Leitartikel zu Hausärzten in GB:

Im Fadenkreuz der Budgetkontrolle

Wer in Großbritannien zum Facharzt will, muss zunächst zum Hausarzt. Seit der Wirtschaftskrise beklagen Ärzte immer öfter, dass sie in ihrer Therapiefreiheit eingeschränkt werden. Denn die Überweisungskriterien zum Facharzt wurden in vielen Regionen deutlich verschärft.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
In Großbritannien klagen Patientenverbände, dass Hausärzte Patienten den Zugang zu stationären und fachärztlichen Leistungen einschränken.

In Großbritannien klagen Patientenverbände, dass Hausärzte Patienten den Zugang zu stationären und fachärztlichen Leistungen einschränken.

© imagebroker / imago

Immer mehr britische Hausärzte haben damit begonnen, den Patientenzugang zu fachärztlichen und stationären Versorgungsleistungen zu rationieren. Das geschieht offenbar aus einer Furcht heraus, die Praxisetats zu überziehen.

Patientenverbände sind alarmiert, es fehle die Kontrolle der Kontrolleure, in diesem Fall die Kontrolle der Hausärzte, die die Budgets kontrollieren.

Dass der britische Hausarzt im staatlichen Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) eine wichtige Torhüterfunktion inne hat, ist nichts Neues.

Da das britische Gesundheitswesen auf dem Primärarztprinzip beruht, führt der Weg zum Spezialisten oder in die Klinik stets über den Hausarzt. Dementsprechend wichtig sind die Hausärzte, wenn es darum geht, die NHS-Kosten zu deckeln.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat nach Angaben des britischen Ärztebundes (British Medical Association, BMA) dafür gesorgt, dass in den Hausarztpraxen, die oft in Gruppen namens "Clinical Commissioning Groups" (CCG) kooperieren, das Geld knapp ist.

"Nicht alles, was therapeutisch sinnvoll wäre, ist noch bezahlbar", so eine Sprecherin des britischen Ärztebundes (British Medical Association, BMA) gegenüber der "Ärzte Zeitung". Und: "Das frustriert Ärzte und enttäuscht Patienten.

Laut BMA sind die Budgets, die den NHS-Hausärzten zur Verfügung stehen und aus denen sie nicht zuletzt die Überweisungen von Patienten zu Fachärzten oder in Kliniken bezahlen, seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise "deutlich knapper" geworden.

Kriterien für Hausärzte sind verschärft worden

Das ist schon deshalb interessant, da das Londoner Gesundheitsministerium stets behauptet, der Gesundheitsetat sei vor Kürzungen und Einsparungen sicher - trotz Wirtschaftskrise und flauen Steuereinnahmen.

Anekdotische Hinweise deuten freilich auf das Gegenteil. "Ich habe nicht genug Geld, um alle meine Patienten, die eigentlich fachärztlich therapiert werden müssten, unverzüglich zu überweisen", so der Londoner Hausarzt Dr. Scott R.

Seinen vollen Namen möchte der Mediziner nicht in der Zeitung lesen - aus Angst vor negativen Reaktionen der Gesundheitsbürokratie.

Die Zahlen sprechen für sich. Von 195 kürzlich befragten CCG in England gaben 27 offen zu, in jüngster Zeit ihre Überweisungskriterien für Hausarztpatienten verschärft zu haben.

Im Klartext: Hausärzte in diesen 27 Bezirken dürfen Patienten seltener als bislang und dann auch nur nach strengerer Evaluierung zum Spezialisten schicken. Das betrifft laut BMA überproportional Ältere und Patienten mit chronischen Erkrankungen.

Die Gesundheitspolitiker machen Druck

68 weitere CCG denken derzeit nach eigenen Angaben zumindest darüber nach, die Überweisungskriterien für die ihnen angeschlossenen Hausärzte in den kommenden Wochen zu verschärfen. Auch dies dient klar dem Ziel, Geld zu sparen.

Insgesamt gibt es in Großbritannien derzeit 211 CCG. Sie verwalten einen Etat von umgerechnet jährlich mehr als 750 Milliarden Euro. Angesichts der Größe dieser Etatsumme ist es kaum verwunderlich, dass britische Gesundheitspolitiker Druck auf die CCG und damit direkt oder indirekt auf die Hausärzte ausüben, Geld zu sparen.

"CCG und damit auch die ihnen angeschlossenen Hausärzte haben die Pflicht, ihr Überweisungs- und Therapieverhalten zu erklären und offen zu legen", sagte kürzlich ein Sprecher der NHS-Verwaltung gegenüber der Tageszeitung "Daily Telegraph".

Um dann den Satz hinterher zu schieben: "Wir werden gegebenenfalls intervenieren, wenn wir der Meinung sind, dass die CCG und die Hausärzte ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nach kommen."

Heißt im Klartext: Die Gesundheitspolitiker stehen Gewehr bei Fuß, weiter in die Therapiefreiheit der Ärzte einzugreifen, sollte das Geld knapp werden. Und knapp ist es bereits heute.

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