„Es ist völlig legal, was ich tue“

Postversand von Abruptio-Pillen in den USA – rechtlich ein Dilemma

Immer mehr Frauen in amerikanischen Bundesstaaten ohne Zugang zu legalen Schwangerschaftsabbrüchen kaufen sich entsprechende Medikamente online. Das ist erlaubt und dennoch rechtlich ein Dilemma.

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Abbruch-Befürworter protestierten im Juni vergangenen Jahres vor dem Supreme-Court in Washington.

Befürworter des Schwangerschaftsabbruchs protestierten im Juni vergangenen Jahres vor dem Supreme-Court in Washington.

© Jose Luis Magana/ ASSOCIATED PRESS / picture alliance

Washington. Auf einer Tischtennis-Platte im Keller eines Wohnhauses im New Yorker Hudson Valley stapeln sich Packungen mit Misoprostol und Mifepriston. Die Präparate zum Abbruch einer Schwangerschaft stehen bereit für den Postversand in republikanisch regierte Bundesstaaten des Südens und des Mittleren Westens, dorthin, wo Abruptiones weitgehend verboten sind. Versenderin ist eine Ärztin, die aus Sorge um ihre Sicherheit anonym bleiben möchte.

„Es ist völlig legal, was ich tue“, erklärt die Frau gegenüber der „Washington Post“ ihr Engagement. Nach dem Gesetz des Bundesstaates New York ist es erlaubt, in Texas wäre es hingegen illegal. „Die könnten sagen, ich verstoße gegen ihre Gesetze“, räumt die Ärztin ein, fügt dennoch trotzig hinzu: „Aber ich lebe nicht in Texas."

Anbieter sind weitgehend geschützt

Neben New York haben auch andere demokratisch regierte Bundesstaaten im vergangenen Jahr Gesetze verabschiedet, die den Versand von Abbruch-Pillen rechtlich ermöglichen. Anbieter seien weitgehend geschützt, erklärt der Rechtsexperte der Drexel University in Philadelphia, David Cohen. „Solange sie sich in dem Staat aufhalten, in dem Schutzgesetze gelten.“

Der frühere Generalstaatsanwalt von Texas, Jonathan Mitchell, der maßgeblich am Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen nach der sechsten Woche beteiligt war, sieht das anders und warnt: Jemand in Texas könnte eine verdeckte Operation gegen jene durchführen, die derartige Präparate aus demokratisch regierten in Bundesstaaten mit Abtreibungsverboten verschicken „und sie wegen versuchten Mordes anklagen“. In Texas drohen allein für die Verschickung der Pillen mehrjährige Haftstrafen.

Doch der Nachweis bleibt schwierig. Die Mitarbeiter der Poststellen fragen nicht nach dem Inhalt der Päckchen. „Es könnten Seifen drin sein oder Süßigkeiten“, so die anonyme Ärztin aus New York.

Oberster Gerichtshof kassierte das Gesetz

Die Nachfrage nach den Medikamenten boomt, seit der Oberste Gerichtshof Ende Juni 2022 das Grundsatzurteil „Roe v. Wade“ von 1973 kassiert hat. Damit fiel die Zuständigkeit des Themas automatisch an die Bundesstaaten zurück. Seitdem gleicht die US-Landkarte juristisch einem Flickenteppich, inklusive rechtlicher Grauzonen wie dem grenzüberschreitenden Versand von Medikamenten.

Die US-Arzneimittelbehörde FDA hält die Präparate für sicher und erlaubt die Einnahme der Pillen bis zur 10. Woche. Seit ihrer Zulassung im Jahr 2000 haben bereits mehr als 5,6 Millionen Frauen davon Gebrauch gemacht. Komplikationen wurden dabei relativ selten festgestellt.

Frauenärzte raten zur Vorsicht

Die Organisation Planned Parenthood und die Fachgesellschaft der Geburtshelfer und Frauenärzte raten den Versendern der Medikamente, dennoch Vorsicht walten zu lassen. Trotz der Schutzgesetze in ihren Bundesstaaten könnten sie sich rechtlich in Gefahr begeben.

Denn es liegen zwei gegensätzliche Urteile in einschlägigen Rechtsstreitigkeiten vor. Ein Bundesgericht in Texas hatte rückwirkend die FDA-Zulassung von Mifepriston im Frühjahr per einstweiliger Verfügung gestoppt. Abtreibungsgegner hatten im November Klage eingereicht und der US-Arzneimittelbehörde vorgeworfen, sie habe bei der Zulassung der Pille vor mehr als zwei Jahrzehnten Politik über Wissenschaft gestellt.

Nur Stunden nach dem Urteil von Texas entschied ein Richter im Bundesstaat Washington, der Zugang zu Pillen zum Schwangerschaftsabbruch dürfe nicht eingeschränkt werden. Er folgte damit Forderungen von 17 demokratisch regierten Bundesstaaten. Es gilt als ausgemacht, dass das Thema beim Supreme Court landen wird.

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Arztbesuch kann zum Risiko werden

Aid Access, einer der größten Anbieter von Abruptio-Pillen, hatte schon vor dem Ende von „Roe v. Wade“ die Medikamente vertrieben. Jetzt ist die Nachfrage deutlich gestiegen. Über Aid Access können Frauen für rund 150 Dollar die Medikamente erhalten. Das ist selbst in Bundesstaaten mit legalem Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen eine preisgünstige Alternative. Die gleichen Medikamente kosten 500 bis 800 Dollar in einer Klinik.

So einfach das Verschicken der Pillen inzwischen ist, so problematisch kann es in Ausnahmefällen sein. Insbesondere für Frauen in Staaten, in denen die Einnahme der Medikamente verboten sind. Kommt es zu Komplikationen, stehen die Betroffenen vor einem Dilemma. Suchen sie medizinisch notwendige Hilfe, droht das Strafgesetz. Der Gang zum Arzt oder Krankenhaus wird damit zum rechtlichen Risiko. (KNA)

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