GBA auf Kurs gegen Kliniken und Arzneimittelhersteller

BERLIN (HL). Der Gemeinsame Bundesausschuss scheut den Konflikt nicht. Mehrheitlich hat er nun - gegen die Krankenhäuser - für Mindestmengen in der Neonatologie entschieden. In der Arzneimitteltherapie hat er, was umstritten ist, Glitazone und Glinide ausgeschlossen.

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Nach dreijähriger Kontroverse und gegen den heftigen Widerstand der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) hat der Gemeinsame Bundesausschuss eine Mindestmenge von 30 für Zentren festgelegt, in denen Frühchen mit einem Gewicht von unter 1250 Gramm versorgt werden (Level 1). Für Krankenhäuser, die Früh- und Neugeborene mit einem Gewicht zwischen 1250 und 1500 Gramm behandeln, ist keine Mindestmenge vorgesehen.

Gegen Mindestmengen hat auch die Bundesärztekammer Bedenken, weil es für eine konkrete Zahl keine wissenschaftliche Evidenz gibt.

Befürwortet wurden die Mindestmengen hingegen von den Vertretern des GKV-Spitzenverbandes und der Patienten. Sie verweisen darauf, dass das IQWiG einen Zusammenhang zwischen der Leistungsmenge und der Prognose für Frühchen festgestellt hat. Außerdem erreicht Deutschland im WHO-Ranking lediglich einen zwölften Platz.

Massive Zweifel an Verbesserung der Qualität

Im Ergebnis bedeutet die GBA-Entscheidung, dass die Zahl der Krankenhäuser, die Frühchen des Level 1 versorgen dürfen, von 128 auf 64 sinkt. Nach Angaben der KBV kann dies dazu führen, dass in Brandenburg und Rheinland-Pfalz Anreisewege von über hundert Kilometern entstehen. Auf Länderebene können Abweichungen beschlossen werden.

In letzter Minute hatte die DKG versucht, die Entscheidung abzuwenden. Dazu sollte eine neue Studie dienen: Danach erzielen 70 Prozent der kleinen Zentren, die nun ausscheiden müssen, gute Behandlungsergebnisse. Aber in jedem zweiten Zentrum, das die Mindestmenge überschreitet, wird der erwartete qualitative Wert nicht erreicht. Gemessen wurde dies nach Angaben von Dr. Bernd Metzinger (DKG) anhand der statistisch erwarteten Mortalität und Behinderung.

Der Bundesausschuss sah sich nicht in der Lage, diese Daten zu bewerten und in seine Entscheidung einzubeziehen. Auch GBA-Chef Dr. Rainer Hess drängte auf einen Beschluss: "Ich war nicht bereit, dieses Thema erneut zu vertagen."

Diabetes-Therapie: Glinide und Glitazone nur ausnahmsweise

Vertragsärzte sollen Glinide und Glitazone nur noch in medizinisch begründeten Einzelfällen zu Lasten der GKV verordnen dürfen. Diesen Beschluss des GBA - gegen eine Stimme eines Patientenvertreters - muss das Bundesgesundheitsministerium noch genehmigen. Wichtig für Ärzte: Der Beschluss wird erst drei Monate nach Veröffentlichung im Bundesanzeiger wirksam; Ärzten soll damit hinreichend Zeit gegeben werden, ihre Patienten auf eine andere Therapie einzustellen.

Den Ausschluss der Glinide begründet der Bundesausschuss damit, dass auch neun Jahre nach Zulassung keine evidenzbasierten Studien in Bezug auf Endpunkte vorliegen, sondern lediglich die Wirksamkeit für die Senkung des HbA1c-Wertes belegt ist. Der GBA hat jedoch eine Ausnahme vom Ausschluss zugelassen: Er gilt für Diabetiker mit schweren Nierenfunktionsstörungen.

Bei den Glitazonen ist der Ausschluss mit dem Risikopotenzial dieser Arzneimittel begründet. "Nach gründlicher Abwägung des Nutzen-Schaden-Verhältnisses steht fest, dass der mögliche Schaden beispielsweise in Form von Herzinsuffizienzen und Knochenbrüchen ... deutlich überwiegt", so der GBA. Außerdem gebe es Alternativen.

GBA-Urteil im Widerspruch zu Zulassungsbehörden

Die betroffenen Hersteller sehen einen Widerspruch zum Urteil der Zulassungsbehörde EMA. Damit überschreite der GBA seine Kompetenz. Entgegen der Behauptung des GBA seien bei der Nutzen-Risiko-Bewertung durch die EMA nicht nur Placebo-kontrollierte Studien, sondern auch direkte Vergleiche mit Alternativtherapien angestellt worden. Außerdem weicht der GBA von der Feststellung des IQWiG ab, wonach für Pioglitazon ein Zusatznutzen bestätigt worden ist. Wahrscheinlich läuft der GBA auch in einen Konflikt mit dem Gesetzgeber, der dem GBA Beschlüsse verbieten will, die dem arzneimittelrechtlichen Status widersprechen. Mit seinem Urteil über die Arzneimittelsicherheit schafft der GBA quasi eine Sonder-Sicherheitszone für Kassenpatienten, die für andere Patienten nicht gilt.

Arzneimittel: GBA erweitert die Ausnahmen für OTC-Erstattung

Bestimmte Arzneimittel zur Behandlung von Durchfallerkrankungen sind künftig nicht nur nach Darmoperationen, sondern auch bei anderen schweren und länger andauernden Diarrhöen zu Lasten der GKV verordnungsfähig. Eine längerfristige Anwendung von Motilitätshemmern muss der Arzt gesondert dokumentieren.

Der Hintergrund: Mit Wirkung ab 2004 hatte der Gesetzgeber rezeptfreie Arzneimittel grundsätzlich aus der Erstattungsfähigkeit der GKV ausgeschlossen. Er hatte aber dem Bundesausschuss aufgegeben, solche OTC-Arzneimittel zu definieren, die bei schwerer Krankheit, etwa Aids oder Krebs, als Therapiestandard eingesetzt werden, in eine Ausnahmeliste aufzunehmen. In diesem Fall kann das betreffende Arzneimittel auf Kassenrezept verschrieben werden. Der GBA-Beschluss bedarf noch der Genehmigung des Bundesgesundheitsministeriums.

Therapiehinweise für zwei Indikationen

Mit einer weiteren Entscheidung hat der Bundesausschuss Therapiehinweise zu Erythropoese-stimulierenden Wirkstoffen und zu Prasugrel formuliert. Diese Hinweise müssen von Ärzten künftig beachtet werden.

Bei der Behandlung von Tumorpatienten, die aufgrund einer Chemotherapie an symptomatischer Anämie leiden, sollen die Indikationsstellung und die Festlegung der therapeutischen Zielwerte "kritisch überprüft" und die Patienten in die Entscheidung einbezogen werden. Aufgrund der Risiken dieser Arzneimittel sei eine begrenzte Anwendungsdauer geboten. Darüber hinaus gibt es Informationen über den Einsatz von Biosimilars zur Behandlung der symptomatischen Anämie.

Der Therapiehinweis zum Thrombozytenaggregationshemmer Prasugrel enthält Empfehlungen zur wirtschaftlichen Verordnungsweise und zum Risikopotenzial des Wirkstoffs, vor allem Hinweise zu erhöhten Blutungsrisiken für bestimmte Patientengruppen, Wechselwirkungen mit anderen Arzneien sowie über die Kosten im Vergleich zu Therapiealternativen. Auch Therapiehinweise muss das BMG genehmigen.

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