OLAF in der Kritik

Dalli-Rücktritt wird zum "Dalligate"

Wegen eines Betrugsverdachts musste EU-Gesundheitskommissar Dalli seinen Hut nehmen. Nun wurden immer mehr Details der Affäre publik. Für die EU-Kommission könnte sich daraus ein "Dalligate" entwickeln.

Von Thomas A. Friedrich Veröffentlicht:
In der Kritik: OLAF-Direktor Giovanni Kessler.

In der Kritik: OLAF-Direktor Giovanni Kessler.

© Olivier Hoslet / epa / dpa

BRÜSSEL. Es liest sich wie ein Drehbuch für einen Hollywoodkrimi: Der 42-seitige Untersuchungsbericht zum Rücktritt von EU-Gesundheitskommissar John Dalli im Oktober 2012 der EU-Behörde zur Betrugsbekämpfung Olaf.

Der Bericht war bisher unter Verschluss. Erst vergangenen Sonntag veröffentlichte die Zeitung "Malta Today" auf ihrem Onlineportal Teile davon.

Der Bericht liefert weitere Stücke des Puzzles zum Vorwurf der Korruption gegen Dalli - die sogenannte "Dalligate"-Affäre bleibt aber nach wie vor undurchsichtig.

Rückblick: Mitte Oktober 2012 fordert EU-Kommissionschef José Manuel Barroso den Rücktritt Dallis. Der Verdacht auf Korruption des Kommissars im Zusammenhang mit der Tabakrichtlinie hatte medial große Wellen geschlagen.

Seine Entscheidung stützt Barroso damals auf den Olaf-Bericht. Dalli legt sein Amt nieder, bestreitet aber immer wieder alle Korruptionsvorwürfe.

"Ich bin von Barroso zum Rücktritt gezwungen worden", sagte Dalli später. Bis dahin war er damit betraut gewesen, die EU-Tabakrichtlinie von 2001 zu überarbeiten. Sie regelt Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakprodukten in der EU.

Die Vorschläge aus dem Hause Dalli hatten damals die Tabakindustrie schockiert: Ähnlich wie in Australien sollte es uniforme Zigarettenschachteln mit aufgedruckten Bildwarnhinweisen geben, stimulierende Zusatzstoffe wie Vanillegeschmack sollten verboten und Tabakerzeugnisse nur noch unter der Ladentheke gehandelt werden dürfen.

Anzeige wegen Betrugs

Ende Mai 2012 zeigt der skandinavische Tabakkonzern Swedish Match Dalli bei der EU-Kommission wegen Verdacht auf Betrug an. Der Vorwurf: Ein Bekannter Dallis, Silvio Zammit, habe dem Konzern im Auftrag des Gesundheitskommissars angeboten, die Änderung der Richtlinie "snus-freundlich" zu gestalten.

Damit hätte der von Swedish Match hergestellte Lutschkautabak nicht mehr nur in Schweden, sondern im gesamten EU-Binnenmarkt vertrieben werden können. Im Gegenzug hätte das Unternehmen 60 Millionen Euro zahlen sollen.

Daraufhin untersucht die Antibetrugsbehörde Olaf den Vorwurf. In 24 Dokumenten listet Olaf-Generaldirektor Giovanni Kessler die Verstrickungen auf: Treffen des Dalli-Freundes Zammit mit Swedish Match in Stockholm, ein Treffen von Dalli mit Mittelsmännern der Tabakindustrie, British American Tobacco, dem Verband Estoc und einer maltesischen Beratungsfirma. Zudem werden die Aussagen von Belastungszeugen gegen Dalli dokumentiert.

Laut Bericht haben Zammit und Dalli zwischen 5. Januar und 17. Juli 2012 insgesamt 17 Mal telefoniert und zwei SMS geschrieben. Die meisten Kontakte gingen von Zammit aus. Der Olaf-Report beschreibt Zammit "als engen Freund" Dallis.

Er habe "privilegierten Zugang" zu Informationen aus dem Brüsseler Kabinett Dallis gehabt. Der Olaf-Bericht liefert viele bisher unbekannte Mosaiksteine für die Dalli-Affäre.

Stichhaltige Beweise gegen den ehemaligen EU-Gesundheitskommissar, dass dieser sich für 50 oder 60 Millionen Euro von Swedish Match korrumpieren lassen wollte, finden sich indes nicht.

Das letzte Kapitel ist noch nicht geschrieben

Auch ist inzwischen die Aussage einer Hauptbelastungszeugin des Olaf-Berichts mit Fragezeichen versehen. Sie hatte gegenüber der maltesischen Staatsanwaltschaft eingeräumt, Olaf-Generaldirektor Giovanni Kessler habe sie zu Aussagen unter Alkoholeinfluss - während eines Mittagessens auf Malta - gedrängt.

Kessler habe keinerlei Ermittlungskompetenz auf Malta und müsse als Olaf-Generaldirektor suspendiert und ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet werden, fordert Ingeborg Gräßle, CDU-Europaabgeordnete.

Die EU-Kommission solle "die Notbremse ziehen, bevor die Affäre auf den Kommissionspräsidenten zurolle", teilte Gräßle am Montag nach Veröffentlichung des Berichts mit.

Sie hatte wiederholt von Barroso den Olaf-Bericht eingefordert, um die Affäre für das EU-Parlament transparent zu machen.

Gräßle und der grüne EU-Abgeordnete Bart Staes werfen der Behörde Olaf vor, voreingenommen und amateurhaft ermittelt zu haben. Außerdem wird der Ermittlungsstil Kesslers kritisiert. So sollen Telefone abgehört worden sein, dies sei rechtlich nicht gedeckt.

Dennoch stellt sich EU-Komissionschef Barroso derzeit hinter Kessler. Dies könnte für Barroso zum Bumerang werden. Das letzte Kapitel im "Drehbuch Dalligate" ist noch nicht geschrieben.

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