Pflege zwischen Regresspflicht und Haftungsrisiko

Geht es noch allein? Oder mit Hilfe der Familie? Oder muss häusliche Krankenpflege beansprucht werden? Für Patienten ist die Antwort auf die Fragen mit einem tiefen Lebenseinschnitt verbunden, für Hausärzte geht es einmal mehr um Geld, das andere von ihnen verlangen könnten. Die Regeln dazu haben sich jetzt geändert.

Von Ingo Pflugmacher Veröffentlicht:
Nicht immer können Angehörige alles übernehmen. © Erwin Wodicka / fotolia.com

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Vor kurzem ist die Neufassung der Richtlinie über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege in Kraft getreten - ein Anlass, um sich wieder einmal klar zu machen, worauf Ärzte bei der Verordnung alles achten müssen. Denn wie so oft sind Ärzte eingezwängt zwischen möglichen Regressansprüchen der Krankenkassen und Schadenersatzansprüchen der Patienten.

  • Änderungen: Die wichtigste Änderung ist eine Erweiterung der verordnungsfähigen speziellen Krankenbeobachtung. Diese kontinuierliche Beobachtung ist nunmehr auch dann verordnungsfähig, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit eine sofortige pflegerische oder ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen erforderlich ist oder wenn über einen Zeitraum von mindestens 24 Stunden festgestellt werden soll, ob die ärztliche Behandlung zu Hause sichergestellt werden kann. Bisher war die Krankenbeobachtung nur verordnungsfähig, wenn aufgrund einer schwer wiegenden akuten Verschlechterung des Krankheitsverlaufs die Kontrolle der Vitalfunktionen erforderlich war. Eine geplante Änderung, die die Verordnungsfähigkeit des An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen auf einige Indikationen beschränkt hätte, wurde vom Bundesministerium als nicht den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechend beanstandet. Deshalb gilt hier zunächst weiter die alte Fassung.
  • Leistungsverzeichnis: Das Leistungsverzeichnis der Richtlinie bietet Ärzten eine gute Stütze für die tägliche Praxis. Denn zum einen sind Ärzte zur genauen Beschreibung der Maßnahmen verpflichtet, zum anderen sind nicht im Leistungsverzeichnis aufgeführte Maßnahmen nur verordnungsfähig, wenn sie medizinisch begründet werden. Das Leistungsverzeichnis ist aber nicht alles, was Ärzte bei der Verordnung beachten müssen:
  • Vorrang der Familienpflege: Der Grundsatz, dass eine Verordnung nur erfolgen darf, wenn sich der Arzt persönlich vom Zustand des Kranken und der Notwendigkeit häuslicher Krankenpflege überzeugt hat oder ihm beides aus der laufenden Behandlung bekannt ist, dürfte in der Praxis weitgehend unproblematisch sein. Kann aber eine im Haushalt des Patienten lebende Person die Pflege übernehmen und ist dies dem Arzt bekannt, darf er ebenfalls nicht verordnen. Auf Verwandtschaftsbeziehungen kommt es nicht an, allerdings muss ein gemeinsamer Haushalt der pflegenden mit der hilfebedürftigen Person bestehen. Dies ist zum Beispiel selbst dann nicht der Fall, wenn ein Kind des Patienten im selben Haus wohnt, es sich aber um zwei Haushalte, also vereinfacht um zwei Wohnungen, handelt. Lebt der Patient mit einer Person in einem gemeinsamen Haushalt, so ist zu prüfen, ob die Person die Pflege insgesamt oder teilweise übernehmen kann. Dies setzt nach der Rechtsprechung sowohl die Bereitschaft der pflegebefähigten Person als auch die Bereitschaft des Patienten voraus, sich von dieser Person pflegen zu lassen. Wenn ein Arzt glaubt, dass diese Person die Pflege nicht übernehmen kann, ist dies auf der Verordnung anzugeben. Kann er die Verhältnisse nicht eindeutig beurteilen, so muss er dies ebenfalls auf der Verordnung aufführen (Paragraf 3 der Richtlinie).

Das Problem: Verkennt ein Arzt die Zusammenhänge, so enthält er entweder dem Patienten pflegerische Leistungen vor oder er verordnet diese, obwohl sie wegen des Vorrangs der "Familienpflege" nicht verordnungsfähig sind. Die Pflegekräfte sind übrigens an den Inhalt der Verordnung gebunden. Der Arzt gibt somit die konkreten Inhalte der pflegerischen Maßnahmen vor.

Überschreitet er das Notwendige, so kann dies zu Regressen führen, unterlässt er die Verordnung notwendiger Maßnahmen, so kann dies zu Ersatzansprüchen des Patienten führen, wenn dieser geschädigt wird. Bei der Verordnung sollte man sich deshalb eng an dem Leistungsverzeichnis der Richtlinie orientieren.

  • Kontrollpflichten: Während der pflegerischen Maßnahmen übernehmen die Ärzte dann die Rolle des Kontrolleurs. Sie sollen nach der Richtlinie beim Hausbesuch die Pflegedokumentation einsehen, diese für ihre Entscheidungen auswerten und bei Bedarf Anordnungen darin vermerken. Neue pflegerelevante Befunde sind an den Pflegedienst weiterzugeben. Umgekehrt muss der Pflegedienst über Veränderungen in der häuslichen Pflegesituation berichten. Auf Basis dieser Informationen entscheiden Ärzte dann über neue Maßnahmen, die sich eventuell ergeben.
  • Ende der Verordnung: Sind einzelne Maßnahmen der Krankenpflege ganz oder teilweise nicht mehr notwendig, liegt es wiederum beim Arzt, die Krankenkasse sofort zu informieren. Wer dem nicht nachkommt, wird möglicherweise regresspflichtig.
  • Regressrisiko: Für den juristischen Laien kaum noch zu durchschauen ist das Haftungs- und Regressrisiko, welches sich aus dem Zusammenspiel zwischen ärztlicher Verordnung und Genehmigung durch die Krankenkasse ergibt: Der Patient muss alle Maßnahmen häuslicher Krankenpflege unter Vorlage der ärztlichen Verordnung durch die Kasse genehmigen lassen. Hieraus darf aber nicht der Schluss gezogen werden, dass die Verantwortung für die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen allein bei der Kasse läge. Die Richtlinie bestimmt nämlich, dass diese bis zu einer Entscheidung über die Genehmigung Kosten der vom Pflegedienst erbrachten Leistungen übernimmt, wenn die Verordnung spätestens am dritten Tag der Ausstellung der Kasse vorgelegt wird. Wird diese 3-Tages-Frist vom Patienten eingehalten, so muss diese den Pflegedienst bis zur abschließenden Entscheidung bezahlen. Bis zur Entscheidung können aber Tage oder Wochen vergehen. Verweigert die Krankenkasse schließlich die Genehmigung, da die Leistungen nicht erforderlich seien oder aber eine im Haushalt lebende Person die Leistungen selbst erbringen kann, so kann die Krankenkasse beim Arzt Regress wegen der ihr zunächst an den Pflegedienst zu zahlenden Vergütungen verlangen. Der Vorbehalt der Genehmigung durch die Kassen befreit Ärzte somit für die Zeit zwischen Pflegebeginn und einer Genehmigungsverweigerung keinesfalls von Regressrisiken.
  • Haftungsrisiko: Schließlich sind auch noch die Gefahren einer Schadenersatzverpflichtung gegenüber Patienten zu beachten: Wenn ein Arzt häusliche Krankenpflege verordnet, die Kasse aber die Genehmigung verweigert und der Patient den Pflegedienst zunächst selbst bezahlt, um auf Kostenerstattung zu klagen, so kann sich ein erhebliches Haftungsrisiko für Ärzte ergeben. Verliert der Patient am Ende den Prozess, muss die Kasse also nicht zahlen, so könnte der Patient vom Arzt Ersatz der verauslagten Pflegekosten verlangen. Er würde dann argumentieren, dass der Arzt ihm häusliche Krankenpflege zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet hat, obwohl diese nicht einstandspflichtig ist. Er hätte auf die Richtigkeit der Verordnung des Arztes vertraut und daher die Leistungen in Anspruch genommen und zunächst die Kosten verauslagt. Wie groß die Gefahr einer Haftung ist, ist schwer zu sagen. Solche Ansprüche sind, soweit ersichtlich, bisher nicht gerichtlich geltend gemacht worden. Angesichts der von der Rechtsprechung zunehmend betonten "wirtschaftlichen Aufklärungspflicht des Arztes" sind solche Verfahren aber nicht auszuschließen. Sofern dies ohne Gefährdung des Patientenwohls erforderlich ist, sollte ein Arzt deshalb Patienten raten, die Verordnung sofort der Krankenkasse zur Genehmigung vorzulegen, aber, wenn irgend möglich, mit dem Leistungsbezug erst dann zu beginnen, wenn die Genehmigung erteilt ist. Einen solchen Hinweis sollte der Arzt in seiner Dokumentation vermerken.

Fazit: Wie in so vielen Fällen im Kassenarztrecht müssen sich Ärzte auch bei der Verordnung häuslicher Krankenpflege mit einer hoch komplexen Materie herumschlagen. Es ist daher zu empfehlen, dass jeder Arzt gelegentlich die Richtlinie über die Verordnung häuslicher Krankenpflege und das in ihr enthaltene Leistungsverzeichnis liest, um Probleme zu vermeiden. Die Richtlinie im Web: www.g-ba.de.

Anforderungen an die Erstverordnung

Eine Erstverordnung zur häuslichen Krankenpflege soll zunächst einen Zeitraum von 14 Tagen nicht überschreiten. Innerhalb dieses Zeitrahmens soll sich ein Arzt über den Erfolg der verordneten Maßnahmen vergewissern. Es ist dringend anzuraten, zur Vermeidung von Problemen bei der Genehmigung durch die Kasse diesen Zeitrahmen nicht zu überschreiten. Eine weitere Verordnung im Anschluss an die Erstverordnung ist dann möglich, wenn der Bedarf da ist.

Dr. Ingo Pflugmacher ist Fachanwalt für Medizinrecht und Partner der Anwaltskanzlei Busse & Miessen in Bonn.

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