Weltkrebstag am 4. Februar

Teamwork bei Krebs: Wie Onkologen und Hausärzte den Knoten ihrer Kommunikation lösen

Bei der Versorgung von krebskranken Patienten müssen Hausärzte und Onkologen ein immer größeres gemeinsames Feld beackern. Der Austausch hapert an vielen Stellen – doch es gibt auch positive Beispiele.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Telefonhörer mit einem Knoten im Hörer

Häufig Resultat eines Kommunikationsproblems: Ist eine Patientin oder ein Patient an Krebs erkrankt, ist nicht immer klar, welche Rolle Hausärzte und Onkologen in der Therapie einnehmen.

© koya97/stock.adobe.com

Der Erfolg der Krebsmedizin schafft bei allem Nutzen für die Patientinnen und Patienten auch neue Aufgaben für die Versorgung – besonders in der Hausarztpraxis. Denn die stark angestiegenen Überlebenszeiten führen zu Spätfolgen und zusätzlichen Erkrankungen. In dieser Phase tritt die Versorgung durch onkologische Praxen in den Hintergrund. Statt ihrer müssen vermehrt die Hausärzte ran. Damit stellt sich auch die Frage der Zusammenarbeit von Onkologen und Hausärzten dringlicher als vielleicht je zuvor – sowohl in der akuten Phase als auch in der Langzeitbetreuung.

Was können Hausärzte und Onkologen voneinander lernen? Wo ist mehr Kooperation hilfreich, wo nicht? Und wo gibt es Beispiele guter Zusammenarbeit?

Leben mit und nach dem Krebs – Status quo in Deutschland

„Bedingt durch verbesserte Überlebensraten, aber auch durch die demografische Alterung ist die Zahl der in Deutschland lebenden Personen mit bzw. nach einer Krebserkrankung im Ansteigen begriffen“, so die Arbeitsgemeinschaft „Langzeitüberleben nach Krebs“ im nationalen Krebsplan in einem Empfehlungspapier (Stand 2021).

4,5 Mio.

Männer und Frauen leben in Deutschland mit oder nach der Diagnose Krebs.

„Aktuellen Schätzungen zufolge leben derzeit in Deutschland etwa 4,5 Millionen Männer und Frauen mit oder nach Krebs. Etwa ein Drittel davon befindet sich im erwerbsfähigen Alter, und 40 % sind mindestens 75 Jahre alt. Die drei Entitäten Brust- (23 %), Prostata- (15 %) und Darmkrebs (12 %) stellen dabei die Hälfte aller prävalenten Krebsfälle dar.“ Nach Angaben des Zentrums für Krebsregisterdaten erkrankten 2020 rund 493.200 Menschen in Deutschland neu an Krebs.

Unterdessen steigen die Überlebenszeiten der an Krebs Erkrankten stetig an. „Rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer Krebserkrankung, die in den letzten fünf Jahren diagnostiziert wurde“, schreibt das Zentrum für Krebsregisterdaten. Selbst nach der Heilung von einer Krebserkrankung kann der Patient weiter von ihr betroffen sein. Damit sind gesundheitliche Spätfolgen gemeint, aber auch finanzielle, psychische und berufliche Einschränkungen. Es gibt also für Onkologen und Hausärzte bei der Versorgung von Krebspatienten ein immer größeres gemeinsames Feld zu beackern. Aber wer macht was?

Wann Hausärzte die Krebspatienten übernehmen

„In der Therapiephase gehört die Führung in die Hand des Onkologen. Aber bei fortgeschrittener Krebserkrankung, bei dem nicht die Systemtherapie, sondern eher die heimatnahe, palliativmedizinische Versorgung im Vordergrund steht, übergeben wir den Staffelstab oft an die Hausärzte, das ist gute gelebte Praxis“, sagt Professor Christian Brandts, Direktor des Universitären Centrums für Tumorerkrankungen (UCT) am Universitätsklinikum Frankfurt. Hausärzte sind dann zum Beispiel für die Blutdruckkontrolle oder das regelmäßige Labor in die Behandlung eingebunden.

Außerdem müssen sie den Überblick behalten beim Medikamentenmanagement, sie machen Hausbesuche, behalten die Familien der Patienten im Blick, kontrollieren Nebenwirkungen und kümmern sich im Rahmen der Psychosozialen Betreuung um die seelische Befindlichkeit der Kranken. Und beide Seiten müssen stets ihre Behandlungsschritte abstimmen. So wäre es in einer idealen Welt.

Misslungene Kooperation kann Leben kosten

Hausärztin Regina Dänschel aus dem sächsischen Lunzenau berichtet dagegen von einer misslungenen Kooperation: „Ich hatte eine Patientin, die 2013 an einem Mamma-Karzinom erkrankte. Sie hatte nach einer Totgeburt eine Schizophrenie entwickelt“, berichtet Dänschel. „Vor zwei Jahren bekam sie eine Spätmetastasierung und ist jetzt gestorben.“

Der Fall war begleitet von Kommunikations- und Informationshindernissen. „Von der onkologischen Praxis kamen zwar immer die Blutwerte, aber keine Therapievorschläge oder gar eine Prognose“, so Dänschel. Auch sei unklar gewesen, welche Behandlungsschritte der Onkologe zuletzt gemacht, also welche Medikamente er gegeben hat, beklagt die Hausärztin. „Die Onkologen wollen ja immer weiter therapieren“, sagt sie.

Es gebe ja auch immer wieder neue Behandlungsmöglichkeiten, mit denen die Patienten sich von Jahr zu Jahr hangeln könnten, gibt Dänschel zu bedenken: „Das bringt zwar immer wieder neue Hoffnung. Aber irgendwann müssten sich auch die Onkologen damit auseinandersetzen, dass auch mal der Tod kommen könnte.“ Dass Fach- und Hausärzte sich im Zweifel nicht darüber austauschen, wann man die Therapie beendet, sei „ein echtes Problem“. Im Falle der Brustkrebspatientin hätte der Onkologe die Patientin darüber aufklären sollen, dass sie nun austherapiert sei.

Tragische Fälle beschäftigen die Angehörigen

Der Fall sei auch deshalb so tragisch, weil der Ehemann der Patientin sich überhaupt nicht damit beschäftigt habe, dass seine Frau sterben könne. „Er bestand darauf, dass sie von zu Hause aus auf eine Palliativstation verlegt wurde, obwohl sie gar nicht mehr transportfähig war“, so Dänschel. Die Hausärztin hatte trotz allem noch einen Platz organisieren können, „aber auf dem Weg ins Krankenhaus ist meine Patientin im Krankenwagen gestorben. Das Ganze hat mich unendlich beschäftigt!“ Da hätte es sehr geholfen, wenn Onkologe und Hausärztin gemeinsam mit den Angehörigen gesprochen hätten. Und die Patientin hätte friedlich daheim sterben können.

Auch der Frankfurter Onkologe Brandts sieht Verbesserungsbedarf, „gerade bei älteren, multimorbiden Patienten mit palliativer Therapie“, so Brandts. „Hausärzte kennen ihre Patienten in der Regel viel länger, und deren Rückmeldung wäre wertvoll. Ich würde mir wünschen, dass die Hausärzte die Onkologen dann ansprechen. Dafür müssen diese dann aber auch erreichbar sein.“

Interdisziplinärer Austausch: Woran hakt es aktuell?

Dänschel könnte sich kurze Videokontakte mit Onkologen, Patienten und gegebenenfalls Angehörigen für solche Anlässe vorstellen. „Das hielte ich für wirklich innovativ. Für Fallkonferenzen aber haben weder wir noch die Onkologen Zeit“, sagt Dänschel. Mit der Ressource Arzt müsse man schonend umgehen. Das dürfte auch Brandts so sehen. „Die kontinuierliche Erreichbarkeit ist ein dickes Brett und auf beiden Seiten eine Herausforderung“, sagt er.

Das Problem erkennt auch Professor Wolfgang Knauf, Vorsitzender des Berufsverbandes der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte für Hämatologie und Medizinische Onkologie in Deutschland (BNHO) und Onkologe in einer Gemeinschaftspraxis am Bethanien-Krankenhaus in Frankfurt. Aber wie lässt es sich abstellen?

Aus fachärztlicher Perspektive, meint Knauf. „Wir Onkologen sind eigentlich ganz gut untereinander digital vernetzt, auch mit den anderen Fachdisziplinen, wie der Chirurgie oder den Strahlentherapeuten. Aber die digitale Vernetzung mit den Hausärzten ist ausbaufähig.“ Dies zeige sich zum Beispiel daran, dass die Onkologen es oft erst verspätet erführen, wenn die Hausärzte ihrer Patienten andere Facharztgruppen in die Versorgung eingebunden haben. So wären Tumorkonferenzen mit den Hausärzten zwar sinnvoll, „würden aber jeden Zeitrahmen sprengen“, sagt der Onkologe.

Zudem dürfte der beständige Kontakt zu allen Hausärztinnen und Hausärzten wohl kaum zu stemmen sein. Ein Argument, das Hausärztin Dänschel nicht nachvollziehen kann. Dass die Onkologen es mit zu vielen Hausärzten zu tun bekommen und nicht mit allen kommunizieren können, sei „seit Jahren eine Ausrede. Projekte haben gezeigt, dass ein besserer Kontakt möglich ist“.

Ruhe und Zeit für das Gespräch mit den Patienten

Ausbaufähig dürfte auch die Kommunikation mit den Patienten selbst sein. So habe einer von Dänschels Patienten ihr von seiner Krankenhausentlassung berichtet, dass ihm der Arzt beim Nachhausegehen zugerufen habe, während er auf der Bettkante saß: „Sie haben Krebs, wir melden uns!“ So dürfe wohl keinem schwer kranken Patienten seine Diagnose mitgeteilt werden. An diesem Punkt sind sich Hausärzte und Onkologen einig: Die Diagnose „Krebs“ ist für viele eine traumatische Erfahrung. „Hier ist die Einbindung von Hausärzten besonders wichtig, weil es auch um Familien- und Berufsplanung geht. Wir als Onkologen können diese Gespräche nur eingeschränkt leisten“, so Wolfgang Knauf.

In der Tat dürften viele Patienten ihre Diagnose erst dann richtig verstanden haben, wenn der Hausarzt sie in aller Ruhe erklärt hat, sagt Dänschel: Die Hausärzte hätten natürlich die psycho-soziale Kompetenz, mit den erschrockenen Patienten zugleich klar und mitfühlend zu sprechen. Aber es könnte eine enorme Hilfe sein, wenn sie nach einem misslungenen Gespräch nicht mit tief traumatisierten Patienten im Sprechzimmer sitzen müssen, sondern dass die Patienten von den behandelnden Onkologen zum Beispiel im Krankenhaus sensibel mit der Diagnose konfrontiert würden.

Positives Beispiel #1: Ausführliche Überweisungen

Aber es gibt auch positive Beispiele: Um den Informationsstrom zwischen Haus- und Facharztpraxen zu verbreitern, setzen beide Seiten immer häufiger auf die qualifizierte Überweisung. Für die Fachärzte sei es außerordentlich hilfreich, wenn auf der Überweisung nicht nur „unklare Anämie“ steht, sondern genauere Angaben über etwa Gewichtsverlust, Durchfälle, gehäufte Infekte oder andere Symptome, meint denn auch Knauf. Weil die Patienten im Krankenhaus oder der Facharztpraxis natürlich aufgeregt seien, könnten sie beim Onkologen die Angaben zu den Symptomen oft nicht präzise machen. Da ist es besser, der Hausarzt schreibt eine aussagekräftige Überweisung. „Das ist ein gutes Mittel der Kooperation und bei uns schon lange üblich“, sagt denn auch Knauf.

Positives Beispiel #2: Eigene Hotline für Ärzte

Auch im Frankfurter Centrum für Tumorerkrankungen nimmt man das Kommunikationsproblem ernst. „Wir haben in der Klinik eine eigene Ärzte-Hotline, um erreichbar zu bleiben. So etwas könnte ich mir auch in Hausarztnetzen vorstellen“, sagt Brandts. „Außerdem wurde am UCT eine Langzeit-Nachsorge-Ambulanz eingerichtet. Hier finden ehemalige Patienten und Hausärzte spezialisierte Ansprechpartner für Fatigue, Stoffwechselerkrankungen, Lungen- oder Herzproblemen und vieles mehr.“

Positives Beispiel #3: Onkologische Facharzt-NäPa

Manchmal geht es auch ganz einfach: Zum Beispiel, wenn eine onkologische Facharzt-NäPA mit den Hausärzten bei den Patienten zu Hause kooperiert. Im bayerischen Landshut bewährt sich diese simple Idee bei der Versorgung von Krebs-Patienten auf dem Lande, die nur schwer selber zum Facharzt kommen können.

„Viele Krankenkassen zahlen für die orale Chemotherapie keine Taxifahrten“, erklärt Dr. Ursula Vehling-Kaiser. Sie hat vor acht Jahren den mobilen onkologischen Dienst (MOD) zusammen mit der KV Bayern auf die Beine gestellt. Vehling-Kaiser führt in Landshut eine onkologische Praxis mit mehreren Standorten. Ihre NäPAs nehmen bei den Hausbesuchen zum Beispiel Blut ab, machen das Nebenwirkungsscreening oder die Dokumentation. „Wir verlegen damit sozusagen unsere Pflegesprechstunde aus der Praxis aufs Land“, sagt sie.

Vorher hat sich die NäPA bei den Hausärztinnen und Hausärzten der besuchten Patientinnen und Patienten vorgestellt und Kontakt aufgenommen, berichtet Vehling-Kaiser. Dann bieten sie den Hausärzten an, verschiedene hausärztliche Aufgaben, wie etwa das Messen der Blutzuckerwerte oder die Blutbildkontrolle beim Besuch gleich mit zu übernehmen. NäPA und Hausarztpraxis einigen sich dann, wer von beiden zum Patienten fährt, damit es keine Doppelversorgung gibt. So spart der Hausarzt aufwändige Hausbesuche – und seine Patienten sind versorgt.

Und wie steht es mit der interärztlichen Kommunikation in Landshut? „Die läuft eigentlich ganz gut“, sagt Vehling-Kaiser. „Ich habe eine Notfallnummer, auf der die Hausärzte mich anrufen können. Und ich meinerseits bekomme die Hausärzte ganz gut ans Telefon, wenn ich sie brauche. Wir sind eben auf dem Lande, da kennt man sich.“

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