Wirtschaft rügt Rösler als Bürokratie-Anstifter

Die schwarz-gelbe Koalition stößt mit der Gesundheitsreform in der Wirtschaft auf massiven Widerstand. Die Arbeitgeberverbände lehnen den Sozialausgleich als bürokratisch und teuer ab. Geplante Änderungen bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln verurteilt die Opposition als Klientelpolitik zugunsten der Arzneihersteller.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Scharf schießen die Arbeitgeberverbände gegen das Vorhaben, dass Betriebe den Sozialausgleich abwickeln sollen.

Scharf schießen die Arbeitgeberverbände gegen das Vorhaben, dass Betriebe den Sozialausgleich abwickeln sollen.

© Steinach / imago

BERLIN. Gesundheitsminister Philipp Rösler vergrätzt mit seinen Reformen einerseits die Wirtschaft, andererseits wirft die Opposition ihm vor, "Handlanger der Pharmaindustrie" zu sein. Anlässlich der Anhörung von Verbänden zum GKV-Finanzierungsgesetz im Bundesgesundheitsministerium hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) massiv den Ton verschärft. Dabei wirft die Wirtschaft dem FDP-Minister vor, alle Wahlversprechen über Bord geworfen zu haben:

  • Statt nötiger Strukturreformen in der GKV wähle die Regierung den "einfachen Weg" und hole sich "frisches Geld" bei Versicherten und Arbeitgebern in Höhe von 6,3 Milliarden Euro.
  • An der lohnbezogenen Finanzierung von Krankheitskosten ändere sich praktisch nichts, kritisiert der BDA - ein Vorwurf auch gegen Kanzlerin Angela Merkel, die den Einstieg in eine Abkoppelung von Lohn- und Krankheitskosten mehrfach als herausragendes Merkmal der Reform gewürdigt hatte. Die Arbeitgeber monieren, das maximale, über Zusatzbeiträge von Versicherten zu tragende Finanzvolumen betrage "nur" zwei Beitragssatzpunkte - zu wenig für eine Entkoppelung von Arbeits- und Krankheitskosten.
  • Die Abwicklung des Sozialausgleichs über Arbeitgeber und Rentenversicherungsträger stößt auf massiven Widerstand. Diese führe zu Mehrbelastungen der Betriebe bei der Entgeltberechnung. Der BDA fordert, den Sozialausgleich komplett bei den Krankenkassen anzusiedeln. Bleibe die Koalition bei ihrer Aufgabenverteilung, müssten die Unternehmen "eine volle Kostenerstattung für die Übernahme dieser Fremdaufgabe erhalten".
  • Im Koalitionsentwurf las sich das ganz anders. Dort heißt es, den Arbeitgebern entstünden nur "geringe Mehrbelastungen", weil der Sozialausgleich sich leicht in die EDV-gestützte Abrechnung von Löhnen, Gehältern und Renten integrieren lasse.

Bei einer weiteren Baustelle von Philipp Rösler, dem Arzneimittel-Neuordnungsgesetz (AMNOG), kommt der Gegenwind von SPD und beim betroffenen Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Nach einem Koalitionsantrag, der der "Ärzte Zeitung" vorliegt, soll künftig das Ministerium statt wie bisher der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) die Kriterien für die Nutzenbewertung von Arzneimitteln regeln. Kritiker sehen darin eine Entmachtung der Selbstverwaltung. Rösler solle dann lieber gleich das IQWiG abschaffen, ätzte die SPD-Gesundheitspolitikerin Dr. Marlies Volkmer, da das Institut dann nur noch "Feigenblatt für eine unverfrorene Klientelpolitik" sei.

Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer hat das Vorhaben als Signal an die Pharmabranche verstanden, dass "der Standort Deutschland attraktiv bleibt". Dem widerspricht der neue IQWiG-Leiter Professor Jürgen Windeler. Der Pharmastandort werde "am besten durch überzeugende, konkurrenzfähige Produkte sichergestellt". Der Institutsleiter warnte, wer Maßstäbe für die Nutzenbewertung "verwässern" wolle, erwecke den Eindruck, "dass es zu wenige konkurrenzfähige Produkte am Pharmastandort Deutschland gibt und dieser deshalb besonderen Schutzes bedarf".

In der geplanten Verordnung soll unter anderem festgelegt werden, "welche Grundsätze für die Bestimmung der Vergleichstherapie gelten, in welchen Fällen zusätzliche Nachweise erforderlich sind sowie unter welchen Voraussetzungen Studien welcher Evidenzstufe zu verlangen sind". Die Industrie hatte wiederholt dafür plädiert, dass der Gesetzgeber und nicht die Selbstverwaltung die Kritierien verbindlich festlegt.

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