Psychosen

Psychotherapeuten oft überfordert

Die Leitlinien sind klar: Bei Patienten mit schweren Psychosen ist die Psychotherapie ein Muss. Die Versorgungspraxis sieht anders aus - es hakt an mehreren Stellen.

Veröffentlicht:

DÜSSELDORF (iss). Bei der psychotherapeutischen Versorgung von Menschen mit schweren oder chronischen psychiatrischen Erkrankungen klafft eine große Lücke zwischen Theorie und Praxis.

"Es gibt einen erheblichen Wissenszuwachs zu Erkrankungen und Behandlungsmöglichkeiten, der aber in der Versorgungspraxis nicht ankommt", sagte Achim Dochat, Leitender Psychologe bei der Bergischen Diakonie in Wuppertal, bei einer Veranstaltung anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf.

"Nur etwa fünf Prozent der Patienten mit schweren und chronischen Psychoseerkrankungen erhalten psychotherapeutische Behandlung", sagte er.

Das sei eine überraschend geringe Zahl, die sich in den vergangenen Jahren nicht wesentlich verändert habe. "Dieser Befund muss uns wachrütteln", betonte er.

Zum einen stehe er in Gegensatz zum Stand der Wissenschaft und zu fachlichen Empfehlungen. Zum anderen gebe er dem alten Vorwurf Nahrung, dass sich die Psychotherapeuten nicht um die Patienten mit schwierigen Erkrankungen kümmern.

Die leitliniengerechte Behandlung schließe die Psychotherapie mit ein, sagte Dochat. "Die Leitlinien zur Schizophreniebehandlung empfehlen Psychotherapie in allen Stadien der Behandlung."

Schwierige, unzuverlässige Klientel

Der Psychologe nannte mehrere Gründe für die geringe Rolle der Psychotherapie in der Psychosenbehandlung, darunter die geringen Kapazitäten und der nach wie vor bestehende Vorbehalt, dass die Therapieform kontraindiziert sei.

"Die Psychotherapie-Richtlinien behandeln Psychosen eher als Randgebiet mit spezifisch zu begründender Indikation", sagte er.

Hinzu kommt: "Nicht alle Psychotherapeuten sind bereit und kompetent zur Psychosenbehandlung." Sie scheuten die erschwerte Antragstellung und die eventuell schwierige und langwierige, terminlich eher unzuverlässige Klientel.

Zudem schafften es viele Patienten nicht, die Hürden auf dem Weg zu einer Psychotherapie zu überwinden.

Ein weiterer Faktor sei, dass schwer und chronisch psychisch Kranke vor allem durch Angebote der Gemeindepsychiatrie Unterstützung erhielten. "Die sehen in der Regel keine Psychotherapie vor."

Zur Verbesserung der Situation fordert Dochat den Ausbau der Behandlungskapazitäten in der Psychotherapie, ein größeres Engagement und eine bessere Qualifizierung der Psychotherapeuten sowie eine Erweiterung der Psychotherapie-Richtlinien.

Außerdem hält er es für notwendig, die Psychotherapie als integralen Bestandteil in den ambulanten gemeindepsychiatrischen Versorgungsnetzen zu verankern.

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Kommentare
Dipl.-Psych. Wolfgang Ebers 26.09.201200:56 Uhr

Klinik,Psychiater,Psychotherapeut, Wohnheim - oft ein NO GO !

Die ambulante Psychotherapie der an Psychosen erkrankten Menschen liegt schon lange im Argen. Dies liegt m.E. zum einen daran, daß bereits in Kliniken eine psychotherapeutische Betreuung (idealerweise schon die ambulante)
> oft selten bis nie initiiert wird
>sich schon die Entlassung zu einem niedergelassen Psychiater o. Nervenarzt als Problem für den Patienten gestaltet und meist wg. der Med.-Veränderung bzw. fehlender Absprache der behandelnden Ärzte usw. die Basis für,auch mit krankheitsbedingte, fehlende Compliance gelegt wird.
> häufige und zuverlässige Patientenkontakte eben eher selten sind
und damit die Unsicherheit des Therapeuten über die ablaufende Dynamik extrem erhöhen
>Psychotherapeuten nicht faul sind, nur weil sie nicht alle an Psychose erkrankten Patienten übernehmen können.
>Die patientengerechte Kommunikation zwischen Psychotherapeuten und Psychiater schwierig ist
> Keine Eingriffsmöglichkeiten (Überweisung/Einweisung in die Klinik) des Psychologischen Psychotherapeuten bei vermuteter Selbst-/Fremdgefahr nicht da sind, selbst wenn jahrelange psychiatrische Erfahrung vorliegt, zumal die Zuverlässigkeit hinsichtlich "Verträgen" und "Versprechen" (ja ich gehe zum Psychiater) bei Prodromi schwierig bis nicht einzuschätzen ist.
>ambulante Psychiatertermine akut noch schwieriger zu kriegen sind als Psychotherapietermine
>MVZ-Ärzte hinsichtlich der problematischen Kommunikation dieser Krankheitsbilder noch weniger Zeit haben als die Einzelpraxis
vor allem dann, wenn der Patient als "austherapiert" gilt.
>es ärztlichen wie psychologischen Psychotherapeuten nicht selten an ausreichender Psychiatrieerfahrung mangelt und
>bei Fragestellungen zur Entlassung aus der Klinik hinsichtlich Prognose nicht hinzugezogen werden
>Multimorbidität (Drogen,Nikotin,Med. etc.) ein zusätzliches Problem ist.
>Psychologische, aber auch ärztliche Psychotherapeuten von der psychiatrischen Weiterbildung und Entwicklung (neue Behandlgs.-methoden/Medikationen/Interaktionen von Med. etc. (durch die Pharmafirmen) ausgeschlossen sind und deshalb vor allem
>psychologische wie ärztliche Psychotherapeuten nicht einsehen, daß sie bei derartigen Umfeldproblemen und sowieso extrem schlechter Honorierung (wobei die schwere der Erkankung noch nicht berücksichtigt ist) Risiken allein übernehmen sollen.
>Vor allem für die Nachsorge: Häuser für betreutes Wohnen, teilstat. Langzeiteinrichtungen etc. rechnen sich wohl nicht und sind von den Kassen/Kreisen zu schlecht bezahlt um kompetentes Personal anzustellen.
Warum hinsichtlich dieser Patientengruppe mit schweren psychischen Erkrankungen wenig bis keine ambulanten Gruppen gibt ist nach obigen Ausführungen wohl obsolet.
Da überlässt die Gesellschaft diese Patienten, insb. die jugendlichen und jungen Erwachsenen, doch lieber den sozialpsychiatrischen Diensten, deren eh schon überlasteten Mitarbeiter die Gruppen dann an Sozialpädagogigstudenten weiterreichen, die dann nicht selten raten Neuroleptika abzusetzen.
Es finden sich gute Ansätze zur Behandlung von Psychosen bei: Luc Ciompi, Benedetti, Mentzos Stavros (um nur einige zu nennen) und entsprechender verhaltenstherapeutische Ansätze Brandstätter et. al. und insb. für medical compliance - wenn es auch ältere Autoren sind sind sie nicht unbedingt schlecht ...

Mit koll. Grüßen

Dipl.-Psych.
PP und KJP
W.Ebers
Stegaurach



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