"Ich will dieses System von innen überlisten"

Immer wieder wird eine bessere Zusammenarbeit von Praxen und Kliniken angemahnt. Doch wer die Sektorengrenzen überwinden will, um eine sehr gute medizinische Versorgung anbieten zu können, der braucht vor allem Geduld und einen guten Juristen.

Christiane BadenbergVon Christiane Badenberg Veröffentlicht:
In der Offenbacher Diabetologischen Schwerpunktpraxis arbeiten Ärzte aus Klinik und Praxis Tür an Tür und Hand in Hand.

In der Offenbacher Diabetologischen Schwerpunktpraxis arbeiten Ärzte aus Klinik und Praxis Tür an Tür und Hand in Hand.

© privat

OFFENBACH. Manchmal trifft man Ärzte, die einen wirklich verblüffen. Und zwar weil man sich wundert, dass sie nicht am Gesundheitssystem verzweifeln, sondern unglaublich viel positive Energie darauf verwenden, es zu überlisten.

Und zwar im besten Sinne: für die Patienten und für die eigene Arbeits- und Lebenszufriedenheit. So ein Arzt ist der Offenbacher Diabetologe Dr. Christian Klepzig. Und sein Beispiel zeigt, dass eine gute medizinische Versorgung nicht selten hauptsächlich vom Engagement einzelner Ärzte und deren Mitstreitern abhängt.

Aber eigentlich sollten doch die Rahmenbedingungen, unter denen Ärzte arbeiten, dafür sorgen, dass eine gute Versorgung auf weitgehend gleichmäßig hohen Niveau sichergestellt ist. Egal von wem und wo ein Patient behandelt wird.

Doch was muss ein Arzt mitbringen, der vor Ort eine reibungslose Behandlung zwischen Klinik und Praxis für seine Patienten sicherstellen will? Spricht man mit Christian Klepzig, sind das wohl vor allem Intelligenz, Humor, hervorragender juristischer Beistand und vor allem Durchhaltevermögen. Auf Unterstützung für sein Engagement darf er nicht bauen.

Dr. Christian Klepzig:"Ich habe durch diese Arbiet viele Menschen kennen gelernt, die mich unglaublich motivieren."

Dr. Christian Klepzig:"Ich habe durch diese Arbiet viele Menschen kennen gelernt, die mich unglaublich motivieren."

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Als Christian Klepzig 2006 mit Kollegen einen integrierten Versorgungsvertrag zur Behandlung von Patienten mit einem diabetischen Fuß entwickelt, winken alle Krankenkassen ab. Bis auf die AOK. Die gewinnt er, genau so wie Mitstreiter am Klinikum Offenbach und am Frankfurter Bürgerhospital.

Auf juristischen Rat hin wird eine Teilgemeinschaftspraxis gegründet, die im Auftrag des Krankenhauses den IV-Vertrag erfüllt. "Als wir angefangen haben, betraten wir juristisch völliges Neuland", sagt Klepzig rückblickend.

Doch die Arbeit lohnt sich, zumindest ideell. Die Zahl der Patienten, bei denen eine Majoramputation gemacht werden muss, liegt bei Klepzig und seinen Mitstreitern um ein Drittel niedriger als in anderen Praxen.

24 Verbandswechsel für 39,72 Euro - das geht nicht

Schimpfen Ärzte sonst gerne auf Krankenkassen, gibt Klepzig zu: "Ohne die konstruktive Zusammenarbeit mit der AOK wären wir nicht da, wo wir sind". Allerdings verhindern die Regeln des deutschen Sozialrechts, dass die AOK in vollem Umfang von diesem Vertrag profitieren kann.

Werden Patienten amputiert und zum Pflegefall, ist die Pflegeversicherung für einen großen Teil der Versorgung zuständig und die Krankenversicherung spart Geld. Wenn die Amputationen vermieden werden, wird viel Geld in der Pflegeversicherung gespart.

Dieses wird den Mehrausgaben der Krankenversicherung aber nicht gegenübergestellt. "Statt sinnvoller kommunizierender Röhren bestehen isolierte Röhren, was Fortschritt behindert", ärgert sich Klepzig.

Die AOK lässt sich die umfassende Versorgung ihrer Patienten einiges kosten. "Für ein Regelleistungsvolumen von 39,72 Euro kann ich nicht bis zu 24 Verbandswechsel im Quartal machen, das wäre betriebswirtschaftlich Harakiri", sagt der Diabetologe.

In dem von ihm und seinen Kollegen mit enormem juristischen Beistand ausgehandelten Vertrag kommt er wenigstens zu einer schwarzen Null. Dafür ist gewährleistet, dass der Patient den Behandlungspfad möglichst nicht verlässt.

Internist und Chirurg arbeiten Tür an Tür, Klepzig und seine Kollegen halten Sprechstunden im Klinikum Offenbach ab und die Wundversorgung der IV-Patienten in der Klinik erfolgt ebenfalls durch die Mitarbeiter der Fußambulanz. Egal, auf welcher Station der Klinik sich die Patienten gerade aufhalten. Der Beitrag des Krankenhauses: Diabetologen aus der Klinik werden in die Praxis abgeordnet.

Unterstützung durch die KV - Fehlanzeige

Auf Unterstützung durch die KV konnte Klepzig bei seinem Vorhaben nicht setzen. Grund: In Hessen gibt es eine spezielle Altersversorgung für Ärzte (EHV), die auf der Grundlage der Gesamtvergütung basiert. Die wird von der KV verwaltet.

Die zunehmende Zahl von Direktverträgen zwischen Ärzten und Kassen, ohne Beteiligung der KV, verringert die Bemessungsgrundlage für die EHV. Weshalb die KV Verträge wie die von Christian Klepzig nicht goutiert. Außerdem sägt jeder Direktvertrag am Verhandlungsmonopol der KV.

Ein weiteres Problem ist für Klepzig die Fallzahlobergrenze von 948 Patienten für seine Praxis. Die überschreitet er mit 1350 Patienten pro Quartal deutlich. Betriebswirtschaftlich macht das keinen Sinn, Klepzig macht es trotzdem. Gerne würde der Diabetologe einen Weiterbildungsassistenten einstellen.

Befähigt dazu ist er, es macht ihm Spaß sein Wissen weiterzugeben, und der Assistent könnte helfen, die Wartezeit in der Praxis zu verkürzen. Doch würde Klepzig einen Assistenten einstellen, müsste man ihn für verrückt erklären.

Denn: Die Beschäftigung eines Weiterbildungsassistenten darf nicht zu einer Erhöhung der Fallzahl führen. "Ich kann einem Assistenten aber doch nicht zumuten, die ganze Zeit nur auf dem Stuhl zu sitzen und mir zuzuschauen", sagt der Diabetologe.

Würde er ihn arbeiten lassen, mache das aber auch keinen Sinn, rechnet Klepzig vor. "Ich arbeite 70 bis 80 Stunden in der Woche, davon bleiben mir 6000 Euro netto im Monat übrig. Das ist für mich okay. Würde ich dem Assistenten 3000 Euro davon abgeben, wäre das nicht in Ordnung. Das wäre für seine Arbeit keine angemessene Bezahlung und für mich wäre es natürlich auch finanziell nicht akzeptabel." Die Konsequenz: Klepzig bildet wie viele andere hochqualifizierte Ärzte, denen es Spaß machen würde ihre Kenntnisse weiterzugeben, niemanden aus.

Klinikärzte oft leicht überheblich

Zu wünschen übrig lässt nach Klepzigs Erfahrung auch oft der Umgang von Klinikärzten mit den niedergelassenen Kollegen: "Die denken über Praxisärzte doch oft: Da guckt auch mal wieder Klein-Doofi mit Plüschohren vorbei, nur weil wir selten die besonders kritischen Patienten sehen."

Das ist bei den Klinikärzten, mit denen er kooperiert, natürlich anders, aber er weiß, dass viele Klinikkollegen im Umgang mit den niedergelassenen Ärzten eine gewisse Überheblichkeit an den Tag legen. Um das gegenseitige Verständnis zu verbessern, fordert er, dass Weiterbildungsassistenten verpflichtend ein Jahr in der ambulanten Versorgung ableisten sollten.

Bis jetzt ist das lediglich eine Kann-Regelung. "Die Kammern sitzen da schon seit Jahren dran, ohne dass etwas passiert. Das muss vom Ministerium per Ersatzvornahme geregelt werden, sonst passiert da nie etwas", ist Klepzig überzeugt.

Doch warum tut sich der Diabetologe das alles an? Er könnte sich sein Arbeitsleben doch wesentlich leichter machen. "Ich habe irgendwann aufgehört gegen Windmühlenflügel zu kämpfen. Ich will dieses System von innen überlisten", sagt er. "Und außerdem habe ich durch diese Arbeit viele Menschen kennengelernt, die mich unglaublich motivieren."

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