Ärztek(r)ampf im Kinderland

Zwischen Haus- und Kinderärzten tobt ein heftiger Streit. Grund ist ein Fragebogen für U-Untersuchungen. Erste Ärzte wurden bereits abgemahnt, andere befürchten Honorareinbußen. Doch eigentlich geht es bei dem Zoff um etwas ganz anderes.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

NEU-ISENBURG. An einem schönen Juli-Tag flatterte der Hausärztin Dr. Anne Breetholt aus Ochtrup ein Schreiben der BVKJ Service GmbH, einer 100-prozentigen Tochter des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), ins Haus.

"In der Abmahnung wurde ich aufgefordert, sofort den Mannheimer Elternfragebogen als Download von meiner Webseite zu nehmen. Anderenfalls drohe eine empfindliche Strafe", berichtet Breetholt der "Ärzte Zeitung".

MEF-Verwendung nicht für Jedermann

Der Mannheimer Elternfragebogen (MEF) ist ein Anamneseinstrument bei Kindervorsorgen. Der von Professor Günter Esser (Universität Potsdam) entwickelte Bogen ist zugleich verpflichtender Bestandteil von etlichen Selektivverträgen.

Das bedeutet: Wer die Kindervorsorge nicht durch den MEF dokumentiert, kann die Leistung auch nicht abrechnen. "Mir ist bis heute nicht klar, ob ich den MEF nutzen darf", berichtet die Hausärztin Breetholt.

Sie schrieb an den BVKJ, um eine Genehmigung einzuholen. Antwort der Servicegesellschaft: Die MEF-Verwendung sei "ausschließlich (Kinder- und Jugend-) Ärzten vorbehalten, die an entsprechenden Selektivverträgen teilnehmen", hieß es.

Fragebogen war frei verfügbar

Dr. Wolfram Hartmann, Bundesvorsitzender des BVKJ

Dr. Wolfram Hartmann, Bundesvorsitzender des BVKJ

© privat

Bis vor kurzem ist der Fragebogen frei verfügbar gewesen, abgedruckt findet er sich noch in einem Lehrbuch von Professor Esser ("Lehrbuch der klinischen Psychologie und Psychotherapie"). Das bestätigt der Bundesvorsitzende des BVKJ, Dr. Wolfram Hartmann.

"Wir haben ein Urheberrecht an den Fragebögen, dafür haben wir eine Lizenz bei Professor Esser erworben", berichtet Hartmann der "Ärzte Zeitung".

30 Ärzte abgemahnt

Hausärzte, die entsprechend qualifiziert sind und die Fragebögen nutzen möchten, müssten "eine Verwaltungsgebühr von 1,7 Prozent des Honorars an die BVKJ Service GmbH zahlen", sagt Hartmann.

Das gelte ebenso für Pädiater, und es gebe keinen Grund, Hausärzte im Vergleich zu Kinder- und Jugendärzten zu bevorzugen. Bei einer Vorsorgeuntersuchung, die 50 Euro einbringe, entspreche dies 85 Cent, rechnet Hartmann vor.

Der BVKJ hat sein Urheberrecht auf den MEF in den vergangenen Monaten rigoros durchgesetzt. Rund 30 Ärzte seien in der Folge abgemahnt worden, so der Chef des Berufsverbands.

Will BVKJ Hausärzte aus der Versorgung drängen?

Die Unsicherheit im Umgang mit dem Fragebogen lässt auch die Hausärztin Lisa Degener aus Altenberge im Münsterland ratlos zurück. Sie habe im Quartal im Schnitt 50 Patienten, bei denen sie die Vorsorgeuntersuchungen vornehmen möchte, berichtet sie.

"Offiziell hat der BVKJ nie erklärt, ob und unter welchen Bedingungen wir Hausärzte über den MEF verfügen können", sagt sie der "Ärzte Zeitung".

Degener wie auch ihre Kollegin Breetholt vermuten, dass Hausärzte vom BVKJ aus den Vorsorgen "rausgedrängt" werden sollen.

Hausärzte spielen bei Kindervorsorge "überhaupt keine Rolle"

Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender Hausärzteverband

Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender Hausärzteverband

© Stefan Kuhn

Ein Vorwurf, den Verbandschef Hartmann als "abenteuerlich" zurückweist. 90 Prozent der Vorsorgen würden beim Pädiater gemacht, Hausärzte spielten auf diesem Gebiet "überhaupt keine Rolle", sagt er.

Eine Mutmaßung, die Hausärztin Breetholt aus Ochtrup, das im nordwestlichen Münsterland gelegen ist, nicht bestätigen kann. In ihrer Praxis beträgt der Kinderanteil bis zu 30 Prozent. Und: der nächstgelegene Pädiater ist 20 Kilometer entfernt.

"Rigide unkollegiale Politik"

Der BVKJ-Bundesverband betrachte nur die Großstadt, "blendet aber die Versorgungssituation auf dem Land komplett aus", sagt dazu Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Hausärzteverbandes.

Beim diesjährigen Hausärztetag hatte Weigeldt den Streit um den MEF als "rigide unkollegiale Politik" des BVKJ-Bundesverbandes gegeißelt, bei dem es nur um das "Abstecken von Honorarclaims" gehe.

Die Versorgungspraxis vor allem in ländlichen Regionen sehe ganz anders aus, sagt Weigeldt der "Ärzte Zeitung". Dort sei kollegiale Kooperation an der Tagesordnung und "Kinderärzte handeln im Interesse einer verlässlichen, medizinischen Versorgung der Kinder gemeinsam mit Hausärzten".

Trauma 2008?

Nur an einem Punkt dürften Weigeldt und Hartmann übereinstimmen: "Ja, es ist ein Funktionärsstreit", bestätigt der BVKJ-Chef - die Causa reicht mindestens bis 2008 zurück: "Der Hausärzteverband hat als erster mit der AOK Baden-Württemberg einen Vertrag geschlossen und uns dabei vor der Tür gelassen", so Hartmann.

Viele Beobachter meinen, dass dieses Trauma die BVKJ-Vertragspolitik bis heute bestimmt. Hartmann wiederum versteht den Hausärzteverband nicht: Hausärzte hätten mit der Versorgung alter Menschen mehr als genug zu tun.

Er frage sich, warum der Hausärzteverband bei der Versorgung von Kindern "einen Streit vom Zaun bricht".

Beteiligte KV veruschen zu vermitteln

Weil auf Verbandsebene die Fronten verhärtet sind, versuchen an Verträgen beteiligte KVen zu vermitteln. Die KV Westfalen-Lippe habe ein großes Interesse, dass Hausärzte auch künftig an den Selektivverträgen teilnehmen und damit den MEF nutzen können, sagte KV-Sprecher Christopher Schneider.

Man befinde sich in "fortgeschrittenen Gesprächen", um eine Regelung zu finden und bitte die Ärzte "um Geduld".

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