Hintergrund

Teure Patienten: Das Zauberwort heißt individuelles Fallmanagement

Hochkostenfallmanagement - ein Wort, das in der Hitliste der technokratischen Begriffe im Gesundheitswesen ganz oben landen könnte. Und doch verbirgt sich hinter diesem sperrigen Wort ein Handlungskonzept, das bei Krankenkassen immer stärker an Bedeutung gewinnt.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Intensive Pflege verursacht immer mehr Kosten.

Intensive Pflege verursacht immer mehr Kosten.

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Die Steuerung der Versorgung von schwer kranken Patienten ist für Krankenversicherer ein attraktives Instrument: Das gezielte und individuelle Case Management verbessert in der Regel die Versorgungsqualität und senkt zugleich die Kosten.

Die private Hallesche Krankenversicherung setzt seit 2003 bei der Betreuung von sogenannten Hochkostenfällen auf das Fallmanagement.

"Dabei geht es um Versicherte mit hochkomplexen Krankheitsbildern oder schweren Unfallfolgen", sagt Vorstand Wiltrud Pekarek.

Spezialisierte Mitarbeiter ermitteln für die Patienten die individuell beste Therapie und die geeigneten Behandler. Sie sorgen auch dafür, dass die Übergänge zwischen einzelnen Behandlungsstufen wie der Klinik und der Rehaeinrichtung möglichst reibungslos klappen.

2009 hat die Hallesche auf diese Weise rund 700 Versicherte betreut. "Das ist aufwendig, aber es lohnt sich", betont Pekarek.

Die gezielte Versorgung von Hochkostenfällen ist nicht nur für private Krankenversicherer interessant. "Das ist ein Thema, mit dem sich alle Krankenkassen beschäftigen müssen", sagt Dr. Karl Liese, Geschäftsführer der Beratungsfirma B-LUE Management Consulting. "Sie können damit Kosten sparen und gleichzeitig die Versorgung verbessern."

Die neuen Rahmenbedingungen für die Kassen haben den Handlungsdruck erhöht. Die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds decken besonders teure Erkrankungsfälle nicht ab.

Zudem gibt es den Risikopool, mit dem Ausgaben für besonders teure Versicherte zumindest zum Teil solidarisch von allen Kassen getragen wurden, seit Anfang 2009 nicht mehr.

"Jetzt schlagen diese Fälle bei der einzelnen Kasse voll durch", sagt Liese. Gerade kleine Kassen müssen als Folge eher einen Zusatzbeitrag von ihren Versicherten nehmen und verschlechtern damit ihre Position im Wettbewerb.

Das Hochkostenfallmanagement eigne sich gut für Versicherte mit schweren chronischen Erkrankungen und für Patienten, die eine Intensivpflege benötigen, etwa Unfallopfer mit Schädel-Hirn-Trauma oder Frühgeborene, sagt Mediziner Liese. Häufig geht es dabei um Patienten, die eine Langzeitbeatmung benötigen.

Die Intensivpflege kostet nach seinen Angaben im Schnitt zwischen 130.000 und 160.000 Euro im Jahr. "Wenn eine Kasse 200 oder mehr solcher Fälle hat, macht es Sinn, ein individuelles Fallmanagement aufzubauen."

Der Berater nennt das Beispiel einer großen Versorgerkasse. Bei ihr machen Patienten mit sehr hohen Kosten nur ein Prozent der Fälle aus, aber zwölf Prozent der Ausgaben.

Selbst wenn die Kassen aktuell noch keinen Handlungsbedarf sehen, müssen sie sich über kurz oder lang der Problematik stellen, sagt Liese.

Aufgrund des medizinischen Fortschritts nimmt die Zahl der Intensivpflegefälle pro Jahr um 15 Prozent zu - häufig sind das Patienten, die vor wenigen Jahren ihre Krankheit oder ihren Unfall nicht überlebt hätten.

"Wir sehen eine zunehmende Fallzahl", bestätigt Karlheinz Löw, Hauptabteilungsleiter bei der AOK Hessen. Die Kasse hat 2006 mit dem Aufbau eines Hochkosten-Fallmanagements begonnen. Rund 200 der 1,5 Millionen Versicherten brauchen eine solche gezielte Versorgung.

"Dabei geht es um Qualitätsverbesserungen in der Versorgung und gleichzeitig um mehrere Millionen Euro", sagt Löw. So beliefen sich allein bei einem Versicherten mit einer Immunerkrankung die Ausgaben auf bis zu 1,9 Millionen Euro im Jahr.

Drei speziell geschulte Mitarbeiter der AOK Hessen sind ausschließlich mit der Betreuung der Hochkostenfälle befasst.

Sie beraten Patienten und Angehörige und unterstützen sie bei der Auswahl der Einrichtungen, organisieren die Versorgung mit Arznei- und Hilfsmitteln und besprechen die notwendigen Maßnahmen mit Pflegekräften und Ärzten vor Ort.

Die AOK hat mit Kliniken, Ärzten und Pflegediensten Rahmenverträge abgeschlossen. "Wenn es die individuelle Situation eines Patienten erfordert, finden wir auch einzelvertragliche Lösungen", sagt Löw.

Die Innungskrankenkasse Vereinigte IKK beginnt gerade, ein solches Spezialangebot aufzubauen. Ziel sei es, auf vernünftige Weise Kosten zu senken, ohne Versicherten Leistungen vorzuenthalten, sagt Dr. Heinz Giesen, Leiter der Vertragsabteilung der Vereinigten IKK.

Entscheidend sei die Optimierung der Prozesse - sowohl bei der Patientenversorgung als auch bei der Kasse selbst.

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