Der Standpunkt

Kommunikativer Super-GAU

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

Der Autor ist Redakteur im Ressort Gesundheitspolitik der "Ärzte Zeitung". Schreiben Sie ihm: florian.staeck@springer.com

Was für ein Bild: Da steht die betagte Dame mit Rollator vor der Geschäftsstelle einer Krankenkasse. Die Türen sind zu, die City BKK-Versicherte ist verzweifelt. Kassen legen ihre Internetseiten lahm, damit bloß kein Versicherter der Pleite-BKK auf die Idee kommt, sich anzumelden.

Für die Gesetzliche Krankenversicherung mit über 125-jähriger Tradition sind die Bilder und Berichte über abgewiesene Versicherte ein kommunikativer Super-GAU. Binnen kürzester Zeit wird der Markenkern, das Solidarprinzip, ruiniert.

Ein Versicherter bezahlt nach seiner Leistungsfähigkeit, erhält aber Leistungen gemäß seiner Bedürftigkeit. Mit diesem Prinzip ist die GKV im deutschen Gesundheitswesen eine Institution geworden und hat eine sozial integrative Funktion über das Gesundheitswesen hinaus.

Diese Solidargemeinschaft zwischen Gesunden und Kranken hat in den vergangenen Tagen ihre kommunikative Kernschmelze erlebt. Die Bilder transportieren immer die gleiche Botschaft: Ja, auch in der GKV gibt es gute und schlechte Risiken. Und jede Krankenkasse, die zu viele schlechte Risiken hat, läuft Gefahr, sich einen Zusatzbeitrag einzuhandeln.

Dieser wirkt kurzfristig und brutal. Die Kassen, die einen Extraobolus einfordern müssen, geraten auf eine Rutschbahn, auf der es kein Halten gibt. Wer Glück hat, landet auf dem Schoß eines Fusionspartners. Wer kein Glück hat, der macht seine Versicherten zu Bittstellern anderer Kassen.

Der Preiswettbewerb, der von keinem Wettbewerb um Versorgungsqualität flankiert wird, setzt Entsolidarisierungseffekte frei, die nach der ersten Kassenpleite offenbar geworden sind. Dabei frappiert, wie wenig die GKV operativ auf diesen Tag X vorbereitet war.

War nicht absehbar, dass verstörte Menschen in - unbegründeter - Sorge um ihren Versicherungsschutz die Türen der Geschäftsstellen einrennen würden?

Vertrauen aufzubauen und damit die Marke GKV zu begründen, hat über 100 Jahre gebraucht. Zerstört werden dagegen kann Vertrauen binnen weniger Tage. Denn sicher ist: Die nächste Kassenpleite kommt bestimmt.

Lesen Sie dazu auch: City BKK: Bahr setzt Kassen Frist Pleitekassen: Ärger ums Honorar bei freiwilligen Leistungen Ärztin weist Versicherte der City BKK ab - Bahr: "Skandalös" Der Standpunkt: Kommunikativer Super-GAU

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Kommentare
? 23.05.201111:02 Uhr

Super-Gau

Per E-Mail erreichte uns folgender Kommentar von Dr. A. Schottdorf:

Der Weg zum Super-Gau war zwar auch mit vielen Hoffnungen, aber noch mehr Klientelpolitik gepflastert.

Nein, das, was wir derzeit erleben, ist, sehr geehrter Herr Staeck, mitnichten der Super-Gau; es ist ein Vorgeplänkel eines strukturellen, aber auch qualitativen Versorgungs-Notstandes, der eben nicht nur ländliche Regionen treffen wird/bereits trifft.

Als ärztliche Beraterin einer "neutralen Institution" zur medizinischen Beratung der Krankenkassen sehe ich täglich, wie der Kassenpatient, mehrheitlich den niedrigen Einkommens- und damit auch wenig wehrfähigen Gruppen zugehörig, vorgeblich fürsorglich seitens der Krankenkassen "gesteuert" wird, wie an allen Ecken und Enden versucht wird, die Ausgaben zu drosseln bei gleichzeitigem kassenseitigen Bemühen um Personalabbau, wie versucht wird, den politisch erwarteten prädiktiven Nutzen von "Wettbewerb", sprich "Konkurrenz" in der Versorgungsebene vorrangig pressewirksam durch medizinisch oft wenig sinnvolle, kassenseitig selbstgestrickte Versorgungskonzepte zu Tage zu fördern, wie der Datenschutz zu einer bestenfalls nur störenden Hürde verkommt - beim Zusammenführen elektronischer Daten und alte oder/und kranke Patienten anderer Kassen oder des Sozialamtes alles andere willkommen geheißen werden.

Ja, es ist seit Jahren politischer Wille, die Zahl der Krankenkassen zu verkleinern; dies geschieht nun. Ob zum Nutzen oder Schaden der Patienten ist ungewiss. Ob wenige Kassen effizienter arbeiten und sinnvoller steuern als regional verankerte Kassen: daran darf gezweifelt werden. Belastbare Daten fehlen.

Ob die Steuerungsmittel des Gesundheitsfond in Form von z.B. Minderungen der Zuweisung bei über dem Durchschnitt liegenden Krankengeldzahlungen mit der Folge z.B. der Erhebung eines Zusatzbeitrags die für den Versicherten langfristig leistungsfähigesten Kassen unterstützt, muss doch nachdrücklich in Frage gestellt werden.

Hinzu kommt, dass Krankenkassen noch immer dem auch politisch unverdrossen weiter kommunizierten Dogma des "Mehr Medizin ist bessere Medizin" huldigen; auf dem Hintergrund fehlender politischer Unterstützung - vor allem dank hocheffizienter Lobbyarbeit gesundheitsassoziierter Industriezweige - ist dies auch nicht anders zu erwarten.

Zukunftsweisende Versorgungsmodelle gibt es wenige, im Vergleich zu RLV und QZV irratonal hoch bewertete regionale Einzel- oder Gruppenverträge gibt es viele. Eine bedarfsgerechte und gleichmäßige (!) Versorgung, wie sie in Paragraf 70.1 SGB V vorgesehen ist, schwindet zusehends: Wenn eine augenärztliche Nachuntersuchung um Rahmen eines Lucentis-Sondervertrags mit 80 - 120 Euro dotiert ist (bei regelhaft 3 Injektionen pro Monat entsprechend 240 - 360 Euro), ein konservativ tätiger Augenarzt jedoch nur ein Regelleistungsvolumen von 18,06 Euro (pro Quartal 2/2011 KVNO) bei einer Fallzahl von unter 1300 erhält (und davon sämtliche Kosten bestreiten muss), lässt sich ermessen, warum Patienten beim gesundheitspolitisch gescholtenen nicht-operativ tätigen Augenarzt regelhaft draufzahlen, ganz zu schweigen davon, dass versorgungsrelevante Fragen selten das Forschungsinteresse der Industrie beflügeln, es sei denn, ein Produkt lässt sich unter Abschottung des Marktes ungestört und hochpreisigst - siehe Lucentis: über 1200 Euro pro Spritze - vergolden.

Eine gesamtgesellschaftlich geführte offene Diskussion darüber, welche Gesundheitsversorgung wir wollen und wie sie organisiert sein kann ist bitter nötig - für alle.

Wir alle, privat oder GKV-versichert, werden uns noch warm anziehen müssen.

Mit besten Grüßen
Dr. A. Schottdorf

Almut Rosebrock 21.05.201108:07 Uhr

Abwärts

Als Kritikerin des Gesundheitsfonds von Anfang an als riesige (Daten-)Verwaltungs-, Geldumschichtungs- und Vernichtungsapparatur staune ich, in welcher Deutlichkeit und Härte (die leider meist die Schwachen besonders trifft)die Entscheidungen unserer jungen Minister, heißen sie Rösler, zu Guttenberg (Zivildienstabschaffung), Schröder (kein Elterngeld, keine Kindergelderhöhungen mehr für arme Eltern) binnen kurzem die Realitäten prägen - und erschüttern. So richtig hat im Vorfeld darüber natürlich keiner nachgedacht... .
Geht es hier eigentlich noch um Qualität der Gesundheitsversorgung, um das Wohl der Patienten, um Lebensqualität?
Leider bleibt dieses zentrale Anliegen ob der Vorschriften- und Regelungsflut im Alltag immer mehr auf der Strecke - und das in Arztpraxen, Apotheken, in Krankenhäusern, bei Therapeuten und auch bei Krankenkassen.
Verantwortlichkeit und Umsicht sind das Gebot der Stunde, bei sinnvoller und durchdachter Kontrolle und Führung.
(Wie das in EU und Weltwirtschaft weitergehen wird...)
Nun fragt man sich, welche Krankenkassen als nächste in den Brunnen fallen wird. Es lebe "Survival of the fittest"...!
A. Rosebrock, Apothekerin

Dr. Thomas Georg Schätzler 20.05.201115:30 Uhr

Die Gesetzlichen Krankenversicherungen - Eine Performance des Grauens!

Dieser Imageverlust nicht nur des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen ist grotesk. Als Körperschaften Öffentlichen Rechts fernab von Sinn und Wesen der Sozialgesetzgebung, dilettiert man auf dem Rücken von Versicherten, Alten, Kranken und auch Jungen, den unversichert umherirrenden Mitgliedern der insolventen City-BKK.

Man kann dem ÄZ-Kommentator Florian Staeck nur zustimmen, ein echter GKV-GAU:

1. Krankheit, vitale Gefährdung und chronische Leiden sind körperliche, mental-psychische, soziale und ökonomische Existenzbedrohungen.

2. Aus dem Stand heraus kann keiner stationäre/ambulante Maximalmedizin bei Systemerkrankungen, kardiorespiratorischen Extremfällen, Reanimation, Krebsleiden, Rheuma, Intensivbehandlung, schweren Infektionen bzw. Palliativmedizin autonom und autark finanzieren.

3. Jeden von uns kann es wie der Blitz aus heiterem Himmel treffen. Niemand ist gefeit. Die Nicht-Betroffenen können sich glücklich schätzen.

4. Dafür steht weltweit einzigartig das bisher n o c h solidarisch und fast paritätisch beitragsfinanzierte GKV-System der Bundesrepublik Deutschland. In den USA wird darum ein K u l t u r k r i e g entfacht.

5. Jede/r, egal ob aus Politik, Wissenschaft, GKV-Kassen, Krankenhäusern, Verwaltungen, Ärzteschaft, Behörden, Öffentlicher Hand, Ambulanzen, MVZ''s und Praxen sollten sich grundsätzlich im Klaren sein, dass das System der GKV nicht nur ihn selbst und seine Arbeit absichert, sondern auch den schlimmsten möglichen Krankheitsfall abfängt.

6. Alle Versuche zur Destabilisierung und Entsolidarisierung (Kopfpauschale, einseitige Beitrags- und Zuzahlungserhöhungen, Torpedierung hausärztlicher Primärversorgung, Senkung der Beitragsbemessungsgrenze) gefährden die 125 Jahre alten Grundfesten einer Krankenversicherung für A l l e mit sozialem Frieden, vitaler Absicherung und Hilfe für Schwerstkranke.

7. Der Gesundheitsfonds in der jetzigen Form mit massiven Einnahmerestriktionen für die Kassen, Kürzungen für die Leistungserbringer, asymmetrischen Zuwendungen, Mittelabzweigung für Rückstellungsreserven und fehlender Konjunkturanpassung führt zu Verunsicherung von Versicherten und Allen im Gesundheitswesen Beschäftigten, Kasseninsolvenzen und unabsehbaren Vertrauensverlusten.

8. Zukunftssichernde, einkommensangepasste Erhöhungen der Beitragsbemessungsgrenze, Bundes- und Länderfinanzausgleich für politisch motivierte und gewünschte Zusatz- und Präventionsleistungen sichern der GKV die Erfüllung ihrer Zielsetzungen:

Untersuchung, Diagnose, Behandlung, Heilung, Linderung, Palliation und Prävention!

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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