Heilmittelregress

Im Südwesten ist jeder zweite Arzt "auffällig"

In Baden-Württemberg liegen 4000 von 8000 Heilmittel-Verordner deutlich über ihrer Richtgröße. Pädiater sehen ein grundsätzliches Problem: Der Förderbedarf von Kindern nehme zu, parallel steige der Regressdruck auf Ärzte.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Kleiner Junge bei Logopädie-Übung vor dem Spiegel: Werden Aufgaben an Pädiater delegiert?

Kleiner Junge bei Logopädie-Übung vor dem Spiegel: Werden Aufgaben an Pädiater delegiert?

© Dan Race/fotolia.com

STUTTGART. Die rund 8000 niedergelassenen Ärzte, die in Baden-Württemberg Heilmittel verordnen, sind in heller Aufregung. Im Jahr 2013 hat jeder zweite Arzt, also rund 4000, seine Heilmittelrichtgrößen um mehr als 25 Prozent überschritten. Sie sind also "auffällig" und haben Post von den Prüfgremien bekommen.

Das hat, heißt es in einem Rundschreiben der KV Baden-Württemberg an die Kinder- und Jugendärzte, "zu erheblichen Irritationen" geführt. In Gesprächen mit den Krankenkassen konnten für 2013 und ab 2017 Entlastungen für die Pädiater vereinbart werden -  gelöst ist das Problem damit noch nicht.

KV-Delegierte äußerten bei der jüngsten Vertreterversammlung ihr Unverständnis: "Das kann so nicht sein", sagte Dr. Roland Fressle, niedergelassener Pädiater in Freiburg und Landesvorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Andere Delegierte warnten, die angedrohten Regresse seien "ein Riesenproblem für junge Kollegen bei der Niederlassung".

Regress wird 2013 nicht exekutiert

Für 2013, berichtete KV-Chef Dr. Norbert Metke, wird die Richtgrößenprüfung für Heilmittel de facto ausgesetzt. Der "Freischuss" (Beratung vor Regress) oder Nachforderungen seien für 2013 somit nicht zu befürchten.

Die KV hat zudem mit einer "Tour de Ländle" begonnen, in der über Heilmittelverordnungen informiert wird. Bisher habe es dazu an elf Standorten rund 3000 Anmeldungen gegeben, berichtet die KV.

Ab 2017 konnte die KV in Verhandlungen mit den Kassen auf Bundesebene deutliche Erleichterungen erreichen. Es wurden zusätzliche Praxisbesonderheiten bei Kinder- und Jugendärzten vereinbart, die nicht mehr in die Mengenregulierung für Heilmittel eingehen.

Das betrifft unter anderem Diagnosen mit der ICD-10 F80.1 (expressive Sprachstörung) und F80.2 (rezeptive Sprachstörung). "Das ist ein Riesenfortschritt", sagte Metke den Delegierten. Bei den Hausärzten gehe die geriatrische Versorgung faktisch nicht mehr in die Richtgrößenprüfung mit ein, berichtete er.

"Ein katastrophales Signal"

Unklar ist das Vorgehen für die Jahre 2014 bis 2016. Die KV vermutet, dass erneut bis zu 3000 Praxen ihre Richtgrößen mehr als 25 Prozent überschreiten. "Wenn nichts grundlegend geändert wird, werden viele Kollegen wieder auffällig werden", sagte BVKJ-Verbandschef Fressle der "Ärzte Zeitung". "Das ist ein katastrophales Signal", warnte er. "Was sollen wir tun - weniger verordnen zu Lasten der Patienten?"

Fressle zufolge ist das Problem nicht spezifisch für Baden-Württemberg. "Gesellschaftliche Probleme werden immer stärker ins Medizinsystem verlagert", konstatiert der Pädiater. Durch den Trend zur Inklusion in Schulen finde Sonderpädagogik kaum mehr statt, die Heilmitteltherapie werde auf die Pädiater verschoben. Etwa 73.000 Kinder in Baden-Württemberg hatten zuletzt Anspruch auf sonderpädagogische Beratungs- und Unterstützungsangebote. Hinzu kommt nach Angaben der KV, dass 33 Prozent der Kinder zwischen zwei und sechs Jahren Sprachförderbedarf haben (rund 123.000 Kinder).

KV-Chef Metke kündigte Gespräche mit der neuen Landesregierung an. Es gebe sichere Hinweise, "dass Teile dieser staatlichen Aufgaben zu Lasten der GKV erfolgen - mit der Folge, dass der Regressdruck auf die Ärzte steigt", sagte Metke. "Wir müssen zusammen nach Lösungen suchen. Regresse werden niemandem weiterhelfen", appellierte Fressle.

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