Pro & Contra

Zank ums Berufsbild Osteopath

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Bei chronischem Kreuzweh kann der Osteopath manchmal helfen.

Bei chronischem Kreuzweh kann der Osteopath manchmal helfen.

© Dan Race / fotolia.com

Die Osteopathie wird immer beliebter in Deutschland. Die Rolle der Osteopathen ist allerdings umstritten, wie unser Pro und Contra mit zwei Experten zeigt.

Von Jana Kötter

NEU-ISENBURG. Alternative Medizin, und damit auch die Osteopathie, wird immer beliebter: Rund 4000 osteopathische Praxen gibt es mittlerweile laut "Konsensgruppe Osteopathie" in Deutschland, jährlich werden nach ihren Angaben bis zu 5,6 Millionen Menschen osteopathisch behandelt.

Die Rolle des Osteopathen in der medizinischen Landschaft ist dabei jedoch umstritten - auch, weil dessen Ausbildung noch nicht eindeutig geregelt ist.

Bereits im Oktober 2013 hat der Bundesverband Osteopathie gemeinsam mit anderen Osteopathieverbänden die berufspolitische Notwendigkeit eines eigenständigen Heilberufs "Osteopath" gefordert.

"Die staatliche Anerkennung des Berufsbildes ist längst überfällig", sagt Professor Marina Fuhrmann, Vorsitzende des Verbandes der Osteopathen Deutschland (VOD). "Da es den Beruf Osteopath hierzulande noch nicht gibt, kann sich auf Grund fehlender gesetzlicher Vorgaben nahezu jeder Osteopath nennen."

Staatliche Ausbildung nur in Hessen möglich

Seit 1993 ist der Beruf des Osteopathen in England rechtlich anerkannt, die Schweiz zog 2013 nach. Hierzulande wurde den Anstrengungen, eine Regelung für einen eigenständigen Berufsstand des Osteopathen zu etablieren, bereits 2004 auf Bundesebene eine Absage erteilt.

Die meisten Bundesländer sahen für die Osteopathie keinen eigenen Regelungsbedarf. Hessen ist heute das einzige Bundesland, in dem die osteopathische Fortbildung staatlich geregelt ist - in der sogenannten Weiterbildungs- und Prüfungsordnung Osteopathie (WPO Osteo).

Sie gilt ausschließlich für Physiotherapeuten, medizinische Bademeister, Masseure und Heilpraktiker. Nur sie dürfen - neben Ärzten mit Approbation - eine Teilzeitausbildung zum Osteopathen absolvieren und bei erfolgreichem Abschluss den entsprechenden staatlich geschützten Titel tragen.

Seit April 2010 ist das unberechtigte Führen des Titels Osteopath in Hessen sogar unter Strafe gestellt: Wer sich zu Unrecht Osteopath nennt, kann mit einem Bußgeld von bis zu 10.000 Euro belegt werden.

Nur auf Anweisung des Arztes

In Deutschland gilt die Osteopathie als Heilkunde. Sie darf rechtlich nur von Ärzten und Heilpraktikern uneingeschränkt ausgeübt werden.

Physiotherapeuten dürfen nur auf Anweisung eines Arztes oder Heilpraktikers, und nur im Rahmen der Physiotherapie osteopathisch arbeiten. Unterdessen nutzen auch immer mehr Hausärzte die Möglichkeit, sich in dem gefragten Bereich weiterzubilden und osteopathische Elemente in ihrer Praxis anzubieten.

Dabei sollte dieses Privileg auch in der Hand der Mediziner bleiben, meint Professor Michael Nerlich, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU).

Osteopathische Verfahren können seiner Meinung nach nur Ergänzung oder Alternative sein, keinesfalls sollte der Osteopath jedoch als eigener Berufsstand anerkannt werden.

"Die Anwendung der Manuellen Medizin/Osteopathie im Primärzugang zum Patienten muss auch weiterhin exklusiv an den Status Facharzt mit entsprechender Zusatzweiterbildung gebunden bleiben", so Nerlich. Keine andere Berufsgruppe könne die Patientensicherheit ausreichend gewährleisten.

Was spricht für eine Aufwertung der Osteopathie, was dagegen? Die "Ärzte Zeitung" hat Professorin Marina Fuhrmann und Michael Nerlich um ihre Meinung gebeten.

  • Pro: Berufsanerkennung ist fällig
  • Contra: Eigenständiger Osteopath ist überflüssig

Von Marina Fuhrmann

Professorin Marina Fuhrmann, Vorsitzende des Verbandes der Osteopathen Deutschland.

Professorin Marina Fuhrmann, Vorsitzende des Verbandes der Osteopathen Deutschland.

© VOD

Die staatliche Anerkennung des Berufsbildes Osteopath mit primärem Patientenkontakt ist längst überfällig. Da es den Beruf hierzulande noch nicht gibt, kann sich auf Grund fehlender gesetzlicher Vorgaben nahezu jeder Osteopath nennen und ohne ein qualitatives Mindestmaß an Ausbildungsinhalten und -stunden praktizieren.

Gleichzeitig erstatten mehr als 100 gesetzliche Krankenkassen anteilig die Kosten für Osteopathie-Behandlungen - mangels gesetzlicher Regelung aber zu völlig unterschiedlichen Bedingungen; die Qualitätssicherung bleibt hierbei auf der Strecke. Paradox: Obwohl Osteopathie als Heilkunde nicht delegierbar ist, verlangen die Kassen eine ärztliche Verordnung. Physiotherapeuten werden durch die Vorgaben der GKV zum Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz gedrängt.

Patienten wissen nicht, welche Ausbildung sich hinter dem "Osteopathen" verbirgt, den sie aufsuchen. Die Politik sollte die Ausbildung deswegen bundesweit gesetzlich regeln und damit Qualität sichern und Rechtssicherheit schaffen.

Osteopathen sind für Patienten oft die ersten Ansprechpartner. Das erfordert eigenständige Diagnostik und Therapie und ein kooperierendes, interdisziplinäres Arbeiten mit angrenzenden Disziplinen. Gut ausgebildete Osteopathen sind Experten der Diagnostik, Therapie, Rehabilitation und haben ein fachübergreifendes medizinisches Wissen. Erste Auswertungen der Krankenkassen belegen bis zu 50 Prozent Kostenersparnis durch Osteopathie im Gesundheitssystem.

Es erstaunt, dass sich auch Unfallchirurgen mit Osteopathie auseinandersetzen. Frakturen, offene Wunden und Polytraumen sind für langjährig ausgebildete Osteopathen ein absolutes Tabu. Osteopathie wird bei Funktionsstörungen und nicht bei defekten Strukturen eingesetzt.

Die Deutsche Gesellschaft für Manuelle Medizin (DGMM), der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) und die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) zählen die Osteopathie zur Manuellen Medizin, wofür eine vergleichsweise wenige Stunden umfassende Weiterbildung erforderlich ist.

Diese Stundenzahl liegt weit unter den Vorgaben der WHO-Richtlinien, der europäischen Osteopathie-Fach- und der osteopathischen Ärztegesellschaften. Die geforderte Weiterbildung ist allenfalls eine osteopathische Einführung und gefährdet die Patientensicherheit. Osteopathie ist zudem keine ausschließlich ärztliche Disziplin, sondern wird der WHO-Empfehlung entsprechend von circa 7000 nicht-ärztlichen Osteopathen in Deutschland ausgeübt.

Diese Realität kann man nicht ignorieren. Zur Qualitätssicherung im Sinne des Patienten braucht es neben dem osteopathischen Arzt somit die Etablierung des Berufs Osteopath im nicht-ärztlichen Bereich auf qualitativ hohem Niveau.

Von Michael Nerlich

Professor Michael Nerlich, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie

Professor Michael Nerlich, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie

© Uniklinik Regensburg

40 Prozent der "Krankheitslast" in Deutschland betrifft das muskuloskelettale Organ. Dementsprechend häufig ist der Hausarzt in seiner Praxis mit Erkrankungen der Haltungs- und Bewegungsorgane konfrontiert. Der Fachmann dafür ist der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie.

Die Anwendung osteopathischer Verfahren durch Ärzte ist eine wirksame Alternative oder Ergänzung zu einer medikamentösen Behandlung oder operativen Eingriffen. Unterstützt werden Ärzte durch in Osteopathie ausgebildete Physiotherapeuten.

Wir Orthopäden und Unfallchirurgen sind der Meinung, dass das fundierte System ärztlicher und physiotherapeutischer Profession im Rahmen osteopathischer Behandlungen sehr bewährt ist. Es basiert auf einer leitliniengerechten ganzheitlichen Betrachtung des Patienten und einer durch die Bundesärztekammer strukturierten Fortbildung für Ärzte unter Einbeziehung wissenschaftlicher Bewertung und Qualitätssicherung.

Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie bietet dem Patienten bei der Heilung von Erkrankungen des muskuloskelettalen Systems eine Versorgung aus einer Hand. Sie erfüllt den Wunsch unserer Patienten nach einer ganzheitlichen Behandlung. Die Versorgung beginnt mit der Prävention und endet mit der Reintegration in das gewohnte soziale Umfeld. Nur wer echte organische Erkrankungen von vorübergehenden Funktionsdefiziten und Befindlichkeitsstörungen unterscheiden kann, ist in der Lage, eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung zu leisten.

Die Anwendung von Verfahren oder Techniken der Manuellen Medizin/Osteopathie im Primärzugang zum Patienten und die Indikationsstellung zur Anwendung dieser Methoden muss auch weiterhin in Deutschland exklusiv an den Status Facharzt mit entsprechender Zusatzweiterbildung gebunden bleiben.

Keine andere Berufsgruppe kann die Patientensicherheit, die Einbindung dieser Verfahren und Techniken in komplexe, evidenzbasierte therapeutische Strategien und gegebenenfalls das Management von Komplikationen auf dem Boden internationaler Standards ausreichend gewährleisten. Patientensicherheit, auch im Hinblick auf schnellstmögliche, diagnostisch korrekte Einordnung von möglichen Gesundheitsstörungen und maximal sichere Vermeidung von Komplikationen, ist oberstes Postulat bei der Betreuung unserer Patienten.

Die Anwendung der Manuellen Medizin/Osteopathie durch einen qualifizierten Arzt oder Physiotherapeuten mit osteopathischer Zusatzausbildung ist effizient und ergebnisbezogen - ein unverzichtbarer Bestandteil der medizinischen Versorgung in Deutschland. Wir Orthopäden und Unfallchirurgen sprechen uns deshalb gegen die geforderte Einführung eines eigenständigen Heilberufs unter der Bezeichnung "Osteopath" oder verwandter Begriffe aus.

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