"Der Wettbewerb nimmt ruinöse Ausmaße an"

Unter Wettbewerbsbedingungen wie der jüngsten AOK-Ausschreibung haben inländische Produktionsbetriebe für Generika nach Einschätzung von Peter Schmidt, Geschäftsführer des Interessenverbandes ProGenerika, bald ganz schlechte Karten.

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"Die AOK verspielt heute das Einsparpotenzial, das sie morgen braucht." Peter Schmidt, Geschäftsführer ProGenerika.

Ärzte Zeitung: Die AOK hat ihre erste juristisch sattelfeste Rabattausschreibung hinter sich. Rechnen Sie jetzt mit einer Flut ähnlich gestrickter Ausschreibungen?

Peter Schmidt: Wer eine Wirkstoffausschreibung machen will, hat mit der AOK-Ausschreibung dafür die Blaupause. Wer sich an die Vorgaben der AOK hält, kann damit rechnen, dass seine Ausschreibung die Vergabekammern und Landessozialgerichte unbeschadet passiert. Aber es gibt durchaus auch noch Krankenkassen, die nicht nur an maximalen Einsparungen interessiert sind, sondern auch an die Compliance ihrer Versicherten denken, die sie mit einer breiten Angebotspalette an Generika bewahren und verbessern wollen. Diese Kassen werden ihre Sortimentsverträge weiterführen. Sortimentsverträge sind die patientenfreundlichere Alternative.

Ärzte Zeitung: Generikahersteller äußern immer wieder den Wunsch nach Sortimentsverträgen, während Wirkstoffverträge kritisiert werden. Warum?

Schmidt: Es gibt natürlich auch bei einem Sortimentsvertrag keine eingebaute Existenzsicherung. Aber da sich der Vertrag über das gesamte Sortiment des jeweiligen Herstellers einschließlich neu in den Markt kommender Produkte erstreckt, bescheiden sich die Kassen meist mit deutlich niedrigeren Rabattsätzen. Bei Wirkstoffverträgen können die Kassen die Hersteller gegeneinander ausspielen und in einen ruinösen Unterbietungswettbewerb treiben.

Ärzte Zeitung: Wie macht sich dieser Preishebel bei der aktuellen AOK-Ausschreibung bemerkbar?

"Die Politik ist auf dem besten Weg, nun auch noch die Generikaindustrie zu vergraulen."

Schmidt: Die Deckungsbeiträge der Unternehmen kenne ich natürlich nicht. Aus dem von der AOK genannten Einsparpotenzial ergibt sich auf Basis der Apothekenverkaufspreise ein durchschnittlicher Nachlass von 23 Prozent. Entscheidend ist aber, was den Unternehmen auf Basis des Herstellerabgabepreises übrig bleibt. Da dürften die Rabatte um die 50 Prozent betragen. Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass die meisten Unternehmen bei ihren Angeboten dicht an die Grenzkosten und sogar darunter gegangen sind. Fazit: Der "Gewinner" einer Molekülausschreibung der AOK verliert nur etwas weniger als ein Unternehmen, das nicht zum Zuge gekommen ist.

Ärzte Zeitung: Die Pharmaunternehmen fordern seit langem, Krankenkassen als Unternehmen einzustufen. Was wäre damit gewonnen?

Schmidt: Wenn Kassen Unternehmen wären, würden sie zwar nicht nach deutschem, sehr wohl aber nach europäischem Recht uneingeschränkt dem Kartellrecht unterliegen. Dann könnte eine AOK mit einer Marktmacht von 40 Prozent eine Ausschreibung wie die soeben abgeschlossene nicht durchführen. Die konzertierte Aktion der verschiedenen Landes-AOKen wäre kartellrechtswidrig. Denn anders als das nationale Kartellrecht billigt das europäische den Kassen keine so genannte Bereichsausnahme zu.

Ärzte Zeitung: Ist á la longue eine Marktbereinigung unter den hiesigen Generikaanbietern zu erwarten?

Schmidt: Mit Sicherheit. Und zwar eher früher als später. Denn wer jetzt bei der AOK nicht zum Zug gekommen ist und mit den Ersatzkassen oder anderen größeren Kassen keine Sortimentsverträge abgeschlossen hat, muss bald "Land unter" melden. Wo soll er denn seine Produkte noch in nennenswertem Umfang absetzen? Es wird wirklich eng. Für diese Unternehmen bleibt eigentlich nur noch der Teil des Marktes übrig, über den die AOK keine Wirkstoffverträge abgeschlossen hat, sondern ihre zahlreichen Portfolioverträge weiterführt. Das sind die weniger umsatzstarken Produkte, in denen der eine oder andere Hersteller eine Zeit lang Halt findet. Wenn die AOK aber anfangen sollte, auch in diesen Teilmärkten Wirkstoffausschreibungen durchzuführen, dann wird sich die Lage für kleinere und mittlere Hersteller dramatisch verschlechtern.

Ärzte Zeitung: Wie sieht der erfolgreiche Generikahersteller unter dem Vorzeichen des verschärften Preiswettbewerbs aus? Überlebt nur noch derjenige, der Zugang zu den billigsten Produktionsstandorten hat?

"Konditionen für den Kostenträger haben Vorrang vor qualitativen Aspekten der Arzneimittelversorgung."

Schmidt: Der AOK-Verhandlungsführer Christopher Hermann hat neulich ganz unverblümt gesagt, er möchte den jeweiligen Wirkstoff zum niedrigsten möglichen Preis einkaufen. Das heißt, Konditionen für den Kostenträger haben Vorrang vor qualitativen Aspekten der Arzneimittelversorgung. Die "generische Innovation", etwa eine verbesserte Galenik oder die leichtere Einnahme oder die Entwicklung neuer Darreichungsformen - all das interessiert die AOK überhaupt nicht mehr. "Generische Innovationen" sind bei Tiefstpreisstrategien nicht mehr zu refinanzieren, selbst für simple Imitationen des Erstanbieterprodukts ist der Standort Deutschland auf Dauer zu teuer. Hier produzierte Produkte werden den Wettbewerb mit Generika verlieren, die in Indien, China oder Bangladesch hergestellt wurden.

Last, but not least ist auch die teure Entwicklung von Biosimilars - je Produkt fallen zwischen 80 Millionen und 120 Millionen Euro an - mit Generika-Tiefstpreisen nicht mehr zu finanzieren. Die AOK verspielt heute das Einsparpotenzial, das sie und die anderen Kassen morgen angesichts des rasant wachsenden Markts der biologischen Arzneimittel dringend brauchen.

Ärzte Zeitung: Herrscht in der Branche Weltuntergangsstimmung?

Schmidt: Nein. Die Unternehmen möchten ihre Produkte aber gerne weiter in Deutschland herstellen. Wenn ihnen das durch den anhaltenden Preis- und Erlösdruck nicht möglich ist, werden die international aufgestellten Anbieter ihre Medikamente im Ausland herstellen oder von dort beziehen. Wir werden dann in der Generikaindustrie genau das erleben, was wir aus der forschenden Arzneimittelindustrie schon kennen: Nationale Vertriebsgesellschaften, die hier nicht eine Pille, nicht eine Kapsel oder sonstige Arzneimittel herstellen, sondern ihr gesamtes Sortiment importieren. Der Politik ist es schon einmal gelungen, der Pharmaindustrie den Standort Deutschland zu verleiden. Ich befürchte, sie ist auf dem besten Weg, nun auch noch die Generikaindustrie zu vergraulen.

Die Fragen stellte Christoph Winnat

ProGenerika

Der Branchenverband wurde 2004 gegründet. Er vertritt die Interessen von 16 Generikaherstellern, darunter große Anbieter wie Stada, ratiopharm und Hexal aber auch hierzulande kleinere Player wie Actavis oder Teva.

Die Mitglieder von ProGenerika repräsentieren drei Viertel des gesamten deutschen Generikamarktes.

Jüngste Forderung von ProGenerika ist eine wettbewerblich orientierte Neuordnung des generikafähigen Arzneimittelmarktes die ohne Steuerungsinstrumente wie Festbeträge, Richtgrößen oder Rabattverträge auskommt.

Lesen Sie dazu mehr: Special Rabattverträge

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