Arbeitsplatz

Stress-Risiken werden oft nicht ernst genommen

Seit Ende 2013 sollen Arbeitnehmer am Arbeitsplatz vor psychischen Risiken geschützt werden. Doch bei der Umsetzung hapert es, bemängeln Experten.

Von Ingeborg Bördlein Veröffentlicht:
Stress im Job gefährdet die Gesundheit.

Stress im Job gefährdet die Gesundheit.

© Oliver Berg / dpa

BERLIN. Um psychische Risiken am Arbeitsplatz zu erfassen und Arbeitnehmer davor zu schützen, wurde die "Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen" Ende 2013 in Deutschland ins Arbeitsschutzgesetz aufgenommen.

Doch bei der Umsetzung hapert es: Weder sind die Vorgaben an die Arbeitgeber für die Gefährdungsbeurteilung verbindlich geregelt, noch haben sie mit wirkungsvollen Sanktionen bei Verstößen zu rechnen.

Das hat eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und der Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Freiburg jetzt gezeigt. In europäischen Nachbarländern ist man wesentlich weiter.

Die DGPPN fordert angesichts dieses Defizits, dass psychosoziale Risiken in der Arbeitswelt hierzulande stärker berücksichtigt, die Umsetzung des erweiterten Arbeitsschutzgesetzes vorangetrieben und verbindliche Regelungen unter Beteiligung von Arbeitsmedizinern erstellt werden müssen.

Quer durch alle Branchen nehmen Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen zu. Der Studie zufolge verursachen sie 40 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage und rangieren damit auf Platz zwei der Krankschreibungen. 75.000 Menschen scheiden jährlich wegen psychischer Leiden vorzeitig aus dem Berufsleben aus.

Der Gesetzgeber hat reagiert und das Arbeitsschutzgesetz erweitert: Seit Ende 2013 sind Arbeitgeber gehalten, im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz auch psychische Belastungen zu erfassen.

Doch das geschieht bislang nicht konsequent. Nach einer Erhebung des Ausschusses der höheren Arbeitsaufsichtsbeamten (SLIC) der EU wurden in Deutschland nur bei der Hälfte der inspizierten Arbeitsplätze auch psychosoziale Risiken ganz oder teilweise erfasst. Der Anteil wird in kleineren Betrieben noch weit niedriger geschätzt.

Regierung: Erkenntnisse unklar

Kriterien für eine Beurteilung der Gefährdung von psychischen Belastungen

Kann der Beschäftigte die Reihenfolge oder das Pensum der Tätigkeit mitbestimmen?

Sind die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten klar? Sind notwendige Informationen verfügbar?

Beinhaltet die Arbeit eine hohe emotionale Inanspruchnahme, wie Umgang mit schweren Krankheiten oder Tod oder bedrohliche Situationen?

Wird in Wechselschichten gearbeitet oder in Nachtdiensten?

Wird unter hohem Zeitdruck gearbeitet? Lassen sich die Arbeitszeiten gut planen?

Sind regelmäßige Pausen möglich?

Eine konsequente Umsetzung scheitert beispielsweise an der Frage, wie man gesundheitsgefährdende Arbeitsüberlastungen misst und ob es hierfür eine Messgröße geben kann.

Die Bundesregierung hält die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu dieser Frage noch nicht für ausreichend und sieht deshalb keinen Handlungsbedarf für eine eigenständige Verordnung mit klarer Regelung des Vorgehens.

Die DGPPN und die Psychiater der Uni Freiburg haben in ihrer Studie untersucht, wie dies in anderen europäischen Ländern geregelt ist und festgestellt, dass dies dort "pragmatisch und erfolgreich angegangen" werde.

Beispiel Frankreich: Wird dort die Gefährdungsbeurteilung nicht oder ungenügend erstellt, so gilt dies als unentschuldbarer Fehler im Arbeitsverhältnis. Der Arbeitgeber wird in Haftung genommen.

Kommt es dann zu einem Arbeitsausfall beispielsweise durch Burn-out bedingte Depressionen, haftet er für die Folgen, wenn er das Risiko in seiner Gefährdungsbeurteilung hätte erkennen können oder müssen. Das reicht von hohen Geldbußen bis zu Gefängnisstrafen.

Deutsche Arbeitgeber dagegen haben zunächst keine Sanktionen zu befürchten, wenn eine Gefährdungsbeurteilung nur mangelhaft oder gar nicht umgesetzt wird.

Erst wenn die zuständigen Landesbehörden für Arbeitssicherheit den Arbeitgeber auf die Verletzung seiner Pflichten hingewiesen haben und dies innerhalb einer Frist nicht nachgebessert wird, kann die Pflichtverletzung als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Klare Regelungen gebe es aber nicht, bemängeln die Autoren.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Zervixkarzinom

DKG-Expertin Hasenburg: „Die HPV-Prävention muss in der Schule beginnen“

Kooperation | In Kooperation mit: AOK-Bundesverband

Primärprävention

Empfehlungen aktualisiert: LDL-Cholesterin wann und wie senken?

Wissenschaftliche Bestandsaufnahme

Bundesärztekammer will Public Health „neu denken“

Das könnte Sie auch interessieren
Der Gesundheitsdialog

© Janssen-Cilag GmbH

J&J Open House

Der Gesundheitsdialog

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
Impulse für den medizinischen Fortschritt: Welches Mindset braucht Deutschland?

© Springer Medizin

Johnson & Johnson Open House-Veranstaltung am 26. Juni 2025 beim Hauptstadtkongress

Impulse für den medizinischen Fortschritt: Welches Mindset braucht Deutschland?

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
J&J Open House beim Hauptstadtkongress

© [M] Springer Medizin Verlag

Video zur Veranstaltung

J&J Open House beim Hauptstadtkongress

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
Was die MS-Behandlung auszeichnet

© Suphansa Subruayying | iStock

Lebensqualität

Was die MS-Behandlung auszeichnet

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

© AscentXmedia | iStock

Lebensqualität

Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Arzneiforschung: Von Innovationen profitieren nicht nur Patienten, sondern immer auch die Gesellschaft als Ganzes.

© HockleyMedia24 / peopleimages.com / stock.adobe.com

Nutzenbewertung

Arznei-Innovationen: Investition mit doppeltem Nutzen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa)
7-Jahres-Daten belegen günstiges Nutzen-Risiko-Profil von Ofatumumab

© Vink Fan / stock.adobe.com

Aktive schubförmige Multiple Sklerose

7-Jahres-Daten belegen günstiges Nutzen-Risiko-Profil von Ofatumumab

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg

ADHS im Erwachsenenalter

Wechseljahre und ADHS: Einfluss hormoneller Veränderungen auf Symptomatik und Diagnose

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG, Iserlohn
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Einsatz für Schmerzlinderung

Landgericht Hamburg klärt PKV-Leistungspflicht für Cannabis

Lesetipps
Eine Ärztin hört während einer medizinischen Konsultation in ihrer Praxis die Lunge einer Patientin ab.

© AntonioDiaz / stock.adobe.com

In der Niederlassung

Körperliche Untersuchung vor einem Ultraschall – sinnvoll oder nicht?