel der Nierenempfänger in Singapur für die Transplantation ins Ausland - meist nach China - gereist seien. Die durchschnittliche Dialysezeit habe nur zwei Jahre betragen, die Patienten seien meist Mitte 40 gewesen, zu zwei Dritteln Männer. Die Rate der Infektionen mit Hepatitis-Viren und/oder HIV im Zusammenhang mit der Transplantation habe 40 Prozent betragen. Abstoßungs- und Organverlustraten seien bei gekauften Organen deutlich höher.

Eine ähnliche Geschlechter- und Altersverteilung der Empfänger (durchschnittlich 47 Jahre) und hohe Komplikationsraten bestätigte der saudiarabische Nephrologe Dr. Saeed Al-Ghamdi vom King Faisal Hospital in Jeddah: Chirurgische Komplikationen hatten 27 Prozent von 95 nachbeobachteten Empfängern gekaufter Nieren. Die Mortalität habe elf Prozent in fünf Jahren betragen, 25 Prozent hatten sich bei der Operation mit Hepatitis-Viren infiziert, 22 Prozent bekamen eine bakterielle Sepsis, 23 Prozent systemische Mykosen.

Finanzielle Anreize für Organspende diskutiert

Al-Ghamdi, Vathsala und Delmonico stimmten überein, dass ein Markt für Organe die Anstrengungen unterlaufe, im eigenen Land ein Programm für die Organspende nach dem Tod zu etablieren und damit auch die Möglichkeiten, andere Organe als Nieren zu verpflanzen.

Obwohl die Grenzen zur Kommerzialisierung fließend sind, werden die USA dennoch finanzielle Anreize für die Organspende in Pilotprojekten testen. So sollen vermeidbare Risiken für die Empfänger minimiert und zugleich die Zahl der Spenderorgane erhöht werden. Anreize könnten erhebliche Steuervorteile, kostenlose Krankenversicherung und die Finanzierung einer Ausbildung für Kinder von Spendern sein (Lancet 374, 2009, 1315).

Ob diese Ansätze der Transplantationsmedizin insgesamt zugute kommen, wird skeptisch beurteilt - zumindest in Europa. Schließlich seien die Möglichkeiten der Prävention von Zivilisationskrankheiten, die den Organbedarf erhöhen, in den Industrienationen lange nicht ausgeschöpft, hieß es in Berlin.

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