Berlin

Streit um Notfälle eskaliert

Die Regelung der Notfallversorgung nach dem Krankenhausstrukturgesetz führt in Berlin zu heftigen Konflikten zwischen KV und Kliniken. Auch der Krankenhausplan erhitzt die Gemüter.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck und Jana Kötter Veröffentlicht:
Viele Patienten suchen die Notfallambulanz von Kliniken auf, obwohl sie ambulant versorgt werden müssten.

Viele Patienten suchen die Notfallambulanz von Kliniken auf, obwohl sie ambulant versorgt werden müssten.

© bluedesign / fotolia.com

BERLIN/FRANKFURT AM MAIN. Bis ins Bundesgesundheitsministerium hat sich ein Streit zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin und den Rettungsstellen der Kliniken in der Hauptstadt hochgeschaukelt.

Dabei geht es um die Frage, wann die KV Behandlungen in den Rettungsstellen der Berliner Kliniken bezahlen muss.

Die KV Berlin verlangt von den Rettungsstellen der Berliner Krankenhäuser, dass sie ab Februar jede Behandlung in den Sprechstundenzeiten der Kassenärzte bei der Abrechnung "gesondert und ausführlich begründen".

Bei fehlender Begründung könnten diese Leistungen nicht vergütet werden, heißt es in einem Rundschreiben des KV-Vorstands vom 26. Januar. Ihre Maßnahme begründet die KV mit der neuen Gesetzeslage nach dem Krankenhausstrukturgesetz.

Scharfe Kritik

Gegen dieses Vorgehen protestiert nicht nur die Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) aufs Schärfste. "Dafür gibt es keine Grundlage", sagte BKG-Geschäftsführer Uwe Slama der "Ärzte Zeitung". Die BKG prüft, ob sie juristisch dagegen vorgeht.

Auch die Deutsche Gesellschaft interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) hat mit scharfer Kritik reagiert.

"Die Krankenhäuser sollen dafür bestraft werden, dass Patienten ihre eigene gesundheitliche Gefährdung medizinisch nicht korrekt eingeschätzt und ihr Recht auf freie Arztwahl beansprucht haben", so DGINA-Präsident Professor Christoph Dodt.

Selbst Berlins Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) ergreift Partei für die Kliniken in der Hauptstadt. Der Vorstoß der KV sei falsch.

"Wegen 35 Euro Notfallentgelt bei 1,2 Millionen Patienten pro Jahr eine solche Bürokratie einzuführen, ist unverantwortlich", so Czaja. "Ich habe mich daher an das Bundesgesundheitsministerium gewandt und um eine schnelle Bewertung der Gesetzesauslegung der KV gebeten."

NAV kritisiert KV-Vorgehen

Auch der NAV-Virchow-Bund Berlin-Brandenburg kritisiert das Vorgehen des KV-Vorstands - obwohl er inhaltlich mit ihm übereinstimmt.

Der Berliner NAV-Chef Mathias Coordt forderte den KV-Vorstand zu einer lösungsorientierten Politik auf: "Die aggressive Rhetorik der KV-Spitze in Richtung Krankenhäuser in den vergangenen Wochen erweist sich als Bärendienst für die Berliner Praxisärzte", so Coordt.

Er kritisierte jedoch auch die vermeintlich klinikfreundliche Politik des Berliner Gesundheitssenators.

"Czaja nutzt die derzeit herrschende Konfliktsituation mit dem Vorstand der Berliner Kassenärztlichen Vereinigung zum Nachteil der niedergelassenen Ärzte in der Hauptstadt", so Coordt.

Mehr als drei Viertel der ambulanten Notfälle in Berlin werden in den Rettungsstellen behandelt. Diesen hohen Anteil führt der Gesundheitssenator darauf zurück, dass in der Hauptstadt keine kassenärztlichen Notfallpraxen bestehen.

Solche Portalpraxen begrüßt Czaja ausdrücklich. Er verweist auch darauf, dass der fahrende ärztliche Bereitschaftsdienst bei der Bevölkerung kaum bekannt ist, wie kürzlich eine Umfrage zeigte.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) prüft nun, ob das Vorgehen der KV Berlin der Intention des Gesetzes entspricht, wie Sprecherin Katja Angeli der "Ärzte Zeitung" bestätigte. Wie lange die juristische Prüfung dauern wird, sei nicht absehbar.

Krankenhausplan "grobe Fehlplanung"

Den am Donnerstag vorgestellten Krankenhausplan bewertet der NAV als "grobe Fehlplanung" bewertet.

Statt die gute ambulante Versorgung auszubauen, saniere der Senator die Kliniken zulasten der Berliner Praxen. Über Zuschläge für Krankenhäuser mit Notfallversorgung nachzudenken sei "der völlig falsche Weg", so Coordt.

Czaja verwies darauf, dass diese Zuschläge auf Bundesebene vorgesehen seien und dass den Rettungsstellen durch die Notfallversorgung zusätzliche Kosten entstehen würden.

"Solange die Patienten in die Rettungsstellen strömen und der Bedarf steigt, müssen wir hier nachfassen und die Strukturen stärken. Dies haben wir im Bereich Rettungsmedizin mit dem neuen Krankenhausplan getan", so Czaja.

Der Gesundheitssenator kritisierte seinerseits, dass die KV in der ganzen Stadt keine Notfallpraxen für Erwachsene vorhalte. Der Sicherstellungsauftrag bedeute eigentlich etwas anderes, so Czaja.

Der Berliner KV-Vorstand rechtfertigt dagegen sein Vorgehen. Die KV Berlin schränke die Tätigkeit in den Rettungsstellen nicht ein.

"Wir weisen lediglich darauf hin, dass Behandlungen dort von der KV Berlin nur unter zwei Voraussetzungen bezahlt werden können: entweder bei einem Notfall oder bei einer medizinischen Versorgung zu einer Uhrzeit, zu der kein Vertragsarzt zur Verfügung steht. Letzteres ist jedoch in Berlin werktags bei über 9000 Kassenärzten in über 6000 Praxen tagsüber nicht der Fall."

Hessen rückt Bereitschaftsdienst-Zentralen an Kliniken

Die KV Hessen hingegen setzt bewusst auf die Schnittstelle von ambulantem und stationärem Sektor: 54 der insgesamt 58 Bereitschaftsdienst-Zentralen im Land sind heute bereits an Kliniken oder in unmittelbarer Nähe angesiedelt. Damit seien sie faktisch als Portalpraxen zu sehen, so der KV-Vorstand.

Die jüngste, am Donnerstag offiziell eröffnete Bereitschaftsdienst-Zentrale am Uniklinikum Frankfurt nannte KV-Geschäftsführer Jörg Hoffmann eine "Win-win-Situation".

Leichte Fälle aus der Notaufnahme des Klinikums könnten zukünftig direkt an den ÄBD überwiesen werden, die im Bereitschaftsdienst tätigen Ärzte könnten auf die Diagnostik der Klinik zurückgreifen.

KV und Klinikum hoffen so, Patienten künftig "zielgerichtet" durch die Versorgungsstrukturen zu lotsen und Kapazitäten des Klinikums besser einzusetzen.

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