Weltgesundheitstag

Depressionen – Deutschland geht das Stimmungstief an

Der diesjährige Welttag der Gesundheit widmet sich dem Krankheitsbild der Depression. Die WHO mahnt Handlungsbedarf an. Auch in Deutschland gibt es noch Baustellen in der Versorgung depressiver Patienten.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Etwa jeder Zweite der weltweit auf rund 322 Millionen geschätzten Menschen mit Depressionen bekommt keine medizinische oder psychologische Behandlung.

Etwa jeder Zweite der weltweit auf rund 322 Millionen geschätzten Menschen mit Depressionen bekommt keine medizinische oder psychologische Behandlung.

© [M] Tharakorn / Getty Images / iStock

Etwa jeder Zweite der weltweit auf rund 322 Millionen geschätzten Menschen mit Depressionen bekommt keine medizinische oder psychologische Behandlung. Diese Zahl präsentiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) anlässlich des am 7. April begangenen Welttages der Gesundheit, der in diesem Jahr unter dem Motto steht "Depressionen: Lass uns darüber reden". Besorgniserregend mutet auch der dramatische Anstieg der Prävalenz innerhalb von nur einer Dekade zwischen 2005 und 2015 um 18 Prozent an. Inzwischen führen laut WHO die Depressionen mit rund 54,22 Millionen – 7,5 Prozent – die weltweit in Krankheit verbrachten Lebensjahre (years lived with disability/YLD) an und haben damit die Rückenschmerzen abgelöst.

WHO-Generaldirektorin Margret Chan nimmt den Weltgesundheitstag zum Anlass, um bei den Regierungen weltweit mehr Aufmerksamkeit für die mentale Gesundheit ihrer Bevölkerung einzufordern. "Diese neuen Zahlen sind ein Weckruf für alle Länder, ihre Strategie zur mentalen Gesundheit zu überdenken und sie mit der Dringlichkeit zu bearbeiten, die sie verdient", so Chan.

Investitionen zahlen sich aus

Wie die WHO mit Blick auf eine "Lancet"-Studie aus dem vergangenen Jahr weiter betont, rentierten sich die Investitionen in ein verbessertes Depressionsmanagement – jeder investierte Dollar führe zu einer Wertschöpfung von vier Dollar durch eine bessere Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der betroffenen Patienten.

Die Arbeitsfähigkeit depressiv erkrankter ist auch in Deutschland ein großes Thema. Wie zum Beispiel die Techniker Krankenkasse (TK) mit ihrem Depressionsatlas zeigte, waren von den insgesamt für 2013 im Schnitt je Arbeitnehmer ausgewiesenen 14,66 AU-Tagen allein 0,92 einer Depression geschuldet (wir berichteten). Berücksichtigt wurden dabei die Fehlzeiten ausschließlich basierend auf den ICD-10-Codes F32 (Depressive Episode) und F33 (Rezidivierende depressive Störung). Wie die TK betont, verursachten Depressionen 2013 aufgrund der langen Dauer je Fall von 64 Tagen 7,1 Prozent aller erfassten Fehltage.

Bundesweit beziffert die Bundesärztekammer (BÄK) die Zahl der von Depressionen betroffenen Menschen auf rund 5,3 Millionen Menschen – darunter zunehmend auch junge Menschen. "Die gute Nachricht ist, dass Depressionen von Ärzten und psychologischen Psychotherapeuten meist erfolgreich behandelt werden können", gibt Dr. Ulrich Clever, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg und BÄK-Vorstandsbeauftragter für ärztliche Psychotherapie, leichte Entwarnung. Voraussetzung sei aber, dass den Betroffenen die Angst vor einem Arztbesuch genommen werde. "Wir müssen gesellschaftlicher Stigmatisierung entgegentreten und die vielfältigen Möglichkeiten der sprechenden Medizin insgesamt sowie der Psychotherapie im Besonderen weiter stärken", so Clevers Plädoyer.

Wie die BÄK eingesteht, werde psychisch kranken Menschen nach wie vor eine mühsame und zeitraubende Suche nach einem niedergelassenen Psychotherapeuten zugemutet. Die neu eingeführten psychotherapeutischen Sprechstunden und Akutbehandlungen sollen die Lage etwas entspannen. "Sie können dazu beitragen, die Patientenströme zu kanalisieren", so Clever. Optimierungspotenzial bei der Versorgung depressiver Patienten sieht auch die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). "Längst nicht alle depressiv erkrankten Menschen bekommen die Behandlung, die in den Leitlinien empfohlen wird", postuliert BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz.

Verweis auf S3-Leitlinie

Depressionen können laut BPtK in den meisten Fällen mit Psychotherapie oder mit Antidepressiva wirksam behandelt werden – mit Rückgriff auf die S3-Leitlinie Unipolare Depression. Dass Depressionen unmittelbar Auswirkungen auf die Gesundheit hat, legt auch der jüngste Deutsche Gesundheitsmonitor nahe, eine repräsentative Bevölkerungsumfrage im Auftrag des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH). Nur 36 Prozent der depressiven Menschen erfreuen sich trotz der Einschränkung an ihrer gesundheitlichen Situation. Bei den Menschen mit durchschnittlicher Stimmung schätzen immerhin 46 Prozent die eigene Gesundheit als positiv ein.

5,3

Millionen

Menschen sind nach Angaben der Bundesärztekammer in Deutschland von Depressionen betroffen.

Lesen Sie dazu auch: Mit Depressionen umgehen: Film will aufklären und helfen

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Kommentare
Thomas Georg Schätzler 07.04.201714:36 Uhr

Weltgesundheitstag fokussiert auf depressive Erkrankungen?

Es ist schon eigenartig, wenn ein "Weltgesundheitstag" der Weltgesundheitsorganisation WHO ausgerechnet auf bestimmte Krankheiten fokussiert. Müsste es nicht dann ehrlicherweise "WELTKRANKHEITSTAG" heißen?

Denn insbesondere unsere Patientinnen und Patienten mit Depressionen sind in der Regel chronisch oder mit wechselnder Intensität krank, teilhabegemindert und kommunikativ bzw. interaktiv eingeschränkt. Manche sind im Verlauf ihrer Erkrankung suizidal, leiden an Zwangsgedanken, Manien, Psychosen, Alpträumen und bio-psycho-sozialer Ausgrenzung.

Wenn etwa 50% der weltweit auf rund 322 Millionen geschätzten Menschen mit Depressionen keine medizinische und/oder psychologische Behandlung und Betreuung bekommen, sind globale Initiativen zur Krankheitsbewältigung ("Coping Strategies") für Patienten, Ärzte, Pflegepersonal und Psychologen gefordert, aber keine gesundheitspolitischen Sonntagsreden.

Von daher geht die Aufforderung unserer Kollegin und WHO-Generaldirektorin Frau Dr. med. Margret Chan fehl, den Weltgesundheitstag zum Anlass zu nehmen, um bei den Regierungen weltweit mehr Aufmerksamkeit für die mentale Gesundheit ihrer Bevölkerung einzufordern. Denn wenn es immer nur um mentale bzw. körperliche Gesundheit gehen soll, bleiben die seelisch, somatisch und psychosomatisch Kranken unbeachtet bzw. medizinisch und psychologisch un(ter)versorgt auf der Strecke!

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) müsste sich endlich von ihren völlig irregeleiteten Gesundheits- und fehlenden Krankheits-Begrifflichkeiten verabschieden: „Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen.“ [„Health is a state of complete physical, mental and social wellbeing and not merely the absence of disease or infirmity.”]

Diese Definition scheint mir angesichts demografisch zunehmender, globaler seelischer und körperlicher Krankheiten, chronischer Leiden, Krebs, Infektionen mit Epidemien, Endemien und Multiresistenzen, Morbidität und Sterblichkeit, aber auch in Anbetracht von Kriegen, Terrorismus, Fundamentalismus, Umweltgefährdung und -zerstörung, Bedrohungen, Verkehrskollaps, Ressourcenverbrauch, Migration und Flucht bzw. Naturkatastrophen, Unterernährung und Armuts-Elend eher einem die Realität verleugnenden Katechismus von "Gesundbetern" entlehnt.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund



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