Experten zerpflücken Versorgungsgesetz

Mehr als fünf Stunden haben die Mitglieder des Gesundheitsausschusses des Bundestages Fachleute aus dem Gesundheits- und Sozialwesen befragt. Und die Experten nutzten die Chance, den Regierungsentwurf zum Versorgungsstrukturgesetz scharf zu kritisieren. Die Koalitionäre wollen ihre Pläne modifizieren.

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Dr. Andreas Köhler, Kassenärztliche Bundesvereinigung (links) und Johann-Magnus von Stackelberg, GKV-Spritzenverband (rechts)

Dr. Andreas Köhler, Kassenärztliche Bundesvereinigung (links) und Johann-Magnus von Stackelberg, GKV-Spritzenverband (rechts)

© Hinkelbein | dpa

BERLIN (sun/af). Experten von Verbänden und Organisationen haben das Versorgungsstrukturgesetz der schwarz-gelben Koalition bei der Fachanhörung im Bundestag in der Luft zerpflückt. In einigen Punkten scheint die Kritik Wirkung zu zeigen.

Einen ambulanten spezialärztlichen Sektor ohne Mengenbegrenzungen wird es nun wohl doch nicht geben. "Wir müssen darüber nachdenken, wie wir ungerechtfertigte Mengenausweitungen vermeiden", sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion Jens Spahn (CDU).

Die spezialärztliche Versorgung komme aber auf jeden Fall. Die gesetzlichen Krankenkassen hatten im Vorfeld stets Bedenken geäußert. Die Kosten des Verzichts auf eine Mengenbegrenzung müsste unter Umständen die Grundversorgung tragen.

Koalition plant Aufkauf von Praxen ohne Nachfolge-Verpflichtung

Der Einzelsachverständige Professor Jürgen Wasem warnte: "Je weiter der Katalog der Leistungen in dem neuen Sektor gefasst wird, desto höher ist das Mengenrisiko."

Auch in die Frage, wie sich Über- und Unterversorgung gegeneinander regulieren lassen, ist Bewegung gekommen. Die Koalition plant nun wohl doch, die Kassenärztlichen Vereinigungen zum Aufkauf von Praxen ohne geregelte Nachfolge zu verpflichten. Bislang ist dieser Passus eine Kann-Bestimmung.

Das Gesetz als Ganzes wird von Ärztevertretern nicht euphorisch begrüßt. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Köhler, sagte, der Entwurf sei "grundsätzlich geeignet", der ärztlichen Unterversorgung entgegenzuwirken.

"Viel Zuckerbrot, wenig Peitsche"

Darin war er sich mit dem Vize-Chef des GKV-Spitzenverbandes, Johann-Magnus von Stackelberg, einig. Allerdings sei es ein langer Weg, um ans Ziel zu kommen. "Die Maßnahmen greifen zu kurz", so von Stackelberg.

Was fehle, seien wirksame Instrumente, um die Überversorgung abzubauen. Die gebe es zwar, aber sie seien nicht verpflichtend. Legislative Strenge vermisst auch der Einzelsachverständige Rechtsanwalt Professor Wolfgang Spoerr: Das Gesetz sei "viel Zuckerbrot, wenig Peitsche".

Kritik aus mehreren Richtungen

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht die Ziele des Gesetzes nicht erreicht: Mit finanziellen Anreizen alleine könne man Ärzte nicht in unterversorgte Gebiete locken. Auch die Infrastruktur vor Ort müsse stimmen, warnte Herbert Weisbrod-Frey vom DGB.

Kritik kam auch aus anderer Richtung. Das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland vermisst vor allem den ganzheitlichen Ansatz. "Das Gesetz orientiert sich ausschließlich an den Ärzten - wo bleibt die Pflege psychisch Erkrankter und Menschen mit Behinderung", fragte Dr. Annika Lange vom Diakonischen Werk. Die Regierung bereitet allerdings derzeit ein eigenes Pflegegesetz vor.

Der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), Dr. Rainer Hess, begrüßte die geplante Flexibilisierung der Bedarfsplanung: "Die bisherigen Regelungen sind zu starr." Es sei notwendig, den Regionen Spielräume zu geben, um dem jeweiligen Bedarf vor Ort Rechnung tragen zu können.

Zahnärzte befürchten "Gruftis"

Selbst Detailfragen wie die Neuorganisation des GBA fanden Kritiker. "Mit der Benennung der Unparteiischen zieht man sich Gruftis heran", schimpfte der Vorstandsvorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Jürgen Fedderwitz.

Zum Hintergrund: Fachleute des Gesundheitswesens sollen künftig erst dann unparteiische Mitglieder des GBA werden können, wenn sie drei Jahre lang keine Ämter in Kassen oder ärztlichen Standesorgansiationen ausgeübt haben. Dies lasse befürchten, dass künftig "Frühstücksdirektoren" diese Posten besetzten, monieren Kritiker.

Lesen Sie dazu auch: Koalition will nun doch Grenzen für Spezialärzte

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