Köhler: EBM-Evolution bis 2014

Keine radikale Reform, sondern Evolution. KBV-Chef Köhler präzisiert im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" die EBM-Reform. An der Struktur will er nicht rütteln, wohl aber an den Leistungen. Priorität sollen Hausärzte und Orthopäden haben.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
KBV-Chef Köhler: "Der hohe Pauschalisierungsgrad der Vergütung bei Hausärzten bildet "derzeit nicht die Morbidität ab."

KBV-Chef Köhler: "Der hohe Pauschalisierungsgrad der Vergütung bei Hausärzten bildet "derzeit nicht die Morbidität ab."

© dpa

BERLIN. Die KBV will aus Fehlern klug werden. Trotz erheblicher Zuwächse bei der Gesamtvergütung in den Jahren von 2007 bis 2009 löste die letzte große EBM-Reform erheblichen Verdruss aus, weil es zu Verwerfungen zwischen den Arztgruppen, aber auch innerhalb von Arztgruppen kam - und als Folge dessen zu erneuten Korrekturläufen, mitunter im Quartalstakt.

"Deshalb wollen wir keine radikale Reform, sondern eine schrittweise Evolution", versichert KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Köhler im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Das heißt: Es wird keine Änderung der Kapitelstruktur geben. Regelhafte Leistungen werden weiterhin in Komplexen vergütet. Die einzelnen EBM-Kapitel werden Schritt für Schritt auf Korrekturbedarf überprüft und überarbeitet.

Priorität sollen dabei die Hausärzte und Orthopäden haben, weil Köhler bei diesen Gruppen den größten Anpassungsbedarf sieht. Gespräche mit dem Hausärzteverband stehen noch bevor.

Zuschläge für Chroniker

Ursächlich dafür ist der gesetzliche Anspruch auf eine Vergütung und ihre Weiterentwicklung nach der Morbidität und dem daraus resultierenden Behandlungsbedarf.

Dem widerspricht aber der gegenwärtig hohe Pauschalisierungsgrad der Vergütung. Das macht es auch schwer, Leistungsverlagerungen von der stationären in die ambulante Behandlung nachzuweisen.

Eine neue Kategorie in der Vergütungssystematik sollen Zeitzuschläge für Leistungen bei besonderer Inanspruchnahme durch chronisch kranke Patienten sein. Anlass könnte beispielsweise ein besonderer Beratungsbedarf bei Diabetikern sein.

Die bisherige Trennung der Vergütung von Haus- und Fachärzten, so versichert Köhler, bleibt erhalten.

Leistungsbewertung soll angepasst werden

Nach einem Beschluss der KBV-Vertreterversammlung vom 26. April soll der Vorstand mit Hilfe externer Gutachter vor dem Hintergrund der aktuellen Gesetzeslage und der höchstrichterlichen Rechtsprechung das aktuelle Verfahren der Vergütungstrennung und die Vorwegabzüge für bestimmte Leistungen bis Ende September überprüfen lassen. Die FALK-KVen sehen dies mit Besorgnis.

Notwendig ist laut Köhler aber auch eine Überprüfung der Leistungsbewertung. Eine wesentliche Einflussgröße ist der kalkulatorische Arztlohn, der sich nach dem Gehalt eines Klinik-Oberarztes bemessen soll. Das sind derzeit 105.000 Euro im Jahr.

Dieser kalkulatorische Arztlohn stammt aber aus den Gehaltstarifen der Klinikärzte von 2004 - jener Zeit, in der der Marburger Bund noch unter Federführung von verdi die Tarifgehälter der Ärzte verhandeln ließ.

Seit der Marburger Bund als Spartengewerkschaft eigenständig Tarifverträge abschließt, sind die Gehälter der Klinikärzte kräftig gestiegen.

Daran mit dem kalkulatorischen Lohn für Vertragsärzte anzuschließen wird umso anspruchsvoller, als nicht einmal der Wert von 2004 von den meisten Arztgruppen erreicht wird.

Zwei bis drei Millionen Investitionsstau

Der zweite, ebenfalls konfliktreiche Aspekt sind die Praxiskosten. Die Kalkulationsbasis für die geltende Vergütung ist zehn Jahre alt, die seitherige Inflation ist nicht berücksichtigt.

Nach Erkenntnissen der KBV haben die Ärzte darauf mit Personalabbau und Rückstellung von Investitionen reagiert. Köhler beziffert den Investitionsrückstau in den Praxen auf zwei bis drei Milliarden Euro.

Besonders prekär erscheint aber im Lichte knapp werdender ärztlicher Arbeitskraft, dass die Vertragsärzte bei ihren Medizinischen Fachangestellten sparen (müssen).

Dies ist ein Widerspruch zu der als notwendig anerkannten Delegation ärztlicher Leistungen an andere medizinische Fachberufe.

Ein weiteres ebenfalls schwer zu erreichendes Verhandlungsziel der KBV soll es sein, dass der vereinbarte Orientierungspunktwert auch dem kalkulatorischen Punktwert entspricht und idealerweise bei sechs Cent liegt.

Köhler weiß, dass dies ceteris paribus ein zusätzliches Vergütungsvolumen von 17 Milliarden Euro erfordern würde, was jenseits jeder wirtschaftlichen Realität liegt.

Gestaltungsspielraum für die Länderebene

Eine Möglichkeit wäre es, die Punktzahlen je Leistung bei gleichem Preis so abzusenken, dass der erwünschte Orientierungspunktwert erreicht wird. Das kann man freilich nicht über alle Leistungen gleichmäßig machen.

Eine Option wäre aber, die Zeitbedarf-Kalkulation differenziert neu zu justieren und dabei auf Kosten technischer Leistungen zugunsten der zeitgebundenen Leistungen Honorar freizuschaufeln.

Eine weitere, durchaus erwägenswerte Möglichkeit wäre es, die Fixkosten einer Praxis nur bis zu einer bestimmten Fallzahl pro Praxis oder Arzt zu vergüten und darüber hinaus nur noch die variablen Kosten zu honorieren.

Köhler gesteht allerdings zu, dass es nicht einfach ist, die jeweiligen Grenzwerte festzulegen. Das müsse auf jeden Fall differenziert geschehen.

Dabei sollten auch die Länder-KVen Gestaltungsspielraum haben: in Bezug auf besonders förderungswürdige Praxen und Leistungen, unter Sicherstellungsaspekten und unter Berücksichtigung besonderer Praxisstrukturen.

Dieses Modell würde es nach Köhlers Auffassung erlauben, auf die rund 22.000 Leistungsausschlüsse im EBM zu verzichten.

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