Gesundheitsweise Gerlach

"Selektivverträge sind noch nicht ausgereizt"

Für Geduld mit der baden-württembergischen Kombination von Hausarzt- und Facharzt-Verträgen plädiert der Gesundheitsweise Ferdinand Gerlach. Das Potenzial sei noch lange nicht ausgeschöpft.

Raimund SchmidVon Raimund Schmid Veröffentlicht:
Haus- und Fachärzte werden in Baden-Württemberg für eine koordinierte Versorgung zusammengebracht.

Haus- und Fachärzte werden in Baden-Württemberg für eine koordinierte Versorgung zusammengebracht.

© [M] Michaela Illian / Klaus Rose

FRANKFURT/MAIN. Die Potenziale des Selektivvertrages zwischen Hausärzteverband, Medi und AOK Baden-Württemberg sind noch lange nicht ausgeschöpft.

Davon zeigt sich Professor Ferdinand Gerlach aus Frankfurt überzeugt, der an der ersten Evaluation des Vertrages zur hausarztzentrierten Versorgung mit beteiligt gewesen ist.

Viele Effekte wie etwa die Senkung der Arzneimittelkosten oder weniger Facharztkontakte ohne Überweisungen könnten sich weiter verstetigen, prognostiziert Gerlach in einem Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Auch weitere Auswirkungen könnten aufgezeigt werden.

Dazu zählen zum Beispiel die Klinikeinweisungen, die nach den Daten der Ende April dieses Jahres gemeinsam mit der Heidelberger Arbeitsgruppe von Professor Joachim Szecsenyi vorgestellten ersten Auswertung nicht abgenommen haben.

Klinikeinweisungen sind noch nicht untersucht

Gerlach hält es für wahrscheinlich, dass in der ersten Evaluationshase, für die die Zeiträume des dritten und vierten Quartals 2008 mit den gleichen Quartalen 2010 verglichen wurden, noch nicht alle Effekte messbar waren.

Natürlich müssten sich erst einmal die Patienten und vor allem auch die Hausärzte auf die sich neu ergebenden Möglichkeiten und Anforderungen einstellen. Dies benötige Zeit, weil ein solch komplexes Vertragsgebilde nur schrittweise umgesetzt werde.

Nach den Trendzahlen der AOK Baden-Württemberg aus dem Jahr 2011 zeichne sich aber ab, dass durch die hausarztzentrierte Versorgung (HZV) auch die Zahl der Klinikeinweisungen durch Hausärzte zurückgeht.

Dieser Effekt könnte sich in den nächsten Jahren verstetigen, mutmaßt Gerlach. Das entspricht allerdings auch den Erwartungen der AOK, die den Posten "Vermiedene Krankenhausausgaben" bereits mit eingepreist hat. Unter anderem damit soll der Vertrag mittelfristig refinanziert werden.

Dies trifft in noch stärkerem Maße für die vom Hausarzt verursachten Arzneimittelkosten zu, die bereits bei der ersten Evaluation für Gerlach zu den erwünschten Ergebnissen (Arzneikostensenkung um 2,5 Prozent, Absinken des Anteils der Me-too Präparate um 23,5 Prozent) geführt haben.

Aus drei Gründen falle dieser Effekt aber wahrscheinlich noch deutlich größer aus. Zum einen seien die Einsparungen sehr konservativ berechnet, um sich nicht von vornherein angreifbar zu machen.

Zum anderen müssten noch die ganz erheblichen Einsparungen durch die Rabattarzneimittel eingerechnet werden, deren genaues Ausmaß und Höhe aber nicht bekannt sind.

Und schließlich dürfe auch die in Baden-Württemberg etablierte Rabattampel in der Praxis-EDV nicht außer Acht gelassen werden, mit der wohl weitere überdurchschnittliche Einspareffekte generiert würden.

VERAH macht große Hoffnungen

Optimierungsspielraum sieht der Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin an der Universität Frankfurt aber auch mit Blick auf die Zahl der "Arztkontakte".

Diese sei "möglicherweise immer noch zu hoch", auch wenn bei der ersten Evaluation die Effekte (Steigerung der Hausarztkontakte um 38 Prozent, Absinken der Facharztkontakte ohne Überweisung um 12,5 Prozent) erst einmal in der von den Initiatoren erhofften Weise eingetreten sind.

Die Erhöhung der Arztkontakte beim Hausarzt sei gesundheitspolitisch durchaus erwünscht, weil im Vertrag überdurchschnittlich viele alte, multimorbide und chronisch kranke Versicherte eingeschrieben sind.

Da sei es nur gut, wenn der Hausarzt als zentraler Betreuer und Koordinator im Schnitt pro Halbjahr fast siebenmal aufgesucht wird, während Nicht-HZV-Versicherte ihren Hausarzt im Halbjahr weniger als viermal aufsuchen. Die Quote der Facharztbesuche ohne Überweisung sollte weiter sinken, so Gerlach

Überzeugt zeigt er sich auch davon, das künftig die Versorgungsassistentin in der HZV-Hausarztpraxis (VERAH) eine noch größere Rolle als bislang spielen wird.

Gerlach: "Das große Potenzial der VERAH in der Betreuung chronisch Kranker und als wirksame Entlastung für den Hausarzt wird auch in den Selektivverträgen immer noch unterschätzt."

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Der papierene Organspendeausweis soll bald der Vergangenheit angehören. Denn noch im März geht das Online-Organspende-Register an den Start.

© Alexander Raths / Stock.adobe.com

Online-Organspende-Register startet

Wie Kollegen die Organspende-Beratung in den Praxisalltag integrieren