Konzepte gegen lange Wege zum nächsten Arzt

Mehr Geld, weniger strenge Regeln für die Lebensführung von Ärzten und eine Entschärfung drohenden Regresse: Mit vielen Einzelmaßnahmen sollen Ärzte für das Arbeiten auf dem Land motiviert werden. So plant es die Koalition in ihrem Versorgungsgesetz.

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Der Nächste, bitte!: Auch auf dem Land soll es weiter genügend Wartezimmer und Arztpraxen geben..

Der Nächste, bitte!: Auch auf dem Land soll es weiter genügend Wartezimmer und Arztpraxen geben..

© begsteiger / imago

BERLIN (sun/af). Ärzten das Arbeiten auf dem unterversorgten Land schmackhaft zu machen - dieses Ziel verfolgt die schwarz-gelbe Koalition mit dem Versorgungsgesetz.

Eckpunkte zum Versorgungsgesetz (PDF-Datei, 98 KByte)

"Zwar ist die Zahl der Ärzte so hoch wie nie", betonte Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler am Freitag in Berlin, "doch schon heute haben Patienten auf dem Land lange Wege zum nächsten Arzt."

Eine flexiblere Bedarfsplanung und finanzielle Anreize für Ärzte sollen die Situation verbessern helfen.

Bisher wirkten die Abstaffelung der Regelleistungsvolumina (RLV) und drohende Regressforderungen abschreckend auf Ärzte. Daher ließen sie sich nicht in unterversorgten Gebieten nieder, so Rösler.

Dort soll der Deckel für die RLV nun wegfallen. KVen sollen für alle Planungsbezirke Praxisbesonderheiten definieren. Dies soll dabei helfen, die Gefahr von Regressen zu entschärfen.

Darüber hinaus soll die Residenzpflicht "grundsätzlich auch in nicht unterversorgten Regionen aufgehoben" werden. Ärzte sollen also nicht mehr dort wohnen müssen, wo sie ihre Praxis haben.

Das soll Ärzten die Entscheidung fürs Land erleichtern. Die Möglichkeit gibt es bereits heute, aber nur als Ausnahme in unterversorgten Gebieten. Eine Bedingung gibt es: Die Notfallversorgung muss funktionieren.

Mehr Studienplätze für angehende Mediziner sollen die Versorgung auch perspektivisch auf sichere Füße stellen. Dafür will sogar der ansonsten in der Finanzierung von Bildung zugeknöpfte Bund Geld in die Hand nehmen. Das BMG befürwortet eine "befristete Beteiligung des Bundes an den Kosten".

Dafür notwendig sei allerdings die Bereitschaft der Länder, die entsprechenden Studienplätze tatsächlich zu schaffen, heißt es. Die Auswahlkriterien für die Zulassung zum Medizinstudium stehen auf dem Prüfstand.

Künftig sollen auch solche Bewerber Medizin studieren können, die sich für den Arztberuf begeistern, aber den für den Numerus clausus benötigten Notendurchschnitt nicht mitbringen. Um ihnen zu helfen, soll der Notendurchschnitt bei der Zulassung zum Studium geringer gewichtet werden.

Überversorgung mit Ärzten in strukturstarken Gebieten will die Koalition abbauen. Dazu erhalten die KVen die Möglichkeit, Ärzten jeden Alters die Aufgabe ihrer Praxis mit Geld schmackhaft zu machen. Bislang galt hier, dass die KV nur Ärzte ab 62 Jahren mit finanziellen Anreizen zur Rückgabe der Zulassung bewegen durfte.

Klarstellen soll das Gesetz, dass die KVen Arztpraxen kaufen und auf die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes verzichten dürfen. Mehr Geld bekommen die Vereinigungen dafür nicht.

In überversorgten Gebieten haben die KVen künftig bei der Ausschreibung von Vertragsarztsitzen ein Vorkaufsrecht. Die befürchtete "Enterbung" findet nicht statt.

Das wirtschaftliche Interesse des Arztes an der Verwertung seiner Praxis bleibt wie bisher geschützt. Bewerben sich Kinder, Ehe- oder Lebenspartner um die Nachfolge, ist das Vorkaufsrecht der KV ausgesetzt.

Die Eckpunkte gehen nun ins parlamentarische Verfahren. Die nächste Stufe wird ein Referentenentwurf sein. In Kraft treten soll das Gesetz am 1. Januar 2012. Zahlreiche Punkte werden aber erst umgesetzt, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss die entsprechenden Regelungen getroffen haben wird.

Das sagen Politiker und Kassenvertreter

Zustimmung und Kritik zu den Eckpunkten zum Versorgungsgesetz halten sich die Waage:

"Einen großen Durchbruch" sieht darin CDU-Politiker Jens Spahn. "Für Ärzte wird es leichter, sich für eine Praxis auf dem Land zu entscheiden", glaubt FDP-Politikerin Ulrike Flach.

Aber es gibt auch Kritik: "Als "Ärztebeglückungsgesetz" bezeichneteMartina Bunge von den Linken die Eckpunkte.

Der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Stefan Grüttner (CDU), findet die am vergangenen Mittwoch gefundenen Kompromisse zwischen Bund und Ländern in den Eckpunkten nicht wieder. "Das Papier der Regierungsfraktionen zum geplanten Versorgungsgesetz ist aus Sicht der Länder so nicht akzeptabel", stellt er unmißverständlich klar. Eine zuvor gefundene Einigung zwischen Bund und Ländern lobte er hingegen.

Der GKV-Spitzenverband kritisiert, die bestehende Überversorgung in den meisten Gebieten werde nicht energisch genug angegangen.

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