Ex-KV-Funktionär schwebt in Regressgefahr

Mit Regressen kennt sich Dr. Jan Geldmacher aus, schließlich war er lange Zeit KV-Funktionär und hat sogar die Pharmakotherapieberatung geleitet. Seit einem Jahr arbeitet er als Landarzt - und jetzt droht ihm selbst ein Regress.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:

Dr. Jan Geldmacher, Landarzt und Ex-KV-Funktionär

LÜNEBURG. 16.700 Euro angedrohte Regress-Summe und die schriftliche Beteuerung der KV Niedersachsen (KVN): "Wir lassen Sie nicht im Stich."

Der Adressat des KV-Schreibens ist Dr. Jan Geldmacher, seit einem halben Jahr, nach langer Suche und gefördert von der KV, Hausarzt im ländlichen Gartow im tiefen Ostniedersachsen.

"Ich werde nicht die KV für die Regresse verantwortlich machen", sagt Geldmacher, "aber es muss klar sein: Regresse verhindern aktiv und nachhaltig die Niederlassung - vor allem auf dem Land."

Mit 66 aufs platte Land

Verblüffend: Geldmacher ist selber Pharmakotherapieberater und hat in seiner Funktionärszeit bei der KV Südbaden sogar die Pharmakotherapieberatung geleitet. Zudem ist er seit 1994 außerordentliches Mitglied der Arzneimittelkommission der Bundesärztekammer.

Er kennt also beide Seiten des Abrechnungsgeschehens. Am Schluss seines Arbeitslebens wollte er es noch einmal wissen - und zwar ausgerechnet als Hausarzt in Gartow.

Das war im Sommer vergangenen Jahres. Die Gemeinde und die Patienten sind glücklich, dass endlich wieder ein Doktor den Weg in ihren verlassenen Landstrich gefunden hat.

Die Elbe ist nah, ansonsten viel Landschaft und lange Straßen - ein Erholungsgebiet. Aber die ehemalige "Zonenrandlage" hat an Infrastruktur noch eine Menge aufzuholen.

Dass Geldmacher eine umfangreiche Aufgabe zu erledigen haben würde, war also von vorneherein klar. 80.000 Euro hat er in die Praxis gesteckt und ist längst noch nicht in den schwarzen Zahlen.

Die Scheinzahl muss sich mit der Zeit entwickeln, meint der Arzt. Und jetzt auch noch der Regress.

Arzneimittelbudget um 76 Prozent überschritten

Geldmacher ist, wie er sagt, "einigermaßen verblüfft": "Ich hatte in meiner Praxis im Süden 21 Jahre lang keine Probleme mit Regressen, und jetzt bin ich sechs Monate hier und muss nach den Berechnungen der KV mit 16.000 Euro Arzneimittelregress rechnen."

Er habe sein Arzneimittelbudget um 76 Prozent überschritten. So wie Geldmacher wird es übrigens demnächst vielen Ärzten in Niedersachsen gehen.

Eben erst hat die KVN bekannt gegeben: 817 Praxen im Land müssen mit Richtgrößenprüfungen im Arzneibereich für das Jahr 2011 rechnen. Bei den Heilmitteln trifft es sogar 1471 Praxen.

Regresse als Problem kleinzureden regt Geldmacher auf. "Wenn Ex-KV-Chefs öffentlich erklären, es gebe keine Regresse, dann liegen mir ernsthaft Kraftausdrücke im Mund", sagt Geldmacher.

"In Baden-Württemberg haben 2005 rund 2500 Kollegen die Richtgrößen um mehr als 25 Prozent überschritten, 800 einen Brief erhalten und letztlich 250 einen Regress bekommen - das zeigt, dass Regresse ein flächendeckendes Phänomen sind!" Genau das wird ihm nun auch in Gartow bestätigt.

Die Forderung: Freistellung von Regressen für Landärzte

Das Prinzip dahinter laute: Angst machen. "Wer solche Strafmaßnahmen zwei Mal hat über sich ergehen lassen müssen, der ist fertig und wird spuren", sagte Geldmacher.

"Er wird erkennen, dass nicht er die Verordnungshoheit hat, sondern ein Prüfgremium, und er wird schließlich notwendige Maßnahmen unterlassen." Geldmacher fordert deshalb für Landärzte die Freistellung von Regressen.

"Die statistischen Grundlagen für die Prüfung sind doch einfach gar nicht gegeben, und die Probleme für den Hausarzt auf dem Lande kommen unweigerlich."

Von Gartow aus ist die nächste Facharztpraxis 25 Kilometer entfernt, andere Hausärzte im Übrigen auch.

"Wir haben es mit einer großen Versorgungstiefe zu tun. Diese Morbidität ist einfach nicht abbildbar mit den heutigen Mitteln, und deswegen gibt es immer wieder diese absurden Regresse."

Potenzielle Rückforderungen schrecken junge Ärzte ab

Es sei fragwürdig, gegen Prüfungen als solche vorzugehen, sagt der Hausarzt. "Die muss es wahrscheinlich geben, aber doch nur bei grobem Unfug!" In seiner Arbeit in Gartow sieht Geldmacher indessen keinen Grund für Regresse.

"Hier habe ich Patienten in einem Pflegeheim zu versorgen. Außerdem mache ich Hausbesuche." Der überlastete Vorgänger hatte keine Zeit mehr dazu.

"Aber hier leben viele alte Leute, die will ich sehen, wenn ich sie behandle, und das geht nur per Hausbesuch. Es genügt doch nicht, dass einmal im Quartal eine Angehörige in die Praxis kommt und dann mit ein paar Pillen für die Mutter wieder wegfährt."

Bei der gegenwärtigen Regress-Praxis brauche sich niemand über den Landärztemangel zu wundern, meint Geldmacher. MVZ können sich vielleicht teure Anwälte leisten, die das Recht der Ärzte vor den Gremien durchboxen, aber auf dem Land brauche man auch Einzelpraxen, und die seien bei Regressen in schwerer Not.

"Ich bin ja glücklicherweise ein alter Haudegen. Aber wenn ich ein junger Doktor wäre, dann würde ich mir überlegen: ‚Wie kann ich am schnellsten in meine alte Klinik zurückkehren?‘ Und das kann ja wohl nicht das Ziel der Politik sein!"

Reaktionen auf den Regress: Prüfen, begründen, rechtfertigen

Der Landarzt Dr. Jan Geldmacher hat eine Regressandrohung über 16.700 Euro auf dem Tisch. Und das nach noch nicht einmal einem Jahr Niederlassung in einem der strukturschwächsten Gebiete Deutschlands - im niedersächsischen Wendland .

Wie es jetzt in seiner noch jungen Praxis weitergehen wird, "das müssen wir abwarten", sagt der 66 Jahre alte Hausarzt. Immerhin sei er noch nicht bei den Regressen angelangt. "Es gibt ja zunächst nur die Androhung, und ein Prüfverfahren ist noch nicht eingeleitet worden", erläutert Geldmacher.

Auch zu einer Beratung ist es noch nicht gekommen. "Natürlich habe ich nichts gegen eine Beratung. Ich habe ja selber immer für Beratung vor Regress gekämpft", betont der ehemalige KV-Funktionär. Seltsam mutet ihm allerdings ein anderer Umstand an. "Ich bin ja gelernter Pharmakotherapie-Berater, und ich habe in meiner früheren Funktion selber mit Ärzten zum Thema gearbeitet."

Ausgerechnet Geldmacher also eine Beratung angedeihen zu lassen, wie er effizienter verordnen könnte, hieße wohl, Eulen nach Athen zu tragen.

Geldmacher muss nun rund ein Jahr lang warten, bis er Post aus Hannover erhält, die ihm die tatsächlichen Rechnungsergebnisse präsentiert. "Dann werde ich, wie alle anderen Betroffenen auch, eine Reihe von Nächten mit der Prüfung der Zahlen verbringen und danach meine Verordnungen begründen und mich erklären müssen", sagt Geldmacher.

Sein Ziel ist klar: "Ich habe, ehrlich gesagt, nicht die geringste Lust, auch nur einen Pfennig zu bezahlen." (cben)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Implausibilitäten des Systems

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Ulrike Elsner

© Rolf Schulten

Interview

vdek-Chefin Elsner: „Es werden munter weiter Lasten auf die GKV verlagert!“