Sozial Schwache

Bis zu 24 Prozent höheres Sterberisiko bei Krebs

Gesundheit ist - auch in Deutschland - eine Frage des Geldes. Offenbar beeinflusst der sozioökonomische Status bei Krebspatienten aber auch die Schwere der Erkrankung und sogar die Überlebensrate.

Julia FrischVon Julia Frisch Veröffentlicht:
Plattenbau: Beengte Wohnverhältnisse und eine hohe Bevölkerungsdichte wirken sich negativ auf eine Krebserkrankung aus.

Plattenbau: Beengte Wohnverhältnisse und eine hohe Bevölkerungsdichte wirken sich negativ auf eine Krebserkrankung aus.

© ivonne leuchs/Fotolia.com

BERLIN. Deutschland hat zwar ein hervorragendes Krankenversicherungssystem mit niedrigschwelligem Zugang zur Gesundheitsversorgung.

Dennoch zeigen diverse Untersuchungen: Menschen mit einem niedrigen sozialen Status sind im Schnitt kränker als jene mit höherem sozialen Status.

In der Onkologie gibt es inzwischen Anzeichen dafür, dass zwischen dem sozioökonomischen Status des Patienten - er wird von Faktoren wie Bildung, Einkommen, Familienstand oder Größe des Wohnortes bestimmt - und dem Tumorstadium bei der Krebsdiagnose ein Zusammenhang besteht.

Das zeigte eine Vortragsreihe während des Deutschen Krebskongresses.

Niedriges Einkommen

Susanne Singer vom Institut für Biochemie, Epidemiologie und Informatik an der Universität Mainz zum Beispiel analysierte in den vergangenen zwei Jahren die Daten von 1000 Krebspatienten, von denen viele schon ein fortgeschrittenes Tumorstadium erreicht hatten.

Ihr Fazit: Nicht die Bildung oder der Wohnort, nicht die Tatsache, ob jemand privat oder gesetzlich krankenversichert ist, alleine oder mit einem Partner zusammenwohnt, erwiesen sich als relevant für das Tumorstadium. Vielmehr identifizierte Susanne Singer niedriges Einkommen und fehlende Erwerbstätigkeit als die entscheidenden Faktoren.

Über die Gründe für diesen Zusammenhang lässt sich spekulieren. "Vielleicht gehen diese Leute erst später zum Arzt", sagte Singer. Vielleicht, diese Idee brachte eine Zuhörerin ein, spielte bei diesen Patienten aber auch die inzwischen abgeschaffte Praxisgebühr eine Rolle.

Die sozioökonomischen Verhältnisse scheinen ferner das Überleben zu beeinflussen. Das legen Untersuchungen im Rahmen des German Cancer Survival Projektes nahe, in denen Krebsregisterdaten aus elf Bundesländern zu den 25 häufigsten Krebsarten zusammengeführt wurden. Darin enthalten sind 1,1 Millionen Patienten, bei denen zwischen 1997 und 2006 ein Tumor diagnostiziert wurde.

Schlechtere Überlebensrate

Das Ergebnis: Die schlechteste Überlebensrate haben bei 21 von 25 Krebsarten die Patienten, die in Regionen mit höchster sozioökonomischer Deprivation leben, also in Gegenden mit meist niedrigem Einkommen, hoher Arbeitslosigkeit, geringen Bildungsabschlüssen, beengten Wohnverhältnissen und einer hohen Bevölkerungsdichte.

Besonders deutlich wird der Unterschied direkt nach der Diagnose: In den sozioökonomisch benachteiligten Gebieten ist das relative Risiko, nach drei Monaten zu sterben, 24 Prozent höher als in den anderen, "besser gestellten" Regionen.

Ein Jahr nach der Diagnose reduziert sich dieses Risiko auf 16 Prozent, berichtete Lena Jansen vom Deutschen Krebsforschungszentrum.

In Prävention investieren

Ein weniger drastisches Bild lieferte zwar die zweite Projektphase, in der Daten von Patienten mit Krebsdiagnose zwischen 2007 und 2012 ausgewertet wurden. "Das heißt aber nicht, dass inzwischen alles besser geworden ist", so Jansen. Vor allem die Tendenz in Ostdeutschland, Landkreise zusammenzulegen, habe eine kleinräumige und damit aussagekräftigere Analyse verhindert.

Die Ergebnisse der Untersuchungen geben nach Ansicht der Wissenschaftler allen Grund, regionale und patientenbezogene Faktoren gemeinsam zu analysieren. Dafür sei es freilich notwendig, konsequent alle Berichtswesen zusammenzuführen.

Es gehe in Zukunft darum, die Ungleichheit zu beenden und die Gesundheitskompetenz des einzelnen Menschen zu fördern - unabhängig von dessen Status. "Man muss die Gruppen, die schlechter dran sind, näher ans System bringen", sagte Verena Materna von der Berliner Charité.

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