GASTBEITRAG

Die Angabe der Todesart ist mitunter folgenschwer

Die Leichenschau ist der letzte Dienst des Arztes am Patienten. Die Angabe der Todesart - natürlich oder nicht-natürlich - bereitet Ärzten jedoch anscheinend immer wieder Schwierigkeiten. In der Praxis stehen Mediziner bisweilen auch unter hohem Druck, da mit der Angabe "nicht-natürlicher Tod" die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird. Es ist jedoch angebracht, sich genauer mit den juristischen und rechtsmedizinischen Kriterien der Leichenschau auseinanderzusetzen.

Von Ingo Pflugmacher Veröffentlicht:

Denn die Fehlerquote bei der Angabe der Todesart ist offensichtlich extrem hoch. Die Bundesärztekammer gibt unter Bezug auf die so genannte Görlitzer Studie (1986/1987) an, dass in 47 Prozent der Fälle die Diagnose der Obduktion nicht mit den Angaben auf dem Todesschein übereinstimmte. In 30 Prozent der Fälle wurden sogar völlig unterschiedliche Krankheitskategorien festgestellt.

Ein Verkehrsunfall vor zwei Jahren war die Todesursache

Ein Beispiel: Ein niedergelassener Arzt wird zu einem Verstorbenen gerufen, der während eines epileptischen Anfalls verstorben ist. Man könnte hierbei an "natürlichen Tod" denken, der Patient hatte allerdings vor zwei Jahren einen Verkehrsunfall mit Schädel-Hirn-Trauma erlitten, was für die Epilepsie ursächlich war. Es handelt sich um einen "nicht-natürlichen Tod".

Wenn der Arzt dies verkennt, können den Hinterbliebenen Ersatzansprüche einer Unfallversicherung entgehen. Gleiches gilt, wenn der Tod auf einem Jahrzehnte zurückliegenden Berufsunfall beruht. Der die Leichenschau vornehmende Arzt läuft Gefahr, sich Schadenersatzansprüchen aussetzen, wenn er einen natürlichen Tod vermerkt und die Leiche ohne weitere Ermittlungen bestattet wird.

Den Angehörigen können die Beweise für Versicherungsansprüche fehlen.

Denn wenn die Angehörigen erst später den Zusammenhang mit einem früheren Unfallereignis in Betracht ziehen, ist die Kausalität natürlich nicht mehr beweisbar. Bisher gibt es dazu zwar noch keine Gerichtsurteile. Wegen der Sorgfaltspflichten, die die Rechtsprechung aber immer wieder bei Ärzten betont, sind solche Verfahren nicht ganz fernliegend.

Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin zu den Regeln zur Durchführung der ärztlichen Leichenschau (www.uni-duesseldorf.de/AWMF/) enthalten in der Überarbeitung vom Dezember 2007 praktikable Hinweise für die Abgrenzung der Todesarten und die hieraus resultierende Fallkonstellation, in denen der Arzt "unklare Todesart" angeben sollte.

Der Arzt ist zu der Feststellung eines natürlichen Todes nur berechtigt, wenn er Kenntnisse von einer lebensbedrohlichen Erkrankung hat und der Tod nach dem Krankheitsverlauf zu erwarten war. Es darf nicht ersichtlich sein, dass ein nicht-natürliches Ereignis die medizinische Kausalkette beeinflusst haben könnte. Das heißt: Der nicht-natürliche Tod oder besser der Verdacht auf einen nicht-natürlichen Tod ist anzugeben, wenn es nicht ausgeschlossen erscheint, dass ein äußeres Ereignis, und sei es über lange Kausalketten, ursächlich oder mitursächlich für den Tod war.

Ist der Arzt sich sicher, dass der - ihm bekannte - Krankheitsverlauf ohne frühere oder aktuelle äußere Ereignisse zum Tod des Patienten geführt hat, so sollte er den natürlichen Tod bestätigen. Sobald er aber entweder keine oder nur geringe Kenntnisse von der Krankheitsgeschichte hat und diese auch verständlicherweise zum Zeitpunkt der Leichenschau von den Angehörigen oder vorbehandelnden Ärzten nicht umfassend erfragen kann, sollte er die unklare Todesart feststellen.

Kollegen wird kein Behandlungsfehler unterstellt

Dies empfiehlt sich sowohl für den im Notdienst zur Todesfeststellung hinzu gerufenen niedergelassenen Arzt, der den Verstorbenen nicht kannte, als auch bei einer Vielzahl von iatrogenen Todesfällen. Ausnahmen in diesem Bereich bestehen sicher beim intraoperativen Tod des politraumatisierten Patienten, wenn keinerlei Zweifel an der Behandlung lege artis bestehen.

Sofern der Patient allerdings im Zusammenhang mit einer Behandlung und nicht infauster Prognose verstirbt, empfiehlt sich die Angabe "unklare Todesart". Zur Klarstellung: Dies beinhaltet keine Feststellung über eine fehlerhafte oder gar eine schuldhaft fehlerhafte Behandlung. In solchen Fällen dient gerade die Vornahme einer gerichtlichen Obduktion - sofern die Staatsanwaltschaft dies im Todesermittlungsverfahren für erforderlich hält - den Interessen des Arztes. Der Grund: Die Obduktion klärt die Grundlagen und die Todesursache objektiv ab.

Von der Angabe eines natürlichen Todes mit dem Ziel, sich "Ärger zu ersparen", ist dringend abzuraten, da dies den Argwohn der Hinterbliebenen erhöhen könnte, dass ein Behandlungsfehler - auch wenn dem nicht so ist - vorlag.

Dr. Ingo Pflugmacher ist Fachanwalt für Medizin- und Verwaltungsrecht und Partner der Rechtsanwaltskanzlei Busse & Miessen in Bonn.

Natürlicher oder nicht-natürlicher Tod

Natürlicher Tod: "Natürlicher Tod ist ein Tod aus krankhafter Ursache, der völlig unabhängig von rechtlich bedeutsamen Faktoren eingetreten ist." Der Arzt ist zu dieser Qualifikation nur berechtigt, wenn er konkrete und dokumentierte Kenntnis hat von einer gravierenden, lebensbedrohenden Erkrankung mit ärztlicher Behandlung in großer Zeitnähe zum eingetretenen Tod. Der Tod zu diesem Zeitpunkt muss aus dem Krankheitsverlauf zu erwarten gewesen sein. Hinweise für ein nichtnatürliches Ereignis, welches die natürliche medizinische Kausalkette beeinflussen könnte, dürfen nicht vorhanden sein.

Nicht-natürlicher Tod oder Verdacht auf nicht-natürlichen Tod: Die Diagnose bedarf keiner hohen Evidenz, der Verdacht reicht aus. Die Klassifikation erfolgt ohne Berücksichtigung anderer, rechtlich relevanter Ursachen und Begleitumstände wie fremdes oder eigenes Verschulden. Entscheidend ist die naturwissenschaftliche Definition eines von außen einwirkenden Ereignisses. Somit handelt es sich um einen Sammelbegriff für: Selbsttötungen, Unfalltodesfälle, Tötungen durch fremde Hand, Todesfälle infolge ärztlicher Eingriffe.

Auch müssen eventuell lange Kausalketten beachtet werden, wie zum Beispiel

  • Sturz mit Oberschenkelfraktur - stationäre Behandlung - Tod durch Pneumonie nach zehn Tagen: In diesem Fall ist es sehr plausibel, dass das äußere Ereignis ursächlich für den Tod ist.

Gleiches gilt für die Beachtung rechtlich bedeutsamer Faktoren wie zum Beispiel:

  • Tod durch AIDS - HIV-Infektion durch einen Partner, der von seiner Erkrankung wusste: hier handelt es sich - falls vorsätzlich - um Totschlag, daher kein natürlicher Tod.

Unklare Todesart: Unklar ist die Todesart immer, wenn eine eindeutige Todesursache fehlt. Also insbesondere bei: plötzlichen Todesfällen im Erwachsenenalter und im Kindesalter, Fäulnisveränderungen (wegen Kaschierung von Verletzungen). Gleiches gilt für Todesfälle im Krankenhaus mit unklarer Wechselwirkung zwischen einem Eingriff (ohne Fehlerzuweisung!) und einem Grundleiden. Auch der Mors in tabula muss mindestens als "unklar" klassifiziert werden, auch wenn das Grundleiden gravierend war. Todesfälle unter Injektionen, Infusionen und Transfusionen sollten unbedingt als "unklar" klassifiziert werden.

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