Tatort Ministerium

Wer hat Daniel Bahr ausspioniert?

Ein Diebstahl im Bahr-Ministerium könnte einen heftigen Lobbyskandal auslösen: Unbemerkt soll ein IT-Spezialist für einen Lobbyisten vertrauliche Daten ausspioniert haben. Die großen Fragen: Hat die Regierung ein Sicherheitsproblem? Und warum wussten Apotheker so viel?

Von Basil Wegener Veröffentlicht:
Bestohlener Minister: Daniel Bahr am Mittwoch in Berlin.

Bestohlener Minister: Daniel Bahr am Mittwoch in Berlin.

© Kay Nietfeld/dpa

BERLIN. Daniel Bahr war schon länger erstaunt. Dass im Milliardengeschäft Gesundheit mit harten Bandagen gekämpft wird, war der Gesundheitsminister längst gewohnt.

Aber immer wieder erreichten sein Ministerium Fragen zu Bahrs angeblichen Plänen - von denen der Hausherr selbst allerdings noch gar nichts wusste. Dass womöglich ein ausgeklügelter Datenklau dahintersteckte, wusste der FDP-Politiker damals noch nicht.

Bevor ein Minister mit Gesetzes- und Verordnungsplänen an die Öffentlichkeit geht, läuft ein längerer Prozess ab. Referenten schreiben Vermerke und Entwürfe.

Die elektronischen Texte wandern vom Abteilungsleiter über Staatssekretäre zum Computer des Ministers - dabei sollen die Daten ausspioniert worden sein. Und zwar über Jahre.

"Das begann Ende 2010", sagt Bahr. Es passierte immer wieder, ausgerechnet im umkämpften Bereich der Arzneimittel. Informationen, die ihn noch nicht erreicht hätten, seien sogar bereits im Internet zum Download angeboten worden, berichtet der Minister.

Da ging es zum Beispiel um eine neue Apothekenbetriebsordnung. In der Öffentlichkeit spielte sie keine große Rolle, aber in der Branche sorgte sie für Riesenwirbel.

Apotheker sollten laut einem Entwurf zum Beispiel etwas weniger prominent Kosmetika verkaufen als bisher - sofort musste der Minister in einschlägigen Fachdiensten Schlagzeilen lesen nach dem Motto: Bahr will Apotheken ohne Kosmetika.

Gerade die organisierte Apothekerschaft hielt mit schäumender Kritik nicht hinterm Berg, warnte vor einem Apothekensterben und einem Ausbluten des Berufsstandes. Doch krimineller Datenklau wäre eine ganz andere Dimension.

Energie eines einzelnen Lobbyisten?

Es könnte - nach dem, was in Berlin kursiert - so gelaufen sein: Ein Lobbyist aus dem Umfeld der Apothekerschaft bezahlte einen externen IT-Mitarbeiter mit Zugang zu Ministeriumsrechnern für ausgespähte Dossiers.

Es soll ein ehemaliger Mitarbeiter der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) gewesen sein, der aber in dem Bereich weiter recherchierte und als Lobbyist tätig war.

Im Ministerium begann man, der Sache nachzugehen, zunächst ohne Erfolg. Die Mitarbeiter mussten eidesstattliche Erklärungen unterschreiben.

Erleichtert war man in den oberen Etagen des Hauses wohl, als sich herauskristallisierte: Feste Mitarbeiter des Hauses waren nicht involviert. Doch erst ein anonymer Hinweis brachte ein heiße Spur.

"Ich kann als Bundesgesundheitsminister nicht akzeptieren, wenn hier Versuche unternommen werden, interne Informationen, die für den Gesetzgebungsprozess wichtig sind, auf kriminelle Art und Weise zu erlangen", sagt Bahr.

Also schaltete er die Staatsanwaltschaft ein, es gab Durchsuchungen im Ressort und bei zwei Verdächtigen: dem Lobbyisten und dem IT-Experten, der sich bezahlt haben lassen soll. Der Mann bekam Hausverbot.

Was war der Zweck des Datenklaus? Es könnte eine Art sportlicher krimineller Ehrgeiz eines gesundheitspolitischen Insiders gewesen sein.

Es dürfte aber auch um gezielte Lobbyarbeit gegangen sein. Denn wenn ein Verband drastische Warnungen vor angeblich folgenreichen Regulierungsplänen bereits früh an die am Ende entscheidenden Abgeordneten richten kann, hat er bessere Karten.

Dann findet er unter Umständen größeres Gehör, als wenn das Ministerium die Pläne zunächst selbst begründen kann.

ABDA: Kein Geld geflossen!

Bahr betont: "Ich bin stinksauer über solche kriminelle Energie." Er sagt aber auch: "In meinen Entscheidungen als Minister hat es mich nicht beeindruckt."

Zumindest dürfte der Skandal Vorwürfen, der Freidemokrat richte sich auch mal nach der Pharmabranche, entgegenwirken.

Doch Fragen bleiben: War da wirklich nur ein zwielichtiges Duo am Werk? Oder hatte der Lobbyist selbst auch Auftraggeber? Die ABDA weist alle Vorwürfe mit Abscheu und Empörung zurück.

Man habe sich nichts zu Schulden kommen lassen. Ein ABDA-Vertreter versicherte am Mittwoch, eine Überprüfung habe ergeben, dass zumindest bis Ende 2011 kein Geld für solche Leistungen geflossen seien. Eine Arbeitsgruppe soll für weitere Aufklärung sorgen.

War es also nur ein Leck in einem überschaubaren Bereich? Oder hat die Bundesregierung ein Sicherheitsproblem? Die IT-Firma sei bereits seit 2008 im Einsatz. Und die sei nach Richtlien des Bundes überprüft werden.

An ihrer Seriosität zu zweifeln, gebe es keinen Anlass. Doch es kursiert, dass die Firma auch in anderen Ministerien arbeite. Muss das sein, dass Fremdfirmen an sensible Software und Inhalte kommen?

Bahr sagt: "Ich kann auch nichts dazu sagen, ob das nun Einzelfälle sind oder mehr." Jetzt sind zunächst einmal die Staatsanwälte gefragt. (dpa)

Schlagworte:
Mehr zum Thema

Geplante Abwicklung des ÄZQ zum Jahresende

DEGAM wirbt für Fortsetzung des NVL-Programms

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer