Reha statt Pflege

Viele Patienten müssen nicht ins Heim

Ärzte, Pflegekräfte, Physiotherapeuten und Logopäden füllen in Schönebeck den Leitsatz "Reha vor Pflege" erfolgreich mit Leben. Mit der Reha bleibt Patienten ein Pflegeheim erspart.

Von Petra Zieler Veröffentlicht:
Physiotherapeutin Solveig Görmer gibt Horst Sonntag Tipps für die Beinpresse. Er will nach seinem Schlaganfall wieder fit werden.

Physiotherapeutin Solveig Görmer gibt Horst Sonntag Tipps für die Beinpresse. Er will nach seinem Schlaganfall wieder fit werden.

© Zieler

MAGDEBURG. Schönebecker Hausärzte ersparen vielen alten Patienten das Pflegeheim. Etwa 90 Prozent der rund 2500 Patienten, die bislang im AGR Senioren-Rehakomplex Schönebeck in Sachsen-Anhalt nach schweren Erkrankungen ambulant behandelt worden sind, konnten weiter in ihren eigenen vier Wänden leben.

"Nahezu 100 Prozent aller nach der ambulanten Reha nach Hause entlassenen Patienten bleibt das Pflegeheim gänzlich erspart", so AGR-Mitbegründer Dr. Burkhard John.

Der Allgemeinmediziner und Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt (KVSA) hatte sich vor fast vierzehn Jahren mit seinen Hausarzt-Kolleginnen Birgit Burkhardt (heute Ärztliche Leiterin des AGR), Petra Soika und Birgit Breitmeier für ein Modellprojekt zur ambulanten geriatrischen Rehabilitation entschlossen.

Mitglieder arbeiten in eigenen Praxen

Die vier Ärzte bauten dabei auf Unterstützung von Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden und Pflegekräften. Bis auf zwei Verwaltungskräfte arbeiten die Mitglieder des 14-köpfigen Teams selbstständig in eigenen Praxen und kooperieren im AGR, das eigene Räume gemietet hat.

Die Rehazeit liegt im Schnitt bei 20 Arbeitstagen, die aber nicht unbedingt aufeinanderfolgen müssen. Ein- oder mehrwöchige Pausen zwischen den Therapien seien genauso möglich wie lediglich zwei oder drei Therapietage pro Woche. Entscheidend seien Behandlungsziele und der Zustand des Patienten.

"Darüber beraten wir in unseren wöchentlichen Teamkonferenzen" so John. Die seien Pflicht für alle AGR-Mitstreiter.

Hier sprechen Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte über jeden Patienten, legen individuelle Behandlungspläne fest, die regelmäßig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Wie seine drei Kolleginnen ist auch der KVSA-Chef jeweils einmal im Monat Arzt vom Dienst im AGR.

Seit ihrem Schlaganfall vor mehr als zehn Jahren, wird Ingrid Wenig mit größeren Abständen schon das dritte Mal im AGR behandelt. "Immer geht es mir danach besser, so dass ich zu Hause gut alleine klar komme", erzählt sie.

Einmal im Monat ist die Rentnerin ohnehin im AGR, wo sich auch ihre Selbsthilfegruppe trifft.

Burkhard John: "Wir haben etliche Patienten wie Ingrid Wenig, die zum Beispiel nach Halbseitenlähmungen, wiederholt zu uns kommen, wenn die antrainierte Mobilität nachlässt."

Durch die intensive und komplexe Therapie erreichten sie wieder ein höheres Leistungslevel und verbesserten ihre Lebensqualität. Gleichzeitig beuge die höhere Sicherheit im Alltag Stürzen vor und helfe so, Klinikaufenthalte zu vermeiden.

Jeden Tag werden Patienten aus einem Umkreis von 30 Kilometern zum AGR gefahren. Das Gros von ihnen wird nach Schlaganfällen, Gelenkoperationen, Oberschenkelhalsbrüchen und neurologischen Erkrankungen behandelt.

Bis zu 20 Patienten können zeitgleich therapiert werden. Ihr "Arbeitstag" beginnt zwischen acht und neun Uhr mit einer ersten Übungseinheit.

Dem gemeinsamen Frühstück schließen sich die einzelnen Therapien an - im Fitness-Raum, dem Turnsaal, auf der Massagebank, bei der Ergotherapeutin oder der Logopädin.

Memory-Spiel aktiviert Gedächtnis

Manfred Borcherding etwa, dem es zunehmend schwerer fällt, sich Dinge zu merken, trainiert mit Logopädin Diana Willert beim Memory-Spiel sein Gedächtnis. Dabei fallen ihm plötzlich Begebenheiten aus seiner aktiven Fußballzeit ein.

Der 75-jährige Horst Sonntag will dagegen nach einem Schlaganfall wieder "in Gang" kommen und trainiert an der Beinpresse.

"Noch können wir den Bedarf in der Region in und um Schönebeck abdecken", sagt John. Aufgrund der zunehmenden Überalterung werde das aber schwieriger.

Auch weil es bislang nicht gelungen sei, dieses Element aus dem Geriatriekonzept Sachsen-Anhalts landesweit umzusetzen. John: "Ursprünglich war geplant, in jedem Landkreis Geriatriezentren aufzubauen, denen ambulante Einrichtungen angeschlossen sind."

Zwar gebe es heute etliche stationäre Zentren in Kliniken, doch nur noch ein ambulantes Angebot in Kalbe/Milde. Das hatte die Klötzer Hausärztin Dr. Kathrin Stuhec vor einigen Jahren nach dem Schönebecker Vorbild initiiert.

John weiß, dass auch andere Hausärzte in den Startlöchern stehen, doch die Kassen warteten derzeit eher ab. Dagegen konnten in Mecklenburg-Vorpommern bereits fünf ambulante geriatrische Einrichtungen etabliert werden, die auch gut angenommen werden.

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