Diagnose-Codes können gefährlich werden

Um sich vor Regressen zu schützen, sollten Ärzte Diagnosen genau verschlüsseln. Doch was viele unterschätzen: Jeder Code kann zum Risiko für Patienten werden. Gerade für Hausärzte liegen daher manche Fallstricke in der Kodierung.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Endlich den richtigen Diagnosecode gefunden? Wenn es so einfach wäre: Oft interpretieren Kassen den Code anders als der Arzt.

Endlich den richtigen Diagnosecode gefunden? Wenn es so einfach wäre: Oft interpretieren Kassen den Code anders als der Arzt.

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BAD ORB. Die ambulanten Kodierrichtlinien (AKR) mögen erst einmal vom Tisch sein, trotzdem müssen Hausärzte ihre Diagnosen verschlüsseln. Die Kodierung läuft wie bisher nach ICD-10 - doch das System ist fehleranfällig. Worauf Ärzte beim Kodieren achten sollten und wie Diagnosecodes vor Regressen schützen, erklärte Dr. Uwe Popert auf der diesjährigen practica in Bad Orb.

Gegen Forderungen der KV helfen nur vierstellige Codes

Zunächst räumte der Hausarzt aus Kassel mit dem oft vorhandenen Irrglauben auf, dass Hausärzte nur zur dreistelligen Kodierung verpflichtet seien - selbst, wenn es die eine oder andere Kasse gerne etwas genauer hätte. Aber: In den Fällen, in denen sich Ärzte vor Regressen schützen wollen, müssten sie möglichst individuelle Diagnosen stellen und damit vierstellig kodieren, so Popert.

Er nannte auch ein Beispiel: Beim Schlaganfall reiche die einfache Kodierung nicht aus, weil Ärzte Probleme bei den Heilmittelverordnungen bekommen könnten. Popert: "Hier muss ich beweisen, dass ich mich mit meinen Verordnungen außerhalb der Statistik bewege."

Ärzte müssen zum Teil doppelt kodieren, weil sie rückkodieren müssen

Daher sollten Ärzte beim Schlaganfall mithilfe der Codes genau benennen, welche Funktionsstörungen beim Patienten vorliegen. Das heißt, zusätzlich zum "akuten Apoplex" im ersten Quartal, sollten etwa im zweiten Quartal der "Zustand danach" samt Parese, Aphasie, Schluckstörungen etc. kodiert werden - sofern vorhanden.

Ähnlich sieht es laut Popert bei der Diagnose Diabetes aus. Wobei sich gerade bei dieser Diagnose auch eine Unsinnigkeit der ICD-10-Kodierung auftue: Ärzte müssten zum Teil doppelt kodieren, weil sie die eine Diagnose zur anderen rückkodieren müssen. Vielen dürfte das als "+/* System" bekannt sein.

Ein Beispiel: Wenn man Diabetes mit Nephropathie kodiere, müsse man hinterher noch einmal die Niere mit dem Diabetes kodieren. "Früher war das anders, da konnte man Diabetes 2, Niere, KHK, Auge nebeneinander kodieren", sagte Popert, und das EDV-System habe diese Kodierung angenommen.

ICD-10-Kodierung, die an die ICPC-2 angelehnt ist, so Popert

Popert, der auch in der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) aktiv ist, spricht sich daher - wie auch die DEGAM - für eine eigene Hausarzt-Kodierung aus. Die ICD-10, auch wenn die KBV beziehungsweise das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) bereits den Hausarzt-Thesaurus mit den für die Hausärzte wichtigsten Codes herausgegeben hätten, sei zu umfangreich.

Popert wünscht sich eine ICD-10-Kodierung, die an die ICPC-2 angelehnt wird und bei der Codes parallel verwendet werden können. In der ICPC-2 gebe es nämlich nur 800 statt der 14000 Diagnosen in der ICD-10.

Freitextfeld, das eine Falschauslegung der Diagnosen verhindern könnte

Und: Der Hausarzt plädiert dringend für ein Freitextfeld. Denn dort versteckten sich wichtige Infos, die eine Falschauslegung der Diagnosen verhindern könnten. Denn das bisherige System sei fehleranfällig: Die Krankenkassen würden hinter einem Diagnoseschlüssel hin und wieder etwas komplett anderes lesen, als der Arzt. Denn die Kassen hätten zum Teil einen anderen Thesaurus.

"Nehmen wir die F45.9 für die psychosomatische Störung", erläuterte Popert. "Ich als Hausarzt sehe die Diagnose unproblematisch, die Kasse liest später aus der Ziffer aber etwas völlig anderes, weil sie den Thesaurus einer anderen Fachgesellschaft nutzt."

Noch ein Beispiel: Hinter der Ziffer I21.9 würden sich gleichzeitig eine Herzruptur, ein Herzmuskelinfarkt und eine Intramurale Thrombose verbergen.

Versicherer führen Wagnis-Datei

Nachteilig für Patienten werden unaufmerksam gesetzte Diagnosen aber gerade im Bereich der privaten Versicherungen. Popert: "Die Versicherer haben eine gemeinsame Uni-Wagnis-Datei." Erhalte folglich nur ein Versicherer Kenntnis über eine Diagnose, die als Versicherungsrisiko gilt, würde der Patient auch bei keiner anderen Versicherung einen annehmlichen Vertrag abschließen können.

Dabei, so die Erfahrung Poperts aus 30 Jahren Hausarzt-Tätigkeit, würden schon Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates dazu führen, dass es einen Vertrag nur mit Ausschluss von Leistungen gebe. Bei den Diagnosen Psychose, Depression, Mobbingopfer, Diabetes oder Krebs sei im Regelfall - mit Ausnahmen - gar kein Vertragsabschluss mehr möglich.

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