Medizin-Informatiker warnt

Dr. Web hat Risiken und Nebenwirkungen

Das Internet bringt nicht nur Hypochonder in Wallung. Auch ganz normale Menschen informieren sich immer häufiger online über Krankheitssymptome. Den persönlichen Kontakt kann das aber nicht ersetzen, mahnt ein Experte.

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Dr. Urs-Vito Albrecht hält Checker-Portale für unausgereift. Einen Nutzen hätten sie lediglich, wenn sie das Interesse an der eigenen Gesundheit wecken.

Dr. Urs-Vito Albrecht hält Checker-Portale für unausgereift. Einen Nutzen hätten sie lediglich, wenn sie das Interesse an der eigenen Gesundheit wecken.

© MHH

HANNOVER. Die Auskünfte sogenannter Checker-Portale im Internet sind offenbar zu einem hohen Grad zufallsabhängig. Über diese Portale können Patienten ihre Symptome eingeben und erhalten automatisierte Antworten zu ihrem vermutlichen Krankheitsbild.

Eine im British Medical Journal veröffentlichte Studie hat nun die Qualität der Antworten geprüft (Evaluation of symptom checkers for self diagnosis and triage, Hannah Semigran et al., BMJ 2015). Das Ergebnis ist ernüchternd: Nur zu 38 Prozent stellten die Portale die richtige Diagnose (wir berichteten).

Die "Ärzte Zeitung" hat mit Dr. Urs Vito Albrecht, dem stellvertretender Leiter des Peter L. Reichertz Institutes für Medizinische Informatik an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), über Sinn und Unsinn dieser Checker-Portale gesprochen.

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Albrecht, wie arbeiten eigentlich die so genanten Checker-Portale? Wie deuten sie meine Beschwerden oder Schmerzen?

Dr. Urs Vito Albrecht: Das ist in den meisten Fällen völlig unklar. Das Problem ist, dass die Beurteilungskriterien der Portale nicht offen gelegt werden. Wir sind deshalb auf Spekulationen angewiesen.

Welche wären das?

Albrecht: In der Regel dürfte eine Art Datenbankstrukur hinter den Portalen stehen, die sehr viele medizinische Begriffe und Schlüsselbegriffe hinterlegt haben.

Dann wird die Maschine mit Wahrscheinlichkeiten hantieren: Je mehr passende Schlüsselwörter vom Rat suchenden Patienten eingegeben werden, um so wahrscheinlicher ist eine bestimmte Erkrankung. Dass da allerdings die die Realität abgebildet wird, wage ich zu bezweifeln.

Mancher Patient möchte seine Beschwerden ja auch herunterspielen und könnte unbewusst falsche Symptome angeben, um sich selbst zu vergewissern: "Ich bin gesund".

Albrecht: Ja, so ist es. Und die Maschine würde dann zwangsläufig versuchen, eine Entscheidung aufgrund falscher oder unzureichender Informationen zu fällen. Denn Patienten haben kein Fachwissen und wissen nicht, welche Kriterien für eine Eingabe wichtig sind. Aber auch, wenn der Patient wirklich Aufklärung über seine Beschwerden sucht, wird er vermutlich nicht die Aspekte eintippen, die ein Arzt erfragt hätte.

Wenn der Patient dagegen zum Arzt geht, stellt er sich dem klinischen Blick des Arztes: Mimik, Haltung et cetera sind für sich genommen schon beredt. Dann wird der Arzt symptomorientiert nachfragen.

Wenn ein Patient seine Beschwerden verharmlost oder missinterpretiert, wird der Arzt dies im persönlichen Kontakt schon bemerken. All das kann und erkennt die Maschine nicht. Ausgereift sind diese Systeme eben nicht.

Gibt es Portale, die nicht die Krankheiten, sondern die Gesundheit erkennen?

Albrecht: Meines Wissens nicht. Leider hat auch die BMJ-Studie nicht ermittelt, ob die Checker-Portale auch die Gesundheit der Patienten erkennen. Wir bereiten derzeit eine Studie für den deutschen Markt vor, die auch diese Fragestellung berücksichtigt.

Welchen Nutzen und welche Stärken hat denn "Dr. Web"?

Albrecht: Das ist kaum zu sagen. So ist zum Beispiel völlig unklar, was die Patienten am Bildschirm dann mit den Informationen anfangen, die ihnen das Checker-Portal präsentiert hat.

Doch das Ganze hat auch positive Seiten: Allein, dass sich die User für die eigene Gesundheit interessieren und dazu ein solches Portal nutzen, ist ein guter Schritt. Wenn dann ein Patient zum Arzt geht, um seine Beschwerden abklären zu lassen, hat das CheckerPortal genützt.

Ein Blick in die Glaskugel - werden in Zukunft trotz aller Vorbehalte Datenbanken und Algorithmen den Arzt entlasten können oder gar zum Teil ersetzen?

Albrecht: Nein. Dass der Arzt eines Tages ersetzt werden könnte, ist Unsinn. Aber die Rechenleistungen der Datenbanken werden größer und könnten zukünftig bessere Screening-Tools für bestimmte Beschwerdebilder liefern. In diese Richtung läuft es wohl. Aber dadurch wird der Arzt weder entlastet noch ersetzt.

Patienten fragen doch vor allem: Hat mich der Arzt ernst genommen? Hat er mir zugehört? Wenn ich sage, "Guten Tag, ich bin Dr. Albrecht, ich bin jetzt hier und kümmere mich um Sie!", dann hat jede Maschine das Nachsehen.

Was der Mensch braucht, ist der Mensch. Die Checker-Portale könnten eher zum Werkzeug werden, das Interesse der User an der eigenen Gesundheit zu stärken.

Die Fragen stellte Christian Beneker

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