Brexit

Tausende Pfleger ergreifen die Flucht

Großbritannien gehen die Pflegekräfte aus: Zu groß ist die Unzufriedenheit mit dem System. Sie zeigt sich zunehmend auch bei Patienten.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:

LONDON. In britischen Krankenhäusern fehlen die Pflegekräfte. Während die größte britische Krankenpflegergewerkschaft Royal College of Nursing (RCN) von einem "schlimmen Pflegenotstand" spricht, weisen Politiker darauf hin, dass der bevorstehende Brexit die Situation gar "viel, viel schlimmer" machen werde.

Wie aus aktuellen Zahlen der RCN hervorgeht, blieben in Großbritannien im vergangenen Jahr landesweit rund 40.000 Stellen im Pflegesektor unbesetzt, da es keine qualifizierten Bewerber gab. Das sind doppelt so viele unbesetzte Stellen wie noch vor drei Jahren. "In einigen Kliniken herrscht inzwischen Alarmstufe Rot!", betont ein RCN-Sprecher.

Jahrelang hatte der staatliche britische Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) nicht genug einheimische Krankenpfleger ausgebildet und stattdessen auf die Anwerbung qualifizierter Kräfte im Ausland gesetzt. Besonders osteuropäische Staaten wie Polen sorgten dafür, dass viele Stellen trotz Fachkräftemangel besetzt werden konnten. Seit dem Brexit-Votum im Juni 2016 hat sich diese Situation deutlich verändert (die "Ärzte Zeitung" berichtete).

Das sorgt Klinikärzte und Patienten gleichermaßen. Das RCN fordert daher zusammen mit anderen Berufsverbänden von der Gesundheitspolitik "klare Aussagen und Garantien", um EU-Pflegekräften zu versichern, dass diese auch nach dem EU-Austritt Großbritanniens im März 2019 "eine Zukunft in unserem Land" haben. Ärzteverbände unterstützen das.

Laut RCN ist die Zahl der in Großbritannien arbeitenden und offiziell registrierten Krankenpfleger zwischen März 2016 und März 2017 um 1788 auf jetzt 690.773 Pflegekräfte gesunken. In jüngster Zeit habe sich der Exodus "dramatisch vervielfacht". Allein im April und im Mai 2017 haben laut RCN knapp 3300 qualifierte Pflegekräfte den NHS verlassen. Neben dem Hauptfaktor Brexit spielten dabei auch überlange Arbeitszeiten, schlechte Bezahlung und "Desillusionierung wegen der schlechten Versorgungsqualität im NHS" eine Rolle.

Die schlechten Rahmenbedingungen sorgen auch auf Patientenseite für zunehmende Unzufriedenheit. Laut aktuellen Umfragen sind 43 Prozent der Briten "unzufrieden" oder sogar "sehr unzufrieden" mit ihrer gesundheitlichen Versorgung. Das alarmiert die Ärzteschaft, denn noch nie war die Unzufriedenheit so groß.

Die Zahlen, die kürzlich vom größten ärztlichen Berufsverband (British Medical Association, BMA) vorgelegt wurden, zeigen, dass die Unzufriedenheit mit dem NHS in den vergangenen Jahren stetig gestiegen ist. 2016 zeigten sich noch 37 Prozent der Briten "unzufrieden" beziehungsweise "sehr unzufrieden" . Die BMA befragte für die Studie landesweit 1031 Personen.

82 Prozent der Briten sorgen sich demnach um die Zukunft der staatlichen Gesundheitsversorgung. Auch das zeige laut BMA, wie tief der NHS in der Krise stecke. "2016 mussten mehr als eine halbe Millionen Krankenhauspatienten vier Stunden oder noch länger in Fluren auf Roll-Pritschen warten, bis für sie ein Bett gefunden wurde", so BMA-Sprecher Dr. Mark Porter. "Kein Wunder, dass die Leute die Nase voll haben!"

Die BMA nahm die Umfrageergebnisse zum Anlass, um von der Regierung eine Umkehr in der Gesundheitspolitik in Zeiten des Brexit zu verlangen. Andernfalls drohe der totale Kollaps des NHS, so die BMA.

Wie groß die Unzufriedenheit und die Zukunftssorgen auch innerhalb der britischen Ärzteschaft inzwischen sind, wurde zuletzt während des britischen Ärztetages deutlich, der kürzlich in Bournemouth zu Ende ging.

Die größten Ärgernisse sowohl bei den Ärzten und anderen Gesundheitsberufen als auch bei Patienten sind: Unterfinanzierung, längere Wartezeiten und die Privatisierung und damit die Abschaffung des NHS-Finanzierungsmodells, wobei der Staat die meisten Gesundheitsleistungen aus allgemeinen Steuermitteln bezahlt.

Exklusive Innenansichten

- Unser Korrespondent Arndt Striegler, seit 31 Jahren in Großbritannien beheimatet, bloggt wöchentlich über politische und kulturelle Folgen des Brexit.

- Im Fokus stehen Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung – mit exklusiven Innenansichten aus dem NHS-System.

Den Brexit-Blog lesen Sie unter: www.aerztezeitung.de/brexit

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