Leitartikel zur Mitochondrienmanipulation

Briten spielen erneut eine zweifelhafte Vorreiterrolle

Der bisher nicht erlaubte Mitochondrienersatz zur Prävention unheilbarer Mitochondriopathien wird von den Briten gutgeheißen. Für sie überwiegt der Nutzen der Methode die Risiken. Ihre Sicherheit ist allerdings noch lange nicht garantiert.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
Können künftige Babys DNA von drei Personen in sich tragen?

Können künftige Babys DNA von drei Personen in sich tragen?

© Comstock / Thinkstock

Es ist erst wenige Jahre her, dass britische Wissenschaftler erstmals das Kern-Erbgut jeweils eines Spermiums und einer Eizelle von einer Frau mit bisher unheilbarer Mitochondriopathie kurz nach der Befruchtung - also noch als sogenannte Vorkerne - in die zuvor entkernte Eizelle einer gesunden Eizellspenderin übertragen haben. Insgesamt zehn Embryonen hatten die Forscher damals mit dieser Methode - dem Klonen sehr ähnlich - hergestellt und nach fünf Tagen Entwicklung zerstört.

Diese Forschung heizte in Großbritannien die Debatte darüber an, ob das denn überhaupt ethisch vertretbar sei, so letztlich auch in die Keimbahn einzugreifen. Anlass genug für die dortige Behörde HFEA (Human Fertilisation and Embryology AUTHORity), die Bevölkerung in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres nach ihrer Meinung über die sozialen und ethischen Folgen dieser Forschung zur Prävention der Erkrankung zu befragen.

Die HFEA kontrolliert in Großbritannien die Fertilitätskliniken und überwacht die Embryonenforschung, die im Vergleich zur Forschung in Deutschland recht freizügig ist. So dürfen zum Beispiel die Wissenschaftler an menschlichen Embryonen bis zum 14. Tag nach der Befruchtung forschen.

Die Behörde geht davon aus, dass in Großbritannien jedes Jahr einer von 200 Menschen an einer Mitochondriopathie unterschiedlicher Ausprägung auf der Basis von Veränderungen im mitochondrialen oder nukleären Erbgut erkrankt. Mehrere Hundert verschiedene Mutationen sind mit den Mitochondrienerkrankungen assoziiert.

Je mehr Mitochondrien ein mutiertes Erbgut in sich tragen, umso schwerer verläuft die Erkrankung. Weil Mitochondrien als "Kraftwerke" der Zellen gelten, sind bei genetischen Veränderungen vor allem Gewebe mit hoher Stoffwechselaktivität von pathologischen Veränderungen betroffen, also im ZNS, Skelettmuskel oder Herzen. Die Kinder sind etwa taub, haben Diabetes oder eine Kardiomyopathie.

Das Wellcome Trust Centre for Mitochondrial Research, das die Arbeit des Vorreiters dieser Forschung, Professor Doug Turnbull an der Universität Newcastle upon Tyne, unterstützt, wirbt schon seit längerem für die Prävention von Mitochondriopathien mit dem Slogan "Healing Broken Batteries" - in Anlehnung an die Bezeichnung der Mitochondrien als "Kraftwerke der Zelle". Für Turnbull wäre eine solche Prävention die Chance, Mitochondriopathien in den Familien zu eliminieren.

Unter anderem die Medizinnobelpreisträger Sir John Sulston und Sir Tim Hunt legen der britischen Regierung eindringlich nahe, Gesetzesänderungen noch vor dem Ende der Legislaturperiode vorzunehmen, sodass Kliniken betroffenen Familien die neuen Methoden zur Prävention von Mitochondriopathien anbieten können, vorausgesetzt die Sicherheit des Mitochondrienaustauschs ist belegt.

Wer diese Form der Therapie gesetzlich erlauben will, dem muss klar sein, was auf die Menschen zukommt ..

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