Junge Chroniker brauchen zeitnahe Erfolge

Jugendliche mit chronischen Krankheiten in der Pubertät zu betreuen, ist eine Herausforderung für Hausärzte. Bewährt haben sich kurzfristige Therapieverträge.

Von Ursula Armstrong Veröffentlicht:
Gemeinsam erarbeitete und vor allem verhaltensbezogene Ziele halten Jugendliche bei der Therapie.

Gemeinsam erarbeitete und vor allem verhaltensbezogene Ziele halten Jugendliche bei der Therapie.

© L. F. Young / Fotolia.com

Jugendliche sind keine Patienten wie andere. Sie stecken in einer schwierigen Lebensphase. Die Pubertät beginnt, der Körper verändert sich, viele fühlen sich nicht wohl in ihrer Haut. Und sie beginnen, sich von den Eltern zu lösen, suchen nach neuen Inhalten und Zielen. Essstörungen, Rauchen und Drogenkonsum können Folgen sein. Jugendliche wirken zudem oft orientierungslos. Mädchen reagieren häufig zickig, Jungen eher aggressiv. Oder sie verkriechen sich und sind gar nicht ansprechbar.

Keine einfache Situation im Praxisalltag, zumal viele Jugendliche chronisch krank sind. Chronische Erkrankungen hätten in den letzten Dekaden bei Kindern und Jugendlichen deutlich zugenommen, so Dr. Rainer Stachow von der Fachklinik Sylt für Kinder und Jugendliche. Etwa zwei Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland leiden an Asthma - eine Prävalenz von rund 14 Prozent -, 1,5 Millionen an Neurodermitis (ca. 10 Prozent), 25 000 an Diabetes und 3000 an rheumatischen Erkrankungen.

Asthma, Diabetes und Co. nehmen bei Jugendlichen zu

Dazu kommen Allergien, Stoffwechselerkrankungen, Epilepsie, psychosomatische Krankheiten und natürlich Übergewicht und Adipositas (zusammen eine Prävalenz von etwa 23 Prozent). Für diese jungen Patienten ist die Pubertät eine besonders kritische Zeit. Und gerade in der Pubertät werden chronisch Kranke häufig schlecht eingestellt.

Doch wie geht man mit diesen Patienten um, die ablehnend sein können, aber viel Unterstützung brauchen? Wie kann man sie bei der Therapie halten? Wer Jugendliche in seiner Praxis betreut, sollte sich darauf einstellen, rät Dr. Wolf-Rüdiger Horn aus Gernsbach, Sprecher der Kommission Jugendmedizin der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (Kinder- und Jugendarzt 40, 2009, 429). Auch minderjährige Jugendliche kommen oft allein in die Praxis. Das muss respektiert werden. Zur Einführung ist es jedoch sinnvoll, wenn sie von einem Elternteil begleitet werden. Aber man sollte immer das Gespräch ohne Eltern anbieten. Vieles, vor allem Risikoverhalten, ist dann leichter zuzugeben und zu besprechen. Auch bei ausführlichen körperlichen Untersuchungen sollten Eltern besser nicht dabei sein, denn Pubertäre haben ein ausgeprägtes Schamgefühl.

Grundregel bei Anwesenheit eines Elternteils ist: "Nie über, sondern nur mit dem Jugendlichen sprechen", so der Wuppertaler Jugendmediziner Professor Stefan Wirth. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, aber gerade bei verstockten, aggressiven oder zickigen jungen Patienten kann es schneller gehen, wenn man die Eltern fragt. Doch auch bei schwierigen Halbwüchsigen sind Vertrauen und gegenseitiger Respekt die Grundlagen für eine gute Zusammenarbeit.

Mehr als bei Kindern und Erwachsenen gilt es bei Jugendlichen zu versuchen, ihre Sicht auf die Welt und die Motive für ihr Verhalten zu verstehen. Die Entwicklung von Autonomie und Eigenverantwortung müssen unterstützt werden. Wichtig ist dazu, den Lebenskontext der Patienten kennenzulernen.

Drogenkonsum: Offene Ansprache statt Ermahnung

Horn hält eine psychosoziale Anamnese für sinnvoll. Dazu werden Fragen zu den Bereichen Zuhause, Schule und Beruf, Essgewohnheiten, Freizeit, psychoaktive Substanzen, Sexualität, Depressivität und Suizidalität sowie Sicherheit/Gewalt gestellt. Und daraus entwickelt sich dann in der Regel ein Dialog über diese Themen, über Träume, Wünsche und auch über Risikoverhalten.

Riskante Verhaltensweisen wie Rauchen, Trinken und Drogenkonsum sind normal in diesem Alter. Chronisch kranke Jugendliche wollen genauso tough sein wie die anderen in ihrer Clique. Ein erhobener Zeigefinger bringt dann gar nichts. Ganz sachlich über die Erfahrungen zu sprechen ist viel sinnvoller -, um dann einen Deal zu machen, schlägt Wirth vor. Zum Beispiel: "Zwei Bier sind OK, mehr sind ein Problem, wie du ja selbst gemerkt hast", so der ärztliche Leiter des Zentrums für Jugendmedizin am Helios-Klinikum in Wuppertal.

Behandlungsverträge sind gerade bei Jugendlichen wichtig. Sie müssen an der Erarbeitung der Behandlungsschritte beteiligt werden. Es habe sich bewährt, verhaltensbezogene Etappenziele festzulegen, ist Stachows Erfahrung. Diese werden schneller erreicht als somatische Ziele. "Es ist oft besser, der Jugendliche wählt selbst eine - unter medizinischen Gesichtspunkten suboptimale - Therapie aus, die er einhält, als dass ihm eine optimale Therapie oktroyiert wird, die er dann nicht befolgt" (HÄB 4 2005, 166).

Therapieverträge sollten stets nur eine kurze Zeitspanne, höchstens ein paar Wochen, umfassen, denn, so Wirth: "Jugendliche können nicht in Zeit denken. Man muss mit dem Moment arbeiten." Auch bei der Aufklärung über die Krankheit bringt es nicht viel, vor Spätfolgen in ein paar Jahren zu warnen. 20-Jährige sind für 15-Jährige uralt.

Die Verträge sollten dann für beide Seiten dokumentiert werden. Es kann sein, dass die Eltern einbezogen werden müssen, denn die müssen die Deals zwischen Arzt und jugendlichem Patienten ja unterstützen. Übrigens: Die Jugendlichensprache zu imitieren, wirkt lächerlich. "Cool" sei noch okay, sagt Wirth, selbst Vater von Töchtern im Jugendalter. Mehr aber geht nicht.

Für betreuende Ärzte ist es wichtig, den Lebenskontext von Jugendlichen kennenzulernen. Hierzu bietet sich die psychosoziale Anamnese nach dem HEEADSSS-Schema an, so Dr. Wolf-Rüdiger Horn aus Gernsbach, Sprecher der Kommission Jugendmedizin der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (Kinder- und Jugendarzt 40, 2009, 429). HEEADSSS steht für die verschiedenen Bereiche, die man abfragt:

Zuhause (Home): Beispielfrage "Wie kommst du mit deinen Geschwistern/Eltern aus?"

Schule und Beruf (Education and employment): "Welches sind deine Lieblingsfächer?

Essgewohnheiten (Eating habits): "Was isst du am liebsten?

Freizeit (Activities and peers): "Was machst du am liebsten nach der Schule? Was machst du an Sport?"

psychoaktive Substanzen (Drugs): "Gibt es in deiner Klasse/Clique Leute, die rauchen? Und du?"

Sexualität (Sexuality): "Warst du schon einmal verliebt? Wann?"

Depressivität, Suizidalität (Suicide and depression): "Wann hattest du zuletzt mal daran gedacht, dass du am liebsten gar nicht mehr leben würdest?"

Sicherheit/Gewalt (Safety): "Ist es schon einmal vorgekommen, dass irgendjemand dich auf eine Weise berührt oder behandelt hat, dass es dir gar nicht wohl war?" (ug)

Die psychosoziale Anamnese nach John M. Goldenring und David S. Rosen im Internet: http://www.aap.org/pubserv/PSVpreview/pages/Files/HEADSS.pdf

Mit der "Entscheidungswaage" werden ambivalente Einstellungen verdeutlicht und Veränderungsprozesse angestoßen. Diese kommunikative Technik bewährt sich, wenn es um den Umgang mit Zigaretten, Alkohol oder Drogen geht. Im Mittelpunkt stehen die Motive der Jugendlichen. Dr. Wolf-Rüdiger Horn, Sprecher der Kommission Jugendmedizin der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V. erklärt am Beispiel Rauchen, wie es geht (Kinder- und Jugendarzt 40, 2009, 429):

Was spricht für das Fortsetzen des bisherigen Verhaltens? Vorteile des Status quo: Zigaretten helfen zu entspannen; gutes Gefühl, in der Clique zu rauchen… Nachteile einer Veränderung: Was soll ich meinen Freunden sagen? Kein Genuss mehr...

Was spricht für eine Veränderung des bisherigen Verhaltens? Nachteile des Status quo: Puste wird knapp, Eltern maulen, Vorteile der Veränderung: Bekomme mehr Luft, komme mit den Eltern besser klar,…

Hinweise für die jugendlichen Patienten: Bitte, beziehe in deine Überlegungen die Konsequenzen für dich selbst und auch für andere ein. (ug)

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