Kassenfusionen künftig ohne Kartellhüter

Unfreiwilliger Rückzug: Weil Sozialrichter kürzlich urteilten, dass das Bundeskartellamt nicht für Krankenkassen zuständig ist, gibt die Behörde nun klein bei. Sie zieht sich aus der Fusionskontrolle zurück: Für den Behördenchef eine "unmögliche Situation".

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Das Bundeskartellamt zieht sich aus der Kontrolle der Kassenfusionen komplett zurück.

Das Bundeskartellamt zieht sich aus der Kontrolle der Kassenfusionen komplett zurück.

© dpa

BONN. Und der Sieger ist: das Bundesversicherungsamt (BVA). Es hat für die bundesunmittelbaren Krankenkassen "eine umfassende und ausschließliche Rechtsaufsicht".

Für eine parallele Aufsicht durch das Bundeskartellamt "besteht kein Raum", hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) am 15. September geurteilt.

Das Bundeskartellamt zieht aus dem Beschluss nun die Konsequenzen und will sich komplett aus der Fusionskontrolle von gesetzlichen Krankenkassen zurückziehen.

Ein Sprecher der Bonner Behörde bestätigte der "Ärzte Zeitung" am Dienstag einen entsprechenden Bericht der "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

LSG: Kassen nicht im Wettbewerb untereinander

Die Kartellhüter haben allein in den Jahren 2009/2010 rund 30 Kassenfusionen begutachtet. Zuletzt gab die Behörde im April dieses Jahres grünes Licht für den Zusammenschluss der AOKen in Rheinland-Pfalz und dem Saarland mit der IKK Südwest.

Die Konzentration bei den Kassen "schreitet voran", warnte Kartellamts-Präsident Andreas Mundt im April.

Die Fusionskontrolle durch die Wettbewerbshüter, erklärte er damals, sei "ein wichtiges Instrument, mit dem Fehlentwicklungen wirkungsvoll unterbunden werden können".

Das LSG-Urteil bedeutet für das Kartellamt einen herben Rückschlag. Darin befanden die Richter, Krankenkassen handelten im "Wettbewerb um beitragszahlende Mitglieder nicht als Unternehmen".

Genau damit aber hat das Bundeskartellamt stets seine Zuständigkeit begründet.

Showdown in Darmstadt

Der Abschied von der Fusionskontrolle bei Kassen verwundert um so mehr, als der Gesetzgeber den Anwendungsbereich kartellrechtlicher Vorschriften im Gesundheitswesen jüngst ausgebaut hat.

Im Arzneimittelgesetz AMNOG wird die "entsprechende" Anwendung des Kartellverbots auf gesetzliche Kassen ausdrücklich festgeschrieben. Kassen haben eine Zuständigkeit der Wettbewerbshüter jedoch stets bestritten.

Zum Showdown kam es, als im Januar 2010 acht Kassen gemeinsam die Erhebung eines Zusatzbeitrags ankündigten. Die Behörde leitete daraufhin ein Kartellverfahren samt "Auskunftsbeschlüssen" ein.

Dagegen wehrten sich die Kassen mit Erfolg - das LSG urteilte, für das Vorgehen der Kartellbehörde "gebe es keine Rechtsgrundlage".

Übernimmt die Kassenaufsicht die Fusionskontrolle?

Dass Kassen nicht der Wettbewerbsaufsicht unterliegen sollen, bezeichnete Kartellamtspräsident Andreas Mundt in der "FAZ" als "unmögliche Situation".

Er hoffe, dass in der Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) diese Rechtslücke geschlossen werde.

Kartellamts-Sprecher Kay Weidner sagte der "Ärzte Zeitung", der Behörde lägen keine aktuellen Fusionspläne von Kassen vor, die nun von dem Beschluss betroffen wären.

Ob das - nun ausschließlich zuständige - Bundesversicherungsamt über Kompetenzen und Instrumente für eine Fusionskontrolle bei Kassen verfüge, wollte der Sprecher nicht kommentieren.

Sorgen um die dünne Vermögensverteilung

Dass das BVA Fusionen aus ganz anderer Sicht bewertet als das Bundeskartellamt, ließ dessen Präsident Maximilian Gaßner im jüngsten Jahresbericht seiner Behörde erkennen.

"Sorgen" bereitet ihm demnach die "die äußerst dünne und ungleiche Verteilung des Vermögens in der gesetzlichen Krankenversicherung", hieß es.

Hier müssten künftig "Rücklagen - auch unter Inanspruchnahme des Zusatzbeitrages - gestärkt werden, um das Insolvenzrisiko zu minimieren."

Eine andere Option erwähnte Gaßner bei dieser Gelegenheit nicht: das Zusammengehen von Krankenkassen.

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