Muslimischer Arzt im Ethikrat

"Intoleranz ist nicht zu akzeptieren"

Dr. Ilhan Ilkilic ist Arzt, Philosoph, Muslim - und Mitglied im Deutschen Ethikrat. Seine Hauptaufgabe sieht er darin, muslimischen Wertvorstellungen innerhalb des Rats Gehör zu verschaffen - aber eben nicht nur.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Dr. Ilhan Ilkilic will Konflikte mit ethisch vertretbarem Konsens lösen.

Dr. Ilhan Ilkilic will Konflikte mit ethisch vertretbarem Konsens lösen.

© smi

BERLIN. "Wenn ich auf meine Religion reduziert werde, ärgert mich das", sagt Dr. Ilhan Ilkilic, Arzt, Philosoph und eines der jüngsten Mitglieder im Deutschen Ethikrat.

Seit seiner Berufung in den unabhängigen Sachverständigenrat Mitte April hieß es in einigen Berichten, dass der 44-Jährige seine Ernennung allein dem Umstand zu verdanken habe, dass er Muslim ist. Ein Irrtum.

Denn Ilkilic hat als Mediziner und Philosoph wissenschaftliche Kompetenzen in ethischen Grundsatzfragen erworben, die dem Ethikrat in den nächsten Jahren zugute kommen werden.

26 Mitglieder im Ethikrat

Der Deutsche Ethikrat, 2008 aus dem Nationalen Ethikrat hervorgegangen, besteht aus 26 Mitgliedern, die naturwissenschaftliche, medizinische, theologische, philosophische, ethische, soziale, ökonomische und rechtliche Belange in besonderer Weise repräsentieren.

Darüber hinaus gehören ihm Personen an, die in besonderer Weise mit ethischen Fragen der Lebenswissenschaften vertraut sind.

Die 26 Mitglieder werden je zur Hälfte von der Bundesregierung und dem Bundestag vorgeschlagen und vom Bundespräsidenten berufen.

Der Rat verfolgt "die ethischen, gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen, medizinischen und rechtlichen Fragen sowie die voraussichtlichen Folgen für Individuum und Gesellschaft, die sich im Zusammenhang mit der Forschung und den Entwicklungen insbesondere auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften und ihrer Anwendung auf den Menschen ergeben", heißt es in seinen Statuten.

Die religiösen Positionen wurden bis dato nur von Repräsentanten der christlichen Kirchen eingebracht.

Das hat sich mit der Berufung von Ilkilic und dem Frankfurter Arzt Professor Leo Latasch, Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland, geändert. Da in Deutschland vier Millionen Muslime leben, war dieser Schritt überfällig.

So sieht Ilhan Ilkilic denn auch seine Hauptaufgabe darin, muslimischen Wertvorstellungen innerhalb des Deutschen Ethikrats Gehör zu verschaffen - aber eben nicht nur. Er möchte einen gesellschaftlichen Diskurs über Interkulturalität anregen und dabei "nicht nur über die Menschen, sondern mit den Menschen reden".

Studium in Bochum

Ilkilic wurde 1967 in Kepsut in der Türkei geboren. 1990 schloss er an der Universität Istanbul das Studium der Humanmedizin mit dem Staatsexamen und dem medizinischen Doktorgrad ab.

Von 1992 bis 1997 studierte Ilkilic Philosophie, Islamwissenschaften und orientalische Philologie an der Ruhr-Universität Bochum.

Ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Graduiertenkolleg "Ethik in den Wissenschaften" ermöglichte ihm im Anschluss, an der Universität Tübingen seine philosophische Dissertation zu "Medizinethischen Aspekten des muslimischen Krankheitsverständnisses in einer wertpluralen Gesellschaft" zu verfassen.

2001 promovierte Ilkilic am Institut für Philosophie der Universität Bochum zum Dr. phil. und widmete sich danach verschiedenen Forschungsprojekten, etwa zu Chancen und Risiken der Humangenetik sowie zum Umgang mit muslimischen Patienten.

Seit 2005 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, wo er sich am Forschungsprojekt "Public Health Genetics" beteiligt.

In der Türkei, sagt Ilkilic, habe seine Berufung in den Deutschen Ethikrat großes Aufsehen erregt. Selbst Regierungsvertreter hätten ihm Glückwünsche gesandt. Seine Herkunft, glaubt er, ist für seine neuen Aufgaben im Ethikrat ebenso wichtig wie sein Glauben.

Viele Bundesbürger mit Migrationshintergrund

Aufgrund des demografischen Wandels in Deutschland werde bald jeder fünfte Bürger von Vorfahren abstammen, die in anderen Ländern und Kulturen geboren wurden.

"Das ist die Wirklichkeit unserer Gesellschaft", so Ilkilic. "Sie muss man nicht nur wahrnehmen, sondern ernst nehmen."

Wie im Christentum würden auch im Islam durchaus unterschiedliche Positionen vertreten, stellt er klar. Im Gottesstaat Iran beispielsweise sei Leihmutterschaft durchaus erlaubt, in der Türkei gebe es sogar linksradikale Muslime.

Die Präimplantationsdiagnostik werde in der islamischen Welt positiv beurteilt, Pränataldiagnostik dagegen abgelehnt und Schwangerschaftsabbrüche gälten nur unter bestimmten Umständen als moralisch akzeptabel.

Die aktive Sterbehilfe sei für Muslime ein striktes Tabu, dagegen gebe es Strömungen innerhalb des Islam, die die passive Sterbehilfe unter Umständen erlauben.

Wertpluralität bedeutet für Ilkilic auch die Ablehnung schablonenhaften Denkens. Oder anders ausgedrückt: "Intoleranz ist nicht zu akzeptieren."

In einer offenen, demokratischen Gesellschaft, in der alle Menschen die Normen der Verfassung akzeptierten, gehe es darum, in Konflikten einen ethisch vertretbaren Konsens zu finden.

Dazu wolle er beitragen - als Mediziner, Philosoph, Muslim und Türke, der sich vor allem seinem Gewissen verpflichtet sieht.

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