Das neue Arzneimittelgesetz AMNOG hat einige erfreuliche Auswirkungen für die Verordnungspraxis von Ärzten.

Von Professor Dr. Christian Dierks

Was bringt das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz für die Ärzte?

Das AMNOG, das am 1. Januar 2011 in Kraft tritt regelt, hauptsächlich die frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln. Allerdings handelt es sich nicht um das Versorgungsgesetz, mit dem die Strukturen der ambulanten und stationären Versorgung nächstes Jahr reformiert werden soll. Dennoch gelten ab 1. Januar einige Regeln, die für die ärztliche Praxiswirkung entfalten.

Wegfall der Bonus-Malus-Regel

Die mit dem Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeits-Gesetz (AVWG) im Jahr 2006 eingeführte Bonus-Malus-Regelung wird wieder aufgehoben. Sie hatte sich als wenig sinnvoll erwiesen, da Anreize zur Mengensteigerung in dem komplizierten gesetzlichen Mechanismus enthalten waren. Schon in den vergangenen Jahren wurde der gesetzliche Auftrag zum Malus nicht mehr umgesetzt. Stattdessen etablierten sich in den meisten KV-Bezirken Quotensysteme, bei denen Mindest- oder Höchstverordnungsanteile auf bestimmte Wirkstoffe (zum Beispiel sogenannte Leitsubstanzen) oder Wirkstoffgruppen fallen sollten.

Der maßgebliche Paragraf 84 SGB V übernimmt nun diese Praxis und sieht eine neue Strukturierung für Zielvereinbarungen auf Landesebene vor. Danach sollen die KV mit den Krankenkassen neben Zielen und Sofortmaßnahmen zukünftig auch Verordnungsanteile vereinbaren. Wie so oft machen das Gesetz und die Bundesvertragspartner KBV und GKV-Spitzenverband Rahmenvorgaben und überlassen die nähere Ausgestaltung den regionalen Vertragspartnern. Das hat den Vorteil, dass die Vorgaben durch die Selbstverwaltung näher an der Versorgungsrealität gestaltet werden können. Andererseits sind 17 Vereinbarungen zu treffen, und es ist gegenwärtig noch unklar, was an Sofortmaßnahmen beschlossen wird. Weitere Einschränkungen der Therapiefreiheit sind danach jedenfalls möglich.

Richtgrößenprüfung um selektive Versorgung bereinigt

Eine der Auswirkungen der Hausarztverträge ist die Auskoppelung der Verordnungsanteile aus der Richtgrößenprüfung in der Regelversorgung. Für Ärzte mit einem geringen Anteil von Patienten in der hausärztlichen Versorgung ergaben sich daraus Nachteile, weil ihre Verordnung zwangsläufig als eher teurer gemessen wurde. Ab 2011 müssen die entsprechenden Verordnungsanteile aus der Hausarztversorgung bei der Richtgrößenprüfung berücksichtigt ("bereinigt") werden. Das Ergebnis ist dann eine gerechtere und "sauberere" Bewertung der Verordnungsvolumina, aber auch ein höherer administrativer Aufwand im Verfahren.

Ablösung der Richtgrößenprüfung

Ebenfalls auf regionaler Ebene können Vereinbarungen getroffen werden, mit denen die Richtgrößenprüfung abgelöst wird. An ihre Stelle treten dann Prüfungen der Wirkstoffauswahl und der verordneten Wirkstoffmenge. Grundlage hierfür bilden die nun gesetzlich verankerten Verordnungsquoten.

Anders als bei den bereits jetzt regional vereinbarten Quotenprüfungen (Nordrhein, Hamburg) ist nun aber die Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten als Rechtfertigung für Quotenverfehlungen gesetzlich vorgesehen. Dennoch sind Einflüsse auf die therapeutische Freiheit nicht zu vermeiden, ja sogar beabsichtigt. Die in den vergangenen Monaten frisch legitimierten Vorstände der Kassenärztlichen Vereinigungen erhalten mit dieser Regelung ein neues Verhandlungsmandat. Die Vertragsärzte müssen nun entscheiden, ob sie ihre Verordnungshoheit gegen wirtschaftliche Sicherheit eintauschen wollen.

Frühe Nutzenbewertung und ihre Auswirkungen auf Vertragsärzte

Die frühe Nutzenbewertung von innovativen Arzneimitteln wirkt sich in der vertragsärztlichen Versorgung auf zwei Ebenen aus: Zum einen sind die Ergebnisse der Nutzenbewertung automatisch Therapiehinweise, die der Vertragsarzt beachten muss. Als Bestandteil der Richtlinien sind sie zwar verbindlich, aber als "Hinweise" nicht Grundlage für Regresse. Zum anderen führen die Vereinbarungen zwischen den Herstellern und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (die für Arzneimittel mit festgestelltem Mehrnutzen nach dem AMNOG geführt werden müssen) im Ergebnis auch zu einer Anerkennung als Praxisbesonderheit. Die Vertragspartner müssen regeln, in welcher Weise Verordnungen mit diesen Medikamenten in der Richtgrößenprüfung von Amts wegen als Praxisbesonderheit und damit als wirtschaftlich zu gelten haben. Damit erscheint eine Absicherung der Verordnung innovativer Arzneimittel möglich.

Premierenrabatt bei Richtgrößenprüfungen

Mit dieser Neuregelung dämpft der Gesetzgeber das Risiko für die ersten beiden Richtgrößenprüfungen in einer Praxis. Hatte die Rechtsprechung bislang die "Anlaufpraxis" als Besonderheit bei der Überprüfung der ärztlichen Behandlungsweise, nicht aber hinsichtlich der Arzneimittel-Verordnungsweise anerkannt, beschränkt die Neuregelung nun den Regress in den ersten beiden Verfahren auf 25 000 Euro. Mit diesem Premierenrabatt wird verhindert, dass Regresse vor allem in der Anfangsphase einer Praxis den finanziellen Ruin herbeiführen. Nach Einschätzung des Gesetzgebers trifft dies auf 20 Prozent der Verfahren zu, die sonst mit einem höheren Regress enden würden.

Der Autor ist Facharzt für Allgemeinmedizin und Fachanwalt für Sozialrecht. Er ist Mitbegründer der Kanzlei Dierks & Bohle in Berlin.

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