Nur Placebos gegen den Ärztemangel

Flexiblere Bedarfsplanung, Wegfall der Residenzpflicht, grundsätzlich Beratung vor Regress und schließlich Honoraranreize für Ärzte in strukturschwachen Regionen - doch die Ärzte selbst glauben nicht, dass die Instrumente des Gesetzgebers wirklich wirksam sind.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

NEU-ISENBURG. Verbreiteter Fatalismus - so könnte man mit einem Begriff die vorherrschende Stimmung unter niedergelassenen Ärzten zum Jahresbeginn 2012 beschreiben.

Das legt zumindest die Leserumfrage der "Ärzte Zeitung" nahe, die die Redaktion mit ihrer letzten Ausgabe im vergangenen Jahr gestartet hat und die jetzt ausgewertet worden ist.

Die Ergebnisse sind methodisch nicht repräsentativ, können aber aufgrund der 625 Teilnehmer als ein Stimmungsbarometer interpretiert werden.

Wir wollten dabei vor allem wissen: War das im Dezember endgültig verabschiedete GKV-Versorgungsstrukturgesetz wirklich nötig? Und wie schätzen Ärzte in der Praxis die Wirksamkeit des Gesetzes ein? Hilft es, künftig Ärztemangel zu verhindern?

Das Gesetz war zweifellos notwendig

Die erste Frage nach der Notwendigkeit des Gesetzes lässt sich eindeutig mit Ja beantworten. Nur eine kleine Minderheit von 17 Prozent der Leser meint, es werde auch in Zukunft keinen Ärztemangel geben.

Mit fast 21 Prozent ist der Anteil derer, die die Zahl der Ärzte an ihrem Praxisstandort schon jetzt für zu gering halten, höher.

Eine deutliche Mehrheit von 60 Prozent stellt für die jeweilige Situation bei sich vor Ort fest, dass es derzeit zwar noch genügend Ärzte gibt, dass aber künftig Ärztemangel zu erwarten ist. Fazit: Der Gesetzgeber hat sich einem realen Problem gestellt.

Erheblich Zweifel existieren allerdings, ob das Gesetz und seine Ausführung durch die KBV, den Gemeinsamen Bundesausschuss, die KVen und die Krankenkassen vor Ort auch tatsächlich hilfreich sein wird.

Lob für Wegfall der Residenzpflicht

Honoraranreize - Zuschläge und in jedem Fall Verzicht auf Mengenbegrenzungen und Budgetierungen - sind ein Instrument, das der Gesetzgeber den Vertragspartnern an die Hand gibt.

Das werde nur schwach wirksam sein, so die noch optimistische Einschätzung von 34 Prozent der Leser. 62 Prozent meinen aber, dass die Anreize verpuffen werden.

Eindeutig richtig lag der Gesetzgeber mit der Entscheidung, auf die Residenzpflicht von Ärzten am Ort ihrer Praxis zu verzichten. Das ermöglicht es, in der Stadt zu wohnen und auf dem Land zu arbeiten. 68 Prozent der Ärzte halten dies für richtig.

Die Flexibilisierung der Bedarfsplanung, für die die KBV schon erste Konzepte erarbeitet hat und die bis Ende dieses Jahres in einer Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses verabschiedet sein muss, wird nach Auffassung von 39 Prozent der Leser möglichen Ärztemangel entschärfen. Aber eine Mehrheit von 58 Prozent glaubt dies nicht.

Kein Vertrauen in die Fähigkeit von KV und Kassen

Die Sorge vor Regressen als Folge von Arznei- und Heilmittelverordnungen ist nach anderen Umfragen unter Ärzten ein wichtiger Grund, warum sich der Nachwuchs in der ambulanten Medizin - zumindest in eigener Praxis - rar macht.

Der Gesetzgeber hat deshalb zwar nicht auf die Wirtschaftlichkeitsprüfung und Regresse vollständig verzichtet, aber den Grundsatz "Beratung vor Regress" festgeschrieben.

Das hält jeder Arzt zwar für richtig. Aber nur jeder Vierte glaubt, dass dies die Ärzte tatsächlich entlasten wird. 72 Prozent bleiben skeptisch.

Die überwiegend skeptische Beurteilung der Instrumente, die der Gesetzgeber geschaffen hat, mag damit zusammenhängen, dass ihre Ausgestaltung und Anwendung in der Praxis unzulänglich sein könnte.

Tatsache ist: Eine unmittelbare Wirkung in der Patientenversorgung hat das Gesetz nicht - jede gesetzliche Option ist ist wesentlich von der Performance der Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen abhängig.

Hier zeigt sich, dass Ärzte wenig Vertrauen in die die Gestaltungskraft ihrer selbst gewählten KV-Vertreter und deren Verhandlungsgeschick mit den Krankenkassen haben.

Nur rund fünf Prozent der Antwortenden sind überzeugt, dass KVen und Krankenkassen das Gesetz effektiv umsetzen werden. Über 90 Prozent zweifeln daran. 46 Prozent meinen, die Anwendung des Gesetzes werde wenig effizient erfolgen.

Richtiger Schritt: Regionalisierung

44 Prozent sind sogar der Auffassung, Kassen und KVen seien unfähig, das Gesetz umzusetzen. Nicht auszuschließen, dass diese Negativwerte auch auf den Erfahrungen der Vergangenheit - Stichwort EBM- und Vergütungsreform - basieren.

Die mit dem Versorgungsgesetz eingeleitete Dezentralisierung und Verlagerung der Entscheidungsverantwortung in die Region wird von den Lesern offenbar als richtiger Schritt gesehen.

Das gilt auch für die Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder, etwa im Bundesausschuss oder in den Landesausschüssen. Jedenfalls spricht sich eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Befragten für eine steigende Bedeutung und Verantwortung von Bundesländern und Kommunen für die ambulante Gesundheitsversorgung aus - ein Drittel hält dies nicht für relevant.

Schlussendlich ist das Versorgungsgebot in der ambulanten Medizin abhängig von der Vielzahl der Entscheidungen einzelner Ärzte, ihrer Initiative und der Fähigkeit, sich auch in Kooperationen zusammenzuschließen. Leistet dies einen Beitrag zum Erfolg des Versorgungsgesetzes? Mit Ja beantworten 32 Prozent der niedergelassenen Ärzte diese Frage. 50 Prozent sind der Meinung, dies könne den Erfolg des Gesetzes nur in geringem Maße beeinflussen. Knapp 15 Prozent sehen überhaupt keinen Einfluss.

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