Mehr Last auf weniger Schultern - in Deutschland fehlen Fachkräfte

Eine Studie zeigt: In den nächsten 20 Jahren wird es in Deutschland eine Million Ärzte und Pflegekräfte zu wenig geben.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:
Bald allein auf weiter Flur? Der Mangel an Ärzten und Pflegekräften ist jetzt schon spürbar.

Bald allein auf weiter Flur? Der Mangel an Ärzten und Pflegekräften ist jetzt schon spürbar.

© dpa

BERLIN. Bis 2030 werden etwa eine Million Ärzte und Pflegekräfte fehlen. Ohne Reformen werden künftig vier von zehn Arztstellen unbesetzt bleiben. Das ist das Fazit einer Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC zusammen mit dem Darmstädter WifOR-Institut, einer Ausgründung des Lehrstuhls des früheren Wirtschaftsweisen Professor Bert Rürup.

"Der Fachkräftemangel ist bei Weitem größer, als wir befürchtet haben", sagte PwC-Gesundheitsexperte und Studienleiter Harald Schmidt anlässlich der Vorstellung des Gutachtens am Mittwoch in Berlin. Geschehe jetzt nichts, würden sich die Wartezeiten bei Hausärzten bis 2030 verdoppeln.

Zudem müssten Krankenschwestern in Kliniken durchschnittlich 60 Stunden in der Woche arbeiten müssen, "wenn die Versorgungsqualität nicht absinken soll", warnte Schmidt.

Der prognostizierte Personalmangel im Jahr 2030 werde nicht nur zu einer katastrophalen Versorgungssituation der Patienten und Überbelastung der verbliebenen Fachkräfte führen, sondern auch erhebliche volkswirtschaftliche Kosten verursachen. Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen beziffert den gesamtwirtschaftlichen Schaden auf etwa 35 Milliarden Euro.

Als Grund für den Fachkräftemangel nennt PwC vor allem die demografische Entwicklung. Die Alterung der Gesellschaft lässt die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen steigen, so Schmidt. Gleichzeitig gingen in den kommenden Jahren immer mehr Fachkräfte in den Ruhestand - dabei gebe es nicht genügend Nachwuchs, "um diese Lücke zu füllen".

Um einen "Kollaps des Gesundheitssystems" zu verhindern, reiche nicht alleine der "Ruf nach mehr Geld", warnte der Gesundheitsexperte. Nach Ansicht des Arbeitsmarktexperten Dennis Ostwald vom WifOR-Institut werden die Rahmenbedingungen "den Wettbewerb um Fachkräfte noch verschärfen".

Daher sei es wichtig, den Nachwuchs für medizinische Berufe zu begeistern. Zudem müssten die vorhandenen "Ressourcen intelligenter eingesetzt" werden, ergänzte Schmidt. Dazu gehöre auch eine bessere Verzahnung von Praxis und Klinik, schließlich könnte der Personalbedarf dadurch geringer werden. Die Parallelstrukturen ambulant und stationär seien dauerhaft "nicht mehr finanzierbar".

Um den Pflegenotstand abzuwenden, sei "das Gesundheitssystem auf zusätzliche Pflegekräfte aus dem Ausland angewiesen", betonte Schmidt. Lediglich die Einreise- und Arbeitserlaubnisbestimmungen zu erleichtern, reiche dabei nicht aus. Daher müsse Deutschland als Arbeitsplatz so attraktiv werden, dass Fachkräfte auch aus dem Ausland hierher kommen wollten.

Da künftig eben auch viele Pflegekräfte fehlten, sei es daher auch zu kurz gedacht, ärztliche Leistungen auf diese zu verlagern, warnte Schmidt. Vielmehr müssten langfristig mehr Menschen für die medizinische Berufe begeistert werden.

Zudem müssten in ländlichen Gebieten Medizinische Versorgungszentren unterschiedlicher Trägerschaft ausgebaut werden, um langfristig Krankenhäuser und Praxen zu ersetzen.

Das Problem existiert jedoch nicht nur in Deutschland: Schätzungen der EU-Kommission zufolge drohen ganz Europa dramatische Engpässe in der Gesundheitsversorgung. Demnach könnten den europäischen Gesundheitssystemen bereits bis 2020 bis zu zwei Millionen Arbeitskräfte fehlen (wir berichteten).

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Zuwanderer dringend gesucht

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