An der Gesundheitswirtschaft scheiden sich die Geister

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Der Begriff Gesundheitswirtschaft polarisiert: Die einen halten ihn für völlig ungeeignet, die anderen für überfällig.

Von Tobias Meyer

BERLIN. Es gibt Worte, die sind ziemlich hip. Der Begriff Gesundheitswirtschaft zum Beispiel darf heute bei fast keinem Zusammentreffen der Branche mehr fehlen.

Manche Redner geraten dann regelrecht ins Schwärmen. Sie sprechen abwechselnd von Wachstums- und Jobmotor, Beschäftigungslokomotive und Boombranche und führen große Zahlen als Belege dafür an: mehr als 260 Milliarden Euro Umsatz im Jahr, fünf Millionen Beschäftigte, Hunderttausende neuer Jobs in naher und noch mehr in ferner Zukunft.

Gesundheit, heißt es, habe sich zu einem Markt entwickelt, der ganz ähnlich funktioniere wie andere auch.

Manchem geht der Hype zu weit. So nutzte kürzlich etwa der Präsident der Berliner Ärztekammer, Dr. Günther Jonitz, ein Treffen mit Vertretern der Athener Ärztekammer für die Feststellung: "Wir wollen ein Gesundheitswesen und keine Gesundheitswirtschaft."

Die Ärzteschaft, appellierte Jonitz, müsse die "Führungsrolle im Gesundheitswesen" übernehmen und "zum Wohle des Patienten definieren, was gute Medizin ist". Marktschreiern hingegen gelte es Einhalt zu bieten.

Jonitz mag bei seinen Ausführungen auch an die Mahnung des inzwischen verstorbenen, früheren Präsidenten der Bundesärztekammer, Professor Jörg-Dietrich Hoppe, gedacht haben. Der hatte auf dem Deutschen Ärztetag 2011 in Kiel daran erinnert, dass Ärzte "keine Kaufleute und die Patienten keine Kunden" seien.

"Merkantilen Irritationen in der Arztpraxis", so Hoppe, sei deshalb mit allem Nachdruck zu begegnen. Ansonsten drohe das Arzt-Patienten-Verhältnis nachhaltig Schaden zu nehmen.

An anderer Stelle hatte Hoppe darauf gewiesen, dass der Patient schon deshalb kein Kunde oder Konsument sei, weil er sich "sein Produkt" nicht aussuchen könne. Das Wort Gesundheitswirtschaft kam dem langjährigen Ärztechef jedenfalls so gut wie nie über die Lippen.

Ekkernkamp: Ökonomisierung überfällig

Exportinitiative Gesundheitswirtschaft

Weltweit steigt die Nachfrage nach Gesundheitsprodukten. Profitieren von diesem Trend sollen auch deutsche Unternehmen. Die Bundesminister für Wirtschaft und Gesundheithaben eine Exportinitiative mit dem Titel "Health made in Germany" gestartet. Zu den konkreten Maßnahmen gehören die Vernetzung von Aktivitäten im Bereich der Außenwirtschaftsförderung der Gesundheitswirtschaft.

www.exportinitiative-gesundheitswirtschaft.de

Gelassener mit dem Terminus geht der Berliner Unfallchirurg und Klinikmanager, Professor Axel Ekkernkamp, um. Dass Prinzipien wie Markt, Wachstum und Wettbewerb Einzug hielten im Gesundheitswesen, sei im Grunde überfällig, findet er.

"Die Ökonomisierung hat zur lange vermissten Professionalisierung des Gesundheitswesens beigetragen." Ärzte blieben ja auch in einer Gesundheitswirtschaft dem Patienten - "und sonst niemandem" - verpflichtet. "Sie tun es aber heute als Heiler und Manager".

Überhaupt hätten es große Kliniken wie die Berliner Charité, wo über 10.000 Mitarbeiter jährlich rund eine Milliarde Euro umsetzten, verdient, "dass sie mit der notwendigen Managementkompetenz geführt werden", so Ekkernkamp.

Das nütze schlussendlich auch den Patienten. Gleichwohl bleibe der Gesundheitsmarkt ein Markt mit Besonderheiten. "Es geht hier um Vermeidung, Diagnostik und Therapie von Krankheiten und Verletzungen, was wiederum mit einer Vielzahl ethischer Fragen verbunden ist."

Einem Problem aber sieht sich das Versorgungssystem - unabhängig davon, ob es sich nun als Gesundheitswesen oder als Gesundheitswirtschaft versteht - auf jeden Fall gegenüber: dem Problem des sich abzeichnenden Fachkräftemangels.

So fehlen laut einer Studie der Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) bereits im Jahr 2020 knapp 56.000 Ärzte und mehr als 140.000 Pflege- sowie andere nichtärztliche Fachkräfte. Bis zum Jahr 2030 droht die Personallücke sogar auf über 950.000 Fachkräfte anzuwachsen.

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