Schnee, Eis und volle OP-Säle

NEU-ISENBURG (sun/hom). Anfangs freuten sich noch viele über schneeverhangene Baumkronen und Schlittenfahrten, langsam kommt aber Unmut über die anhaltende Kälte auf. Inzwischen gibt es auch einige Kälte-Opfer: Viele Deutsche fallen auf den vereisten Gehwegen.

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Vereiste Gehwege: für Fußgänger ein höllisches Pflaster. © imago/Friedel

Vereiste Gehwege: für Fußgänger ein höllisches Pflaster. © imago/Friedel

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In ganz Deutschland melden Krankenhäuser Knochenbrüche und Prellungen - einige Kliniken haben aufgehört, die Neuaufnahmen zu zählen. Der Grund für diesen Anstieg ist anscheinend immer noch der Mangel an Streugut in vielen Städten und Kommunen.

Vor allem in Berlin gleichen viele Bürgersteige derzeit gefährlichen Eisbahnen. Die Folgen bekommen vor allem die dortigen Notfallaufnahmen der Krankenhäuser zu spüren. "Wir müssen nachts durchoperieren", berichtet Dr. Gerrit Matthes, Oberarzt am Berliner Unfallkrankenhaus (ukb) im Gespräch der "Ärzte Zeitung". An normalen Tagen würden im Schnitt zwischen 120 und 140 Patienten in der Notfallaufnahme des ukb medizinisch versorgt. Seit sich Anfang Januar die Witterungsbedingungen in der Hauptstadt frostig kalt verschärft hätten, seien es mehr als 200 pro Tag, sagt Matthes. Allein in der vergangenen Nacht habe er zwölf Knochenbrüche versorgen müssen.

"Die waren alle ausschließlich dem Glatteis geschuldet." Häufigste Diagnose seien Brüche am Hand- und Sprunggelenk, aber auch an Ober- und Unterschenkeln. "Bei Glatteis ist der Sturz in der Regel mit viel Schwung vergesellschaftet. Das führt meistens zu einem harten Aufprall des Körpers, was dann schwere Verletzungen nach sich zieht." Bis ein Bruch wieder verheilt sei, dauere es mehrere Wochen.

"Es ist ein Problem, dass die Glatteisperiode nun schon seit Wochen anhält", betont Dr. Tobias Lindner, Oberarzt in der Notfallaufnahme der Charité in Berlin. "Inzwischen kommen alle Patienten, die wir bereits vor Wochen mit Gipsschienen versorgt haben, wieder. So mischen sich alte und neue Patienten, und die OP-Säle sind überfüllt." Die Altersstruktur der Patienten sei durchaus gemischt, sagt Lindner. Gerade aber für ältere Menschen sei das Wetter ein großes Problem. Sie fühlten sich derzeit auf den Straßen unsicher und bleiben aus Angst vor Stürzen lieber zu Hause.

Im schleswig-holsteinischen Neumünster gebe es sogar aufgrund der vielen Frakturen Lieferschwierigkeiten bei Osteosyntheseplatten für Handgelenke, erklärte Leiter der Unfallchirurgie im Friedrich-Ebert-Krankenhaus, Michael Fuchs, der dpa. In Hamburg nehmen zusätzliche Krankenhäuser an der Notfall- und Unfallversorgung teil. Damit soll zur Entlastung der anderen Krankenhäuser beigetragen werden.

Der lange und kalte Winter wird vor allem für die Krankenkassen teuer: Jede stationäre Aufnahme nach einem Glatteisunfall kostet durchschnittlich etwa 4000 Euro, meldet die KKH Allianz. Ein komplizierter Knochenbruch könne bis zu 15 000 Euro kosten. Bundesweit mussten einer Hochrechnung der Kasse zufolge mehr als 20 000 gesetzliche Versicherte wegen Arm- und Beinbrüchen sowie Kopf- und Platzwunden stationär behandelt werden. Bereits 2009 seien der KKH-Allianz aufgrund der Eisglätte Kosten in Höhe von mehr als drei Millionen Euro entstanden. Angesichts des harten Winters in diesem Jahr sei mit einem weiteren Kostenanstieg zu rechnen, vermutet die Krankenkasse.

Die AOK Rheinland/Hamburg kann derzeit noch nicht abschätzen, welche zusätzlichen Kosten durch das Glatteis auf sie zukommen. Die Abrechungsergebnisse der Krankenhäuser liegen erst in vier bis sechs Wochen vor. Sie wissen aber davon, dass den Städten und Kommunen das Streusalz ausgegangen ist. "Für uns besteht grundsätzlich eine Regressmöglichkeit bei Drittverschulden. Ob wir in diesem Fall davon Gebrauch machen, ist allerdings noch offen", so ein Sprecher der Krankenkasse.

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