Hintergrund

Prozesse optimieren geht nur im Team

Wenn Praxen oder Krankenhäuser ihre Qualität steigern wollen, geht das nicht von oben herab. Denn: Das beste System nützt nichts, wenn die Mitarbeiter nicht mitziehen. Das zeigen die Erfahrungen des Klinikums Oldenburg.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
2004 ließ sich das Klinikum Oldenburg erstmals zertifizieren.

2004 ließ sich das Klinikum Oldenburg erstmals zertifizieren.

© Klinikum Oldenburg

Ein Drittel ist dagegen, ein Drittel ist begeistert und ein Drittel ist skeptisch. So umreißt Dr. Martin Kramer, Leiter der Stabsstelle Unternehmensentwicklung und Organisation am Klinikum Oldenburg, die Bereitschaft im Hause, den angestrebten Qualitätssprung in Prozessen und Patientensicherheit zu meistern.

Damit hat Kramer den entscheidenden Aspekt aller Qualitätssteigerung im Krankenhaus - wie auch in Praxen - angesprochen. Das beste System nützt nichts, wenn das Personal nicht mitzieht.

"Skeptiker findet man an allen Krankenhäusern"

Seit einigen Monaten hat das Klinikum im Nordwesten das Zentrum für Qualität und Management im Gesundheitswesen (ZQ), eine Einrichtung der Ärztekammer Niedersachsen, ins Haus geholt, um das prozessorientierte Qualitätsmanagement voran zu bringen.

"Skeptiker findet man an allen Krankenhäusern. Das ist normal und in Ordnung", erklärt Kramer, "wichtig ist, dass die Hausleitung den Qualitäts-Prozess initiiert hat und entschlossen vorantreibt."

Schon seit 2004 lässt das Klinikum sein Brustzentrum nach den Vorgaben der Deutschen Krebsgesellschaft zertifizieren. Es folgten Prostata- und onkologisches Zentrum, weitere sind geplant. Mit Unterstützung des ZQ bildet Kramer jetzt Qualitätsmanagement-Beauftragte in allen Abteilungen aus.

Prozesse für jede Abteilung in eine Form gießen

Sie gießen die Prozesse für jede Abteilung in eine Form, die für jeden nachvollziehbar ist. "So entwerfen sie Flowcharts und Arbeitsanweisungen, etwa für die Patientenaufnahme, die Patientenentlassung oder für den Notfall auf Station", sagt Kramer.

Die Prozesse sollen zum Beispiel helfen, die Wartezeiten vor einer Op zu verkürzen, die richtigen Mit arbeiter zu finden oder Schädigungen durch falsche Medikation zu vermeiden.

"Laut Hochrechnungen der WHO erleiden 0,5 bis ein Prozent aller Pa tienten in einer Klinik Schaden durch Fehler bei der Arznei gabe", erläutert Kramer. Durch strukturierte Vorgaben und intelligente Software will man in Oldenburg die Patientenrisiken minimieren.

Aber nicht nur im medizinischen Bereich, sondern im ganzen Haus wird am übergreifenden Qualitätsmanagement gefeilt. "Auch die Verwaltung, die Personalabteilung, die Apotheke und die Küche sind in den Prozess eingebunden", sagt Kramer. "So und wahrscheinlich nur so wird die Arbeit für alle Beteiligten an der Qualität auch glaubhaft.

Etappenziele und regelmäßige Befragungen der Patienten

Wie sollten wir den klinischen Abteilungen Checklisten vorschlagen, wenn die unterstützenden Bereiche sich nicht auch an der übergreifenden Aufgabe messen lassen?" Das erste Etappenziel definiert Kramer so: "Wir wollen bis zur Rezertifizierung des Gesamthauses nach KTQ im Jahr 2013 mindestens einen Kernprozess samt Kennzahlen in jeder Abteilung installiert haben."

2004 wurde das Klinikum Oldenburg als erstes Haus dieser Größe in Norddeutschland KTQ-zertifiziert.

Motivierend dürfte es auf die Mitarbeiter wirken, dass die gesteigerte Qualität den Patienten durchaus auffällt. "2003 haben wir bei 58 Prozent der Brustkrebspatientinnen eine präoperative Diagnosesicherung vorgenommen, 2011 bei 99 Prozent", berichtet Kramer.

"Dass sich die Zahl der Frauen mit Brustkrebs in den vergangenen Jahren in unserem Haus verdreifacht hat, liegt sicher auch daran, dass wir höhere Qualität, Patientinnen-Orientierung und Patientinnensicherheit erreicht haben." Für ihn sei diese Steigerung "eine Abstimmung mit den Füßen, vor allem durch die jüngeren Frauen".

Regelmäßig befragt das Klinikum seine Patienten im Brust- und im Prostata-Zentrum.

Ergebnisse zurückspiegeln und diskutieren

"Wie fanden Sie die Organisation im Haus?", "Wie war die Freundlichkeit, wie die Pflege?" "Gab es Situationen, in denen Sie sich besonders gut oder besonders schlecht behandelt gefühlt haben?" "Wie haben Sie die Gespräche mit den Ärzten über Ihre Krankheit empfunden?" "Wurde Ihre Privatsphäre ausreichend gewahrt?" Und so weiter. Eine Konsequenz aus den Befragungen war zum Beispiel ein zusätzliches Besprechungszimmer auf der Brustkrebsstation, so Kramer.

Die Ergebnisse werden in die Abteilungen zurückgespiegelt und in Schulungen mit Ärzten und Pflegenden diskutiert. "Auch die Prozesse legen wir nicht ,par ordre du mufti‘ fest", so Kramer, "sondern wir stellen sie zusammen mit den betroffenen Mitarbeitern auf die Beine. So machen wir die Betroffenen zu Beteiligten." Die vier Ausbildungsgruppen haben je 20 Mitglieder, das Klinikum beschäftigt 2400 Mitarbeiter.

Die Aufgabe der Qualitätsmanagementbeauftragten ist riesig: Sie müssen in den Fachabteilungen für neue Prozesse trommeln. Das bedeutet, mit alten Gewohnheiten zu brechen und neue Prozess anzustoßen. Kramer weiß, dass nicht alle sofort mitziehen. Darum sagt er: "Man muss das erste Drittel nutzen und die weiteren gewinnen."

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