Hintergrund

Von diesen Faktoren hängt die Wartezeit in Praxen ab

Große Kontroverse um die Wartezeiten-Studie der Uni Hamburg: Während die KBV den Mythos der Zweiklassenmedizin widerliegt sieht, lassen sich die Ergebnisse auch ganz anders auslegen: Wie lange ein Patient auf einen Arzttermin oder in der Praxis warten muss, hängt laut der Studienautoren von drei Faktoren ab.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Alltag im Wartezimmer: Die Terminvergabe.

Alltag im Wartezimmer: Die Terminvergabe.

© ISO K° - photography / fotolia.com

Eine jüngst veröffentlichte Studie der Uni Hamburg hat durch eine Interpretation der KBV bundesweite Aufmerksamkeit erfahren.

Die Körperschaft bewertet die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe um Professor Jonas Schreyögg als "Versachlichung zum Thema Wartezeiten", die zeige, "dass eine in Deutschland viel beklagte Zweiklassenmedizin ein Mythos ist.

Es lässt sich nicht ermitteln, dass privat Versicherte Vorteile in der medizinischen Versorgung gegenüber gesetzlich Versicherten haben", lautete das Fazit der KBV.

Facharzttermin: Privatpatient kommt neun Tage schneller dran

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie lassen sich ohne die KBV-Interpretation auch anders lesen. Denn dass gesetzlich und privat Versicherte ähnlich lange beim Arzt und auf einen Arzttermin warten, entspricht nur im Ansatz den Studienergebnissen. Immerhin beträgt der Unterschied in der Wartezeit auf einen Facharzttermin neun Tage - GKV-Versicherte dagegen müssen 16 statt sieben Tage warten.

Damit gilt der Versichertenstatus als wichtiger Einflusswert für den Arztzugang. "Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Mitgliedschaft in einer privaten Krankenversicherung eine aussagekräftige Rolle für den Zugang zur Versorgung spielen", heißt es in der Studie.

Der Unterschied wird mit den knapperen Ressourcen bei den Fachärzten erklärt. Und wer im Wartezimmer eines Hausarztes sitzt, muss als GKV-Versicherter immerhin 41 Minuten auf den Arzt warten, privat Versicherte dagegen 31 Minuten. Dieser Unterschied wird auch darauf zurückgeführt, dass eine Terminsprechstunde in Hausarztpraxen schwerer umsetzbar ist

Wartezeit in andern Ländern viel höher

Insgesamt betonen die Autoren, dass die deutschen Wartezeiten im internationalen Vergleich sehr gering sind. "In anderen Ländern wird die Wartezeit nicht in Tagen, sondern in Monaten gezählt", so Schreyögg zur "Ärzte Zeitung".

Nach Aussage der Autoren liegt zudem keinerlei Evidenz vor, dass eine längere Wartezeit von einigen Tagen einen negativen Einfluss auf die Behandlungsqualität hat.

Die Schlussfolgerung Köhlers, wonach die Zweiklassenmedizin in Deutschland ein Mythos sei, lässt sich laut Schreyögg aus der Studie aber nicht ziehen: "Die Zweiklassenmedizin ist mit unserer Studie weder belegt noch widerlegt."

Einkommen und Termingründe sind auch entscheidend

In der bislang nur auf Englisch vorliegenden Studie hat er neben dem Versichertenstatus auch den Einfluss des Einkommens und der Termingründe auf die Wartezeiten untersucht.

Einkommen: Hier stellen die Studienautoren einen moderaten Einfluss für die Terminvergabe in Hausarztpraxen fest, bei den Fachärzten ist dieser Einfluss schwächer.

Wer über ein Haushaltseinkommen von über 2000 Euro im Monat verfügt, bekommt in Hausarztpraxen im Durchschnitt einen Tag früher einen Termin als mit einem Haushaltseinkommen von unter 500 Euro.

In Facharztpraxen schlägt sich der Einfluss des Einkommens erst ab einem Einkommen von mehr als 5000 Euro spürbar in kürzerer Wartezeit nieder. Höheres Einkommen verkürzte übrigens auch die Wartezeit in den Wartezimmern sowohl in Haus- als auch in Facharztpraxen leicht. Die Studienautoren führen als möglichen Grund an, dass besser verdienende Patienten empfänglicher sein könnten für privat zu zahlende Zusatzleistungen.

Die Gründe für den Arztbesuch: Auch dies sind Einflussgrößen auf die Wartezeit, allerdings spielen sie eine deutlich geringere Rolle als der Versichertenstatus.

Patienten mit akuten Erkrankungen bekommen in Hausarztpraxen schneller einen Termin als Patienten, die nur über akute Beschwerden klagen, chronische krank sind oder andere Gründe angeben. Der Unterschied beträgt im Schnitt einen Tag.

Im Wartezimmer gelten dann andere Prioritäten: Mit akuten Erkrankungen wartet man in Hausarztpraxen vier bis fünf Minuten länger als andere Patienten. Die Autoren führen dies darauf zurück, dass die ernsten Akutfälle sich oftmals keinen Termin besorgen konnten.

Vergütung spielt offenbar eine Rolle

Keine Aussage treffen die Studienautoren zur Qualität der Behandlung in Abhängigkeit von Einkommen oder Versichertenstatus. Um die in der Studie festgestellten Ungleichgewichte beim Zugang zur Versorgung auszugleichen, schlagen sie als wichtigstes Mittel eine Angleichung der Vergütung vor.

Denn die im Schnitt um den Faktor 2,28 höhere Vergütung für privat Versicherte scheint nach ihren Ergebnissen einen großen Einfluss auf den Arztzugang im ambulanten Sektor zu haben.

Als weitere Instrumente kommen Online-Plattformen in Frage, über die Patienten freie Arzttermine belegen können. Diese Termine könnten unabhängig vom sozioökonomischen Status vergeben werden.

Erste Modelle hierzu laufen derzeit in den USA, Kanada und Großbritannien. Ob sie zu einer spürbaren Angleichung zwischen den Versichertengruppen und zu einem schnelleren Arztzugang führen, ist aber noch nicht belegt.

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