Neues Geschlechts-Lexikon

Große Hilfe beim kleinen Unterschied

Männer sind anders, Frauen auch - das gilt auch in der Medizin. Nun geht eine Online-Plattform an den Start, die Ärzten und Studierenden bei den kleinen, aber feinen Unterschieden helfen soll.

Von Nina Nöthling Veröffentlicht:

NEU-ISENBURG. Eigentlich ist es selbstverständlich, dass Männer und Frauen unterschiedlich sind. Doch in der Medizin findet dieses Wissen immer noch zu wenig Anwendung. Essstörungen gelten als Frauen-Krankheit, ebenso Depressionen. "Dabei sind Essstörungen zunehmen auch ein Problem junger Männer", sagt Professorin Bettina Pfleiderer von der medizinischen Fakultät der Uni Münster.

Gendermedizin soll künftig für alle zugänglich gemacht werden.

Gendermedizin soll künftig für alle zugänglich gemacht werden.

© GiZGRAPHICS / fotolia.com

Im Gegensatz zu jungen Frauen nehmen sie aber weniger oft Abführmittel, sondern treiben exzessiv Sport und essen wenig, erklärt sie. Das Wissen in diesem Bereich sei allerdings noch wenig ausgeprägt und nicht weit verbreitet.

Das soll sich ändern. Mit einer online Plattform, dem GenderMed-Wiki, will Pfleiderer die Erkenntnisse aus der Gendermedizin bündeln, für alle zugänglich machen und das Thema mehr in den Fokus rücken. Die Plattform soll am 1. November unter der Adresse www.gendermed-wiki.de online gehen.

Prävalenz, Therapie, Krankheitsbild

Der Name der Plattform bezieht sich auf die aus dem Englischen stammende Bezeichnung Gender für das soziokulturelle Geschlecht. Die World Health Organisation definiert Gender als die durch das soziale Umfeld konstruierten Charakteristiken von Mann oder Frau. Sie sind bestimmt durch Normen, Rollen und Beziehungen.

Dabei spielt natürlich auch das biologische Geschlecht eine Rolle.

GenderMed-Wiki wird Beiträge zum geschlechtsabhängigen Einfluss auf Prävalenz, Therapieerfolg, Medikamentenwirkung und Krankheitsbild enthalten. Zum Beispiel soll erklärt werden, wie Männer und Frauen Schmerzen unterschiedlich zum Ausdruck bringen und unterschiedliche Symptome für dieselbe Erkrankung zeigen können.

Depressionen besser erkennen

Pfleiderer erklärt, dass es überlebenswichtig sein kann, Patienten geschlechtsabhängig zu behandeln. Zum Beispiel bei Depressionen: Bei 70 Prozent aller Suizide in Deutschland liegt eine Depression zu Grunde. "Der Unterschied ist, dass bei Frauen Depressionen viel häufiger diagnostiziert werden. Bei Männern ist die Medizin häufig noch weitgehend depressionsblind", sagt sie.

Männer zeigten eher nicht die klassischen Symptome wie Antriebslosigkeit und Selbstwertwertverlust, sondern neigten eher dazu, aggressiv zu werden und Alkohol zu trinken. "Mögliche unterschiedliche Ausprägungen von Symptomen bei einer Erkrankung müssen nicht nur ge- und erkannt werden, sondern bedürfen auch einer anderen Behandlung."

Auf der Plattform sollen sich Ärzte, Studenten, Lehrende und Interessierte über genderspezifische Symptome und Behandlungen informieren. Ärzten soll außerdem eine Unterstützung bei der Behandlung ihrer Patienten geboten werden. Sie können nachschauen, ob Symptome genderspezifisch sind und ob Medikamente bei Männern und Frauen unterschiedlich wirken.

"Es wird außerdem eine Übersicht über den Behandlungserfolg verschiedener Therapieansätze in Abhängigkeit vom Geschlecht geben", kündigt Pfleiderer an.

Input von Ärzten wichtig

GenderMed-Wiki werde die einzige so umfangreiche Sammlung im Bereich der Gendermedizin sein, sagt die Medizinerin. "Wir wollen das Augenmerk nicht nur auf das richten, was schon bekannt ist."

Dafür sei der Input von niedergelassenen Ärzten wichtig. "Forscher an den Universitäten haben einen anderen Blickwinkel. Ärzte haben die Praxiserfahrung. Sie wissen was wie funktioniert", sagt Pfleiderer. Sie zählt darauf, dass möglichst viele Ärzte sich an dem Projekt beteiligen, indem sie selbst Artikel verfassen oder vorhandene Beiträge ergänzen. Auch anonyme Fallbeispiele sind gerne gesehen. Autoren haben die Wahl, ob sie namentlich genannt werden wollen oder nicht.

Jeder Beitrag beginnt mit einer kurzen einfachen Zusammenfassung. Dieser soll Studierenden und Fachfremden den Zugang zum Thema erleichtern. Für Lehrende und Studierende sind außerdem alle Beiträge mit Folien, Fallbeispielen und Tests versehen. Zukünftig soll es auch eine Ausschreibungsplattform für Doktorarbeiten und eine Jobbörse auf der Plattform geben.

Wer keinen eigenen Beitrag verfassen will, kann einen Kommentar hinterlassen. "Die Feedbackfunktion ist wichtig. So erfahren wir unter anderem, welche Themen wir noch behandeln müssen", so Pfleiderer.

Auf die politische Agenda

Auch die Politik soll über das neue Portal auf das Thema aufmerksam werden. Pfleiderer hofft, dass neue Programme und Initiativen im Bereich der Gendermedizin von der Politik gefördert werden, wenn GenderMed-Wiki gut angenommen wird.Im kommenden Jahr soll GenderMed-Wiki auf Englisch erscheinen, um auch international einen Wissensaustausch zu ermöglichen.

Auch ist, nach Angaben der Ärztin, wichtig, die medizinische Versorgung im kulturellen Kontext zu sehen. In anderen Ländern gehen die Menschen beispielsweise zu anderen Zeitpunkten zum Arzt und drücken ihren Schmerz anders aus, erklärt Pfleiderer. "In anderen Kulturkreisen wird oft der Bauch assoziiert, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Dabei muss der Patient nicht wirklich Bauchschmerzen haben."

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