Geriatrie

Nürnberger Klinikum ist Vorbild für moderne Altersmedizin

Am Nürnberger Zentrum für Altersmedizin werden Senioren nach einem bundesweit einmaligen Konzept versorgt: Egal warum Patienten eingewiesen wurden, nehmen Ärzte von gleich drei Kliniken immer den ganzen Körper unter die Lupe.

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NÜRNBERG. Der Konferenzraum ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Am Tisch sitzen etwa zwanzig Experten: Altersmediziner, Neurologen, Psychiater, Pflegekräfte, Therapeuten und der Sozialdienst.

"Wir hatten heute Nacht eine Neuaufnahme", berichtet die diensthabende Ärztin. "Die Patientin ist 83 Jahre, in der eigenen Wohnung gestürzt."

Die alte Dame hat sich zum Glück nichts gebrochen. Mit diesem Befund der Notaufnahme würde sie in einem normalen Krankenhaus vermutlich schon wieder entlassen.

Doch die Rentnerin ist im Zentrum für Altersmedizin im Klinikum Nürnberg - die Einrichtung arbeitet nach einem bundesweit einmaligen Konzept.

Immer internistisch, psychiatrisch und neurologisch

Die Geriatrie ist hier besonders ausgeprägt. Die teils hochbetagten Patienten durchlaufen unabhängig vom Grund ihrer Einweisung grundsätzlich eine internistische, psychiatrische und neurologische Untersuchung.

Damit haben Mediziner gleich dreier Kliniken den gesamten Körper und nicht nur einzelne Organe im Blick.

Das ist der Grund, weshalb bei der Morgenkonferenz so viele Experten die Patientenakte der gestürzten Frau studieren. War es nur Unachtsamkeit oder könnte auch eine Herz-Rhythmus-Störung infrage kommen? Vielleicht sogar Parkinson, wirft die Neurologin ein.

"Erkrankungen werden bei uns nicht isoliert betrachtet", erklärt Chefarzt Walter Swoboda den Aufwand. "Denn viele Krankheiten bedingen sich gerade im Alter gegenseitig."

Nach Ansicht des Geriatrie-Pioniers Rainer Neubart sind in Nürnberg die einzelnen Fachbereiche bundesweit am besten vernetzt. Und Neubart sieht den Standort noch aus einem anderen Grund als Besonderheit: Mit 88 Betten habe das Klinikum Nürnberg die größte Geriatrie Deutschlands.

Nagelneues Geriatrie-Zentrum

Mehr als die Hälfte der Patienten des Klinikums sind älter als 65 Jahre. Deshalb kooperieren die Kliniken für Geriatrie, Neurologie und Psychiatrie seit zehn Jahren miteinander.

Seit April arbeiten sie auch räumlich unter dem Dach des Zentrums für Altersmedizin besonders eng zusammen: In dem knapp 100 Millionen Euro teuren Neubau sind die Untersuchungszimmer der drei Kliniken Tür an Tür.

Ultraschall, Test der Gehirnaktivität, Check von Herz und Gleichgewichtsorganen - meist dauert es nur einen Tag, bis die Patienten alle Tests hinter sich haben. Eine gemeinsame Leitstelle plant geradezu minutiös die einzelnen Untersuchungen.

Wenn es nötig ist, wird ein Patient zwei bis drei Wochen stationär aufgenommen, damit alle diagnostizierten Erkrankungen aus einem Guss behandelt werden können - Komplex-Therapie sagen die Ärzte dazu.

Das Ziel: Die älteren Menschen sollen wieder selbstständig in ihren eigenen vier Wänden leben können. Erst Krankenhaus, dann Altersheim - das wollen die Nürnberger Altersmediziner nach Möglichkeit verhindern.

Erst teuerer aber langfristig doch günstiger

"Natürlich ist diese längere Behandlung zunächst für die Krankenkassen teurer", sagt der Vorsitzende des Berliner Landesverbandes Geriatrie, Eric Hilf.

Auf lange Sicht würden die Kassen jedoch sparen: "Wird ein älterer Patient vom ersten Tag an ganzheitlich behandelt, ist die Wahrscheinlichkeit wesentlich geringer, dass er nach kurzer Zeit wegen einer anderen Erkrankung wieder ins Krankenhaus oder sogar Heim muss".

Mittlerweile ist die Diagnose für die Rentnerin gestellt: Die 83-Jährige hatte wegen einer beginnenden Demenz zu wenig getrunken und gegessen.

Ein Infekt schwächte ihren Körper zusätzlich, und es gibt tatsächlich Anzeichen für Parkinson. Die Seniorin wird eine ganze Zeit lang stationär behandelt werden müssen.

Dabei kommt noch eine Besonderheit ins Spiel: Vom ersten Tag an sorgen Ergotherapeuten dafür, dass die Beweglichkeit der alten Frau erhalten bleibt.

Eric Hilf findet das gut. Studien in den USA hätten gezeigt, dass es für betagte Patienten besser sei, mit der Reha bereits in der Klinik zu beginnen. (dpa)

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