Interview

Streit um Hausarzthonorare: "Koalition wäre jederzeit gesprächsbereit"

Die Wut unter Deutschlands Hausärzten ist riesengroß. Grund ist die von der Koalition geplante Gesundheitsreform und die angekündigte Kappung der Honorare in neuen Hausarztverträgen. Im Interview mit der "Ärzte Zeitung" verteidigt der Gesundheitsexperte der Union, Jens Spahn, die Pläne. Auch die Hausärzte müssten einen Sparbeitrag leisten, um das Milliardendefizit der gesetzlichen Kassen im kommenden Jahr zu stopfen, betont der CDU-Politiker.

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"Für tatsächliche Mehrleistungen sind Zuschläge auch in Zukunft denkbar." (Jens Spahn, CDU, gesundheitspolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion)

Ärzte Zeitung: Herr Spahn, haben Sie Verständnis für die angekündigten Proteste der Hausärzte gegen die Gesundheitsreform?

Jens Spahn: Öffentliche Auseinandersetzung gehört zum Wesen der Demokratie. Natürlich darf der Hausärzteverband wie andere Lobbygruppen auch protestieren und seine Position zu geplanten Veränderungen deutlich machen. Aber der Ton macht die Musik. Und da hat der Hausärzteverband sich deutlich vergriffen.

Ärzte Zeitung: Der Hausärzteverband spricht von einem "Anschlag" auf die hausärztliche Versorgung. "Viele Tote" könnten die Folge sein. Der Ärger sitzt offenbar sehr tief.

Spahn: Was kommt als nächstes? Eine Pressekonferenz im Leichenschauhaus nach dem Motto "Dieser Tote geht auf das Konto von Schwarz-Gelb"? Der Hausärzteverband spielt mit den Ängsten der Patienten, und er hat deutlich überzogen. Und wenn seine Funktionäre das nicht erkennen und sich weiter verrennen, wird es schwer, im Dialog miteinander zu bleiben. Wir jedenfalls wären zu konstruktiven Gesprächen jederzeit bereit.

Ärzte Zeitung: Aber mal Hand aufs Herz, Herr Spahn: Begräbt die Koalition den 73 b nicht quasi durch die Hintertür - das heißt über die geplante Kappung der Honorare in zukünftigen Hausarztverträgen auf das KV-Niveau?

Spahn: Wir wollen eine Stärkung der hausärztlichen Versorgung in Deutschland. Der Hausarzt ist für viele Menschen der erste Anlaufpunkt im Gesundheitswesen. Wir begrenzen in den nächsten zwei Jahren die Zuwächse für alle Bereiche, bei den Zahnärzten, Krankenhäusern, Krankenkassen, Apothekern und der Pharmaindustrie. Wir belasten zudem die Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Es wäre kaum fair, die Ärzte und auch die Hausärzte von diesen Maßnahmen auszunehmen.

Für tatsächliche Mehrleistung im Vergleich zur hausärztlichen Regelversorgung sind Zuschläge im Übrigen auch in Zukunft denkbar. Die Qualität muss noch mehr als bisher bei allem, was wir tun, im Mittelpunkt stehen.

Ärzte Zeitung: Neue Konzepte, wie sie die Versorgungsstrukturen verbessern wollen, enthält das Reformkonzept der Koalition nicht. Warum eigentlich nicht?

Spahn: In der Regel gilt, dass ein gut versorgter chronisch Kranker auf längere Sicht betrachtet auch wesentlich weniger Kosten und Folgekosten verursacht. Die Krankenkassen müssen ihr kamerales, nur auf das laufende Jahr fixierte Denken ablegen, dann werden sie sich aus eigenem Interesse um eine gute Versorgung chronisch Kranker kümmern. Dafür wollen wir im System der Zusatzbeiträge und bei der Ausgestaltung der Finanzströme im Gesundheitsfonds - Stichwort RSA - die nötigen Anreize schaffen.

Außerdem verbinden wir im Gegensatz zu früher kurzfristige Sparmaßnahmen mit langfristigen Strukturveränderungen. Bestes Beispiel ist der Arzneimittelmarkt.

Ärzte Zeitung: Versprochen wurde, die Verwerfungen der letzten Honorarreform für Ärzte zu beseitigen. Geschehen ist bislang nichts, das Bundesgesundheitsministerium sagt seit Monaten lediglich, die Kassenärztliche Bundesvereinigung müsse erst Zahlen liefern.

Spahn: Aus unserer Sicht ist bereits einiger Veränderungsbedarf erkennbar. Die Entwicklung vieler spezialisierter Versorgungsformen und Zusatzleistungen wie etwa Akupunktur darf nicht zu Lasten der ärztlichen Regelversorgung gehen - sie ist und bleibt die Basis. Außerdem sollten wir den Zwang zur Pauschalierung aufheben und endlich auch den zweiten Schritt zu einer stärkeren Vereinheitlichung der ärztlichen Honorierung gehen: Nachdem die Preise bundesweit vereinheitlicht wurden, brauchen wir jetzt eine entsprechende Konvergenz auch beim Behandlungsbedarf. Die großen Unterschiede zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen sind nicht hinnehmbar und allein historisch zu begründen.

Ärzte Zeitung: Stichwort GKV-Finanzen. Angesichts steigender Gesundheitskosten fordert Ihr Kollege Marco Wanderwitz eine stärkere finanzielle Belastung von übergewichtigen Menschen. Der richtige Weg?

Spahn: Wir wollen eine stärkere Eigenverantwortung der Versicherten. Für meine eigene Gesundheit ist nicht zuerst der Arzt oder die Gesellschaft verantwortlich, sondern zuerst einmal ich selber. Das ist die Leitidee. Aber wir wollen sicher keine Gesundheitspolizei, die bei jedem ausspioniert, was er isst oder ob er raucht, um ihn dann zu bestrafen.

Die Fragen stellte Thomas Hommel.

Lesen Sie dazu auch: 73b-Streit: Union bietet Hausärzten Dialog an

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