Hessens Ärztekammer

Rühmliche und unrühmliche Momente

Wissenschaftler haben die wechselvolle Geschichte hessischer Ärzte aufgearbeitet. Ruhm haben sie sich beim Kampf gegen Quacksalber und Kurpfuscher erworben. Unrühmlich haben sich viele Mediziner zwischen 1933 und 1945 verhalten.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Erforschten die Geschichte der hessischen Ärzte: Benno Hafeneger, Lucas Frings, Marcus Velke (v.l.).

Erforschten die Geschichte der hessischen Ärzte: Benno Hafeneger, Lucas Frings, Marcus Velke (v.l.).

© LÄK Hessen

Worte vermögen nicht zu sagen, was eines jeden Deutschen Herz erfüllt!", jubilierten Dr. Karl Heinz Behrens, Leiter der Ärztekammer Hessen-Nassau, und Dr. Heinrich Reinhardt, Leiter der Ärztekammer Kurhessen, in einer gemeinsamen, großformatigen Anzeige, in der sie am 20. April 1939 dem "Größten aller Deutschen", dem "geliebten Führer Adolf Hitler" zum 50. Geburtstag gratulierten.

Dort heißt es: "Bewunderung und Stolz, Vertrauen und Hingabe, Liebe und Dank sind so groß, dass ein jeder ihm nur schweigend die Hand drücken möchte, mit festem Blick und den innigsten Glückwünschen im Herzen für sein zukünftiges Leben und Wirken!"

Der öffentliche Kotau der hessischen Ärztevertreter vor einem der schlimmsten Massenmörder in der Geschichte der Menschheit ist eines von vielen Dokumenten, die die wechselvolle Geschichte der Landesärztekammer Hessen belegen.

Zwei Jahre lang historisches Material gesichtet

Unter Leitung des Erziehungswissenschaftlers Professor Benno Hafeneger haben Forscher der Philipps-Universität Marburg zwei Jahre lang historisches Material gesichtet, das bisher kaum bekannte Einblicke in die Mentalität der Standesvertreter ermöglicht.

Es reicht von der Kaiserzeit über die Weimarer Republik, die nationalsozialistische Schreckensherrschaft, die Nachkriegszeit und die Anfangsjahre der jungen Bundesrepublik bis hin zur Gründung der LÄKH 1956 als Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Auftrag ging von Landesärztekammer aus

Die Landesärztekammer Hessen selbst hat den Auftrag zur wissenschaftlichen Aufarbeitung ihrer Geschichte erteilt und ist damit die bundesweit erste Kammer, die sich ihrer eigenen Historie stellt. Unter dem Titel "Geschichte der hessischen Ärztekammern 1887-1956" ist die Forschungsarbeit jetzt erschienen, als gedrucktes Buch wie auch als E-Book.

Auf dem Gebiet des heutigen Hessens existierten bis zum Ende des 2. Weltkriegs zwei Kammern: die 1887 gegründete Ärztekammer der preußischen Provinz Hessen-Nassau und ab 1924 die Ärztekammer des Volksstaates Hessen.

Beide gingen aus ärztlichen Vereinen hervor, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts formierten, um beispielsweise die Interessen des Ärztestandes zu vertreten, das gesellige Leben zu pflegen, die wissenschaftliche Fortbildung zu organisieren und sich in die kommunale Sozial- und Gesundheitspolitik einzumischen.

Fokus auf Kampf gegen Kurpfuscherei

In Hessen gab es etwa den 1823 gründeten Kasseler Ärzteverein, den Ärztlichen Verein Frankfurt a. M. (1845), den Verein Nassauischer Ärzte (1851), den Ärztlichen Verein zu Wiesbaden (1869) und den Ärztlichen Kreisverein Bensheim-Heppenheim (1878). Zu Ende der Weimarer Republik waren im Ärztlichen Hessischen Landesverein des Volksstaates Hessen 16 Kreisvereine mit insgesamt 834 Mitgliedern organisiert.

Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit galt dem Kampf gegen die "Kurpfuscherei". Seit Verabschiedung der Reichsgewerbeordnung 1869 galt die sogenannte Kurierfreiheit, wodurch die "Quacksalber" auf dem Markt der Heilkunde plötzlich zu Konkurrenten der approbierten Ärzte wurden.

Zu ihnen zählten beispielsweise Bader, Lehrer, fahrende Ölhändler, "Spezialisten für Beinbrüche und Verrenkungen", "Naturheilkundige", "Magnetopathen" und "Jünger Kneipps". Einen Erfolg erzielten die hessischen Ärzte 1902 mit dem ersten Erlass zur "Bekämpfung der Kurpfuscherei", der eine Meldepflicht vorsah und die Kreisärzte zur kontrollierenden Instanz erhob. Die erste gesetzliche Regelung aber trat erst 1939 mit Verabschiedung des Heilpraktikergesetzes in Kraft.

"Hüter der Volksgesundheit" sollten "erbgesunden Volkskörper" aufbauen

Unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 erfolgten die Selbstauflösung, Gleichschaltung und Neustrukturierung aller Ärztekammern in Deutschland. Deren Führungsposten besetzte man mit Mitgliedern des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes (NSDÄB). Die beiden hessischen Ärztekammern wurden mit der Reichsärzteordnung zum 1. April 1936 und der Gründung der Reichsärztekammer entlang der Gaugrenzen Hessen-Nassau und Kurhessen neu formiert und nach dem Führerprinzip organisiert.

Zur wichtigsten Aufgabe erhob man gleich in der ersten Sitzung der Ärztekammer im Volksstaat Hessen am 14. September 1933 die "Erb- und Rassenpflege". Der "deutsche Arzt", so wurde deutlich, war nun "Hüter der Volksgesundheit" und für den Aufbau eines "erbgesunden Volkskörpers" mitverantwortlich.

Von da war es nur noch ein kurzer Weg zu Zwangssterilisierungen und zur "Euthanasie", die eine ihrer grausamsten Manifestationen in der mittelhessischen T4-Tötungsanstalt Hadamar fand.

Benno Hafeneger, Marcus Velke und Lucas Frings: Geschichte der hessischen Ärztekammern 1887-1956. Autonomie, Verantwortung, Interessen, Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts. 2016, 544 S., 39,80 Euro ISBN 978-3734403682

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Der papierene Organspendeausweis soll bald der Vergangenheit angehören. Denn noch im März geht das Online-Organspende-Register an den Start.

© Alexander Raths / Stock.adobe.com

Online-Organspende-Register startet

Wie Kollegen die Organspende-Beratung in den Praxisalltag integrieren