Kommentar – Reaktion auf Berlin-Wahl

Willkommen im Zeitalter des Postfaktischen

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Wie sieht die (politische) Zukunft Berlins aus?

Wie sieht die (politische) Zukunft Berlins aus?

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Willkommen im Zeitalter des Postfaktischen. Wer noch nicht weiß, was dieser Begriff bedeutet, konnte dies am Sonntagabend beim Auftritt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller, und SPD-Chef Sigmar Gabriel auf der Wahlparty der Sozialdemokraten erleben. Zu diesem Zeitpunkt, kurz nach 18 Uhr, prognostizierte die erste Hochrechnung der SPD einen Verlust von 5,5 Prozent, beim amtlichen Endergebnis waren es dann 6,7 Prozent.

Die SPD ist damit auf 21,6 Prozent geschrumpft – der Abstand zu den wahrscheinlichen künftigen Koalitionspartnern Linkspartei und Bündnis 90 / Die Grünen nur noch graduell. Wer sich wie Müller angesichts dieser Fakten zum Wahlsieger erklärt, lebt jenseits der Tatsachen. Fakt ist, dass die Wähler beide regierenden Parteien, Union und SPD, abgestraft haben.

AfD nur zum Teil schuld

In Berlin ist das nur zum Teil der AfD zuzurechnen. Gewiss: Auch in Berlin gibt es traditionell rechte Hochburgen: Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick und Pankow – allesamt im Osten. Hier wiederholte sich, was vor zwei Wochen in Mecklenburg-Vorpommern geschah: Das Geschäft der AfD mit der Xenophobie.

Die angeblich so weltoffene Metropole Berlin besteht traditionell aus in sich geschlossenen "Kiezen" mit eigenen, auch reaktionären Milieus. Rein rechnerisch könnten hier AfD-Mandatsträger einen Anspruch auch Stadtrats-Positionen in Bezirksverwaltungen haben – und erstmals auch administrative Verantwortung.

In Berlin erklärt die Flüchtlingsproblematik allerdings nicht allein das Desaster für die Volksparteien. Die Stadt – mit einstmals 4,5 Millionen Einwohnern größte Industriemetropole Europas – leidet immer noch an den Nachwirkungen zweier Diktaturen, ihrer Teilung und der Insellage Westberlins bis 1989.

Berlin: Hochsubventioniert und fast ohne Industrie

Die industrielle Struktur ist bis auf wenige Reste weggebrochen. Ost- wie Westberlin waren hochsubventioniert. Die Berliner Ökonomie ist von einer Staatswirtschaft geprägt, in der Leistung und Effizienz Fremdworte waren und sind.

Das dokumentiert sich nicht nur in Groß-Skandalen wie dem Flughafen-Neubau in Schönefeld – es ist Alltag auf den verdreckten Straßen, verkommenen öffentlichen Anlagen, Warteschlangen in Bürgerämtern oder eben auch unhaltbaren Zuständen beim Landesamt für Gesundheit und Sozialen beim Management der Flüchtlingsversorgung.

Das wirkt hinein bis in die ärztliche Selbstverwaltung wie der Kassenärztlichen Vereinigung, deren drei amtierende Vorstände sich vor dem Strafgericht verantworten müssen.

Neustart mit Neubürgern?

Es sind in Berlin beileibe nicht allein "Die da oben", die diese Zustände zu verantworten haben. Es sind die Berliner selbst, die sich und diesen Zuständen genüge sind. Glücklicherweise erlebt Berlin – nach einem langen Schrumpfungsprozess – seit einigen Jahren Wanderungsgewinne.

Vielleicht ist das die einzige Hoffnung: eine kritische Masse an Neubürgern mit höheren Ansprüche an sich selbst und an die Stadt – ein produktiver Wettbewerb.

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