Großbritannien

Neue Lebern für schwere Alkoholiker

Paradigmenwechsel im Königreich: Erstmals will Großbritannien schweren Alkoholikern eine Lebertransplantation ermöglichen - zunächst jedoch in einem Pilotversuch.

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LONDON. Patienten in Großbritannien mit einer schweren alkoholischen Leberzirrhose sollen künftig die Chance auf eine Lebertransplantation erhalten. Diese Neuerung wäre ein Novum im Königreich, denn bislang sind schwere Alkoholiker dort von Transplantationen weitgehend ausgeschlossen.

Nach einem Bericht der britischen Zeitung "The Guardian" plant der Blut- und Transplantationsdienst des des nationalen Gesundheitsservice NHS (NHSBT) einen entsprechenden Pilotversuch. Dafür sollen in den kommenden zwei Jahren bis zu 20 Patienten im Alter zwischen 18 und 40 Jahren rekrutiert werden. Infrage kommen dem Bericht zufolge nur Patienten mit zuvor unbekannter alkoholischer Leberkrankheit und bis dato unbekanntem C2-Abusus. Beides muss also erstmals diagnostiziert worden sein.

Der NHS sei sich der gesellschaftlichen Debatte über das Thema bewusst, schreibt das Blatt. Der Pilotversuch sei nach Ansicht der Experten aber "lohnenswert". "Wir transplantieren Menschen (sic!), keine Engel", sagte der medizinische Direktor des NHSBT, Professor James Neuberger, dem "Guardian".

Das britische Gesundheitssystem ist bekanntlich, anders als etwa in Deutschland, stark von utilitaristischen Prinzipien geprägt. Dort werden Therapieentscheidungen und Fragen zur Kostenübernahme oftmals anhand des voraussichtlichen Therapieerfolgs entschieden. Bekannt bei Arzneimitteln ist etwa die Verwendung qualitätsadjustierter Lebensjahre (QALY) als Kriterium.

Bedeutende Richtlinienänderung ante portas

Für Transplantationen zählt entsprechend das Transplantatüberleben in einer definierten Zeitspanne. In Großbritannien etwa werden Patienten erst dann auf den Wartelisten geführt, wenn ihnen eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit bescheinigt wird, dass das Transplantat nach fünf Jahren noch funktioniert.

Die Patienten müssen zudem ein "Agreement" unterzeichnen, dass sie nach der Transplantation alkoholabstinent bleiben. Zudem sind regelmäßige Alkohol- und Drogenscreenings vorgesehen, wenn die Anamnese auf entsprechende Risiken deutet (NHSBT 2014; POLICY POL195/2).

Und so stellen in Großbritannien alkoholische Hepatitiden, nachweisliche Nichtadhärenz sowie mehr als zwei Rückfälle absolute Kontraindikationen dar, um Patienten auf die Warteliste für eine Lebertransplantation aufzunehmen. Nachgewiesener Alkoholkonsum während der Wartezeit führt sogar zu einem permanenten Verlust des Kandidatenstatus zur Transplantation.

Diese Regeln will der NHS nun offenbar abmildern. Nach der kurzen Pilotstudie mit den 20 Probanden könnte dem Königreich letztlich eine bedeutende Richtlinienänderung ins Haus stehen, die an bestehenden Prinzipien rüttelt.

In Deutschland sieht die Situation bekanntlich anders aus. Hierzulande sind Alkoholiker mit einer Lebererkrankung generell nicht von Transplantationen ausgeschlossen. Die alkoholische Leberzirrhose ist sogar die Top-Indikation unter allen Lebertransplantationen (489 von insgesamt 1658 im Jahr 2012).

Nach den einschlägigen Richtlinien müssen Patienten für die Aufnahme auf die Warteliste allerdings eine halbjährige Abstinenzperiode nachweisen. Künftig sollen die Anforderungen an die Nachweise deutlich verschärft werden. (nös)

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