Hintergrund

Mission Peer Review: Ärzte auf der Suche nach Fehlern

Kollegiale Hilfe statt vernichtender Kritik von Ärzten der Wettbewerbskliniken - so versteht sich das Peer-Review-Verfahren, das im Rahmen der Initiative Qualitätsmedizin derzeit Schule macht. Offener Umgang mit Fehlern hilft, Arbeitsabläufe in Kliniken zu verbessern.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:

In der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Evangelischen Krankenhauses Bethesda in Duisburg herrscht latente Aufregung. Drei Peers haben sich angekündigt, Chefärzte aus anderen Krankenhäusern, die an der Initiative Qualitätsmedizin (IQM) teilnehmen.

Ihre Mission: Sie suchen Fehler und Verbesserungspotenzial. "Peer Review ist ein Tag, an dem ich sehe, was ich besser machen kann", sagt der Chefarzt der Klinik, Professor Jörg Meyer.

Peer Review

Peer Review lässt sich übersetzen als "Begutachtung durch Ebenbürtige".

Das Verfahren aus der Wissenschaftspraxis ist vor allem zur Qualitätssicherung bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen gängig. In der Form, wie es nun die Kliniken der Initiative Qualitätsmedizin (IQM) praktizieren, kennt es Vorbilder aus dem Bereich der Wirtschaftsprüfung.

Beim Peer Review analysieren Chefärzte aus anderen Kliniken Falldokumentationen, Abläufe und Strukturen einer Klinik, um Fehlerquellen ausfindig zu machen und Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten.

Beim Peer Review im Rahmen der IQM ist der Anlass meist eine Auffälligkeit bei Qualitätskennziffern, also zum Beispiel überdurchschnittlich hohe Sterblichkeitsraten bei Patienten mit bestimmten Diagnosen. Als Peers kommen dabei Chefärzte aus Kliniken zum Einsatz, die mit der begutachteten Klinik in keinem direkten Wettbewerbsverhältnis stehen.

Auch wenn er es positiv formuliert, etwas nervös war er doch, räumt er nachher ein. Der Besuch der Kollegen hat laut Meyer einen "Scheinwerfereffekt". Der Chefarzt braucht nicht fürchten, dass ihm die Konkurrenz ins Nähkästchen guckt: Bei dem Verfahren wird darauf geachtet, dass die Peers aus Kliniken kommen, die in keinem Konkurrenzverhältnis zum Bethesda-Krankenhaus stehen.

Rund fünf Stunden lang sehen sich die fremden Ärzte die Akten an. Dann folgt ein Gespräch unter Kollegen. Für Meyer geht es jetzt darum, Bereitschaft zur Selbstkritik an den Tag zu legen, die Fehlerhaftigkeit des eigenen Handelns zu akzeptieren und das Krankenhaus als ständig lernendes System zu verstehen.

Die Peers haben einige Verbesserungsvorschläge. Sie formulieren sie nicht als Kritik nach dem Motto "Das macht ihr schlecht", sondern als Anregung: "Das könntet ihr besser machen". Konkret geht es um Auffälligkeiten bei Beatmungs-Patienten.

Die Peers schlagen vor, die Dokumentation der gemeinsamen Visiten von Intensivmedizinern und anderen Fachärzten sowie die Dokumentation der Therapieentscheidungen respektive -begrenzungen und Todesumstände zu verbessern.

Sie halten es für hilfreich, wenn das hämodynamische Monitoring erweitert wird und fordern eine zeitnahe, adäquate, ständig verfügbare Bedside-Diagnostik. Die Klinik setzt in der Folge das bestehende Monitoring vermehrt ein.

Verbesserungspotenzial sehen die Peers auch bei der bildgebenden Diagnostik und dem Infektionsmonitoring. Im Gespräch von Chefarzt, Peers und Geschäftsführung wird beschlossen, dass ein Sonografiegerät angeschafft und das Labor gewechselt wird. Auch die Anregung zur Ausweitung der Intensivkapazität greift die Geschäftsführung schnell auf und schafft 14 neue Plätze. "Die Geschäftsführung hat sofort reagiert", sagt Meyer.

Der Chefarzt hat den "Blick von außen" als sehr hilfreich empfunden. Sein Fazit: "Unsere Klinik hat davon sehr profitiert", sagt er. Meyer war aber auch selbst schon als Peer in anderen Kliniken unterwegs. "Ich bin immer nach Hause gefahren mit dem Gefühl, dass ich etwas gelernt habe", sagt er. Die Atmosphäre schildert er als sehr kollegial, und die Kliniken seien immer gut vorbereitet gewesen.

Bereits mehrere Reviews haben die Johanniter Kliniken erhalten. Der Vorsitzende der Geschäftsführung, Dr. Jörg Blattmann, schildert das Verfahren als "Unterstützung auf Augenhöhe". Anlass zu einem Review gab die auffällig hohe Sterblichkeit bei Herzinsuffizienz-Patienten.

Drei Peers haben sich 20 Fallakten angesehen und die Abläufe retrospektiv analysiert. Schnell ist klar, dass die Verlegung auf die Intensivstation oft zu spät kam, Dokumentation und Kodierung mangelhaft waren und die Diagnose Sepsis vernachlässigt wurde.

Die Klinik führt darauf hin interdisziplinäre Fallkonferenzen und wöchentliche Kurzweiterbildungen ein, baut eine Kodierabteilung auf und verbessert die Dokumentation. Bei den Johannitern insgesamt wurde laut Blattmann nach zwei Reviews klar, dass die medizinischen Leitlinien stringenter umgesetzt werden müssen. "Das ist auch Voraussetzung für Delegation", sagt Blattmann.

Sein Fazit: "Behandlungsprozesse werden zügiger, effizienter und sicherer, weil die Anwender von IQM schnell Regelungsbedarfe erkennen." Insgesamt 21 Peer Reviews hat IQM 2010 durchgeführt. Für 2011 sind 44 geplant. 132 Kliniken wirken an IQM inzwischen mit. Insofern gibt es noch viel Potenzial.

Doch nicht jeder Arzt ist zum Peer geboren, der Verbesserungsvorschläge kollegial vermitteln kann. Deshalb hat die Bundesärztekammer ein entsprechendes Curriculum entwickelt. Die Ärztekammer Berlin hat im April den Pilotkurs angeboten (wir berichteten).

Jeweils 16 Ärzte können an den Kursen teilnehmen. Sie lernen in Theorie und Praxis unter anderem, welche Aufgaben ein Peer hat und welche Haltung er einnehmen sollte. Datenerhebung, -interpretation und -bewertung ist ein weiteres Modul.

Zudem gibt es Schulungen in Design und Planung eines Peer Reviews und über Feedback und Berichte. Den Schwerpunkt bildet die Schulung der persönlichen Kompetenzen in Sachen Selbstmanagement, lösungsorientierter Gesprächsführung und den Umgang mit Konflikten, Kritik und Widerstand. Die Kurse sind nach Kammerangaben gut gebucht.

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